Seit zehn Jahren in der Bundesliga, ein Trainer, der seit acht Jahren durchgehend im Amt ist und eine der modernsten Fußballakademien in Mitteleuropa –... Quo vadis, SV Mattersburg? (1) – Gut aufgestellt und doch um Jahre hinterher hinkend

Franz LedererSeit zehn Jahren in der Bundesliga, ein Trainer, der seit acht Jahren durchgehend im Amt ist und eine der modernsten Fußballakademien in Mitteleuropa – so könnte man den SV Mattersburg großzügig beschreiben. Man versucht von Vereinsseite die Sonnenseite zu zeigen. Sportlicher Misserfolg seit dem Abgang von Didi Kühbauer, eine äußerst fragwürdige Transferpolitik und ein stetiger Fanrückgang sind einige der vielen zankenden Zahnräder des burgenländischen Fußball-Aushängeschilds.

Nach Kühbauers Abgang lag das spielerische Niveau brach

Dietmar Kühbauer war einer besten Fußballer, die Österreich in der Nachkriegszeit hervorbrachte. Dass eine solche Persönlichkeit nach seinem Karriereende vermisst wird, ist verständlich – doch dass man nach 4 ½ Spielzeiten immer noch unter seinem Fehlen leidet, ist ein Versäumnis des Vereins. Mit Kühbauer fand die Hochblüte des SVM statt, die mit einem dritten Platz in der Endtabelle gekrönt wurde. Zwei Cup-Finalspiele, die jedoch verloren wurden, stehen ebenfalls auf der Habenseite. Allgemein konnte sich der SVM nach Startproblemen in den ersten beiden Jahren in der Bundesliga gekonnt aus dem Abstiegskampf heraushalten. Seit Kühbauers Abgang begann das Boot zu sinken, da niemand in der Lage war, den Kapitänsplatz einzunehmen. Mörz, der bis zu Kühbauers Karriereende eine spielbestimmende Figur in Mattersburg war, verlor abrupt jegliche Lockerheit und Spielfreude, konnte somit die ihm auferlegten Aufgaben als Kapitän nicht erfüllen. Der frühere Teamspieler war plötzlich ein Schatten seinerselbst.

Flügelspiel rückläufig

Spielerisch entfernte man sich auch vom gepflegten Kurzpassspiel, das schon oft der Schlüssel zum Sieg war – man eignete sich an, die Bälle hoch in die Spitze zu spielen und zu hoffen, dass jemand etwas damit anzufangen weiß. Das Mittelfeld fungierte daher nur mehr als defensiver Katalysator, der gegnerische Angriffe abfangen und die Räume zustellen sollte. Von der Spielgestaltung schien das Mittelfeld freigesprochen worden zu sein, da die Verteidigung den Angriff mit hohen Bällen „bestens“ versorgte. Das Mittelfeld zeigte selbst keine Initiative, war an hohem Ballbesitz und der guten Verarbeitung der Bälle kaum interessiert. Das jahrelang forcierte Flügelspiel – das sich als erfolgreich und zielführend erwies – wurde mit der Einführung der Viererkette zu Grabe getragen. Mattersburg spielte zuvor stets mit einem Libero und zwei additiven Innenverteidigern – zusätzlich waren noch je ein rechter und linker offensiver Verteidiger vorhanden, die nach Bedarf defensiv oder offensiv ihre Arbeit verrichteten. Christian Fuchs wurde etwa in der Rolle des linken Offensiv-Verteidigers groß und wechselte schließlich sogar in die deutsche Bundesliga.

Sich selbst der Philosophie beraubt

Mit der Einführung der Viererkette rühmte man sich taktisch nun „State-of-the-Art“ zu sein  – man ging sozusagen den Trend mit, jedoch wurden neben zwei gleichberechtigten Innenverteidigern, zwei statische Außenverteidiger installiert, die ihr Hauptaugenmerk auf die Defensivarbeit legten. Die Vorstöße der Außenverteidiger fanden natürlich in Maßen weiterhin statt, aber wesentlich seltener als früher. Mit der konformistisch angehauchten Systemänderung vor einigen Jahren beraubte sich Mattersburg seiner eigenen Spielphilosophie, die sie so schwer berechenbar und unangenehm zu spielen machte. Mit dem Umbau ging auch das altbewährte Verständnis für die Automatismen im Mattersburger „Libero-System“ verloren.

Zurück zu den Wurzeln?

Der SV Mattersburg wäre nun gut beraten, seiner taktischen Vielseitigkeit mit der Wiederaufnahme des Drei-Verteidiger-Systems neues Leben einzuhauchen. Mit Farkas verfügt man über einen optimalen offensiven Außenverteidiger, der an den jungen Christian Fuchs erinnert, defensiv wie offensiv seine Stärken hat und stets ein großes Laufpensum abspult. Mit Pöllhuber, Malic, Mravac und Majstorovic hat man weiters vier große und robuste Innenverteidiger. Majstorovic‘ Fähigkeiten in der Spieleröffnung könnten ihm die Rolle des Liberos zuschanzen, wobei auch Pöllhuber für diese Rolle geeignet wäre. Mit Lovin, Seidl und Prietl hat man zudem drei fähige Kandidaten für die zwei Positionen im zentralen Mittelfeld und auch an den Flügeln mangelt es den Burgenländern nicht an Alternativen, können doch etwa Röcher, Höller oder Potzmann die Halb- bis Außenpositionen in einem Drei- bzw. Fünf-Verteidiger-Konzept besetzen.

Ein Paradigmenwechsel in Sachen Spielsystem und Taktik sollte zumindest in Erwägung gezogen werden, denn seit dem Wechsel von der Dreierkette auf die Viererkette konnte kein namhafter Erfolg erzielt werden und man spielte jedes Jahr mehr oder minder gegen den Abstieg.

Mattersburg_alternative Aufstellung_1

Mattersburg_alternative Aufstellung_2

Der „ewige“ Lederer

Kein einziger Verein in Österreich – wenn nicht sogar weltweit – hätte an einem Trainer festgehalten, der oftmals eine zehn Spiele – in manchen Fällen mehr – umfassende Negativ-Serie hinlegte. Zu Gute kann man Langzeit-Coach Lederer halten, dass er den Verein zu relativ großen Erfolgen führte und auch Spieler wie Fuchs hervorbrachte. Doch die Vergangenheit zählt im harten Fußball-Geschäft genauso viel wie ein vergebener Elfer. Man hört oft vom sogenannten „Trainer-Effekt“, der dann eintritt wenn ein neuer Trainer das Ruder übernimmt und die Mannschaft zu einem neuen Aufschwung verhelfen kann. In den besonders heiklen Abstiegskampfphasen hätte dieser Effekt dem SVM sicherlich geholfen und man hätte sich phasenweise viel Stress ersparen können.

Offensiv planlos, defensiv „programmiert“

Über die Jahre hinweg wurde Lederer immer mehr zum Defensiv-Apostel, jedoch ohne sichtbaren Erfolg, etwa in Form von weniger Gegentoren. In manchen Spielen kann Lederer seine Hintermannschaft richtiggehend auf ein 0:0 programmieren, doch die Vordermannschaft irrt das ganze Spiel hindurch planlos durch die Gegend, da sie kaum zu verarbeitende Bälle bekommt. Die fast schon inflationär durchgezogene Spielweise – hohe Bälle auf Bürger zu spielen – führte nur sehr selten zu Erfolgen. Mit Naumoski hätte man einen Spieler, der perfekt Bälle abschirmen kann und auch ein hohes Maß an Ballgefühl mitbringt in den eigenen Reihen. Der Mazedonier hadert momentan aber sogar noch mehr mit seiner Fitness als mit den Schiedsrichtern. Grund für seine schlechte Fitness, die sogar einem Laien bei jedem seiner Sprints auffällt, sind zahlreiche versäumte Trainingseinheiten. Oftmals drückt da der große Zeh oder man ist ein wenig verschnupft und schon fällt das Training flach.

Naumoski wurde nie langfristig gebändigt

Bei den Burgenländern stand schon der eine oder andere schwierige Charakter unter Vertrag, doch den Mazedonier Ilco Naumoski scheint selbst das burgenländische Auffangbecken für Problemboys nicht langfristig in den Griff zu bekommen. Reibereien auf und abseits des Platzes – ja sogar in der Umkleidekabine – zählen seit seiner Verpflichtung zur Tagesordnung. Ein professioneller Verein muss Spieler, die mit derart großem Talent gesegnet sind wie Naumoski, besser unter Kontrolle bringen. Andererseits haben auch Spieler wie Ibrahimovic oder Balotelli ihre Ecken und Kanten, doch diese bringen im Gegensatz zu Naumoski regelmäßig ihre Leistung. Lederer und vor allem Pucher, der Naumoski stets aufs Neue Vertragsangebote unterbreitet, sind hier zu kritisieren, da der „Bad Boy“ über die Jahre betrachtet mehr schadet als nützt.

Der SVM funktioniert fußballerisch, wenn Naumoski funktioniert

Naumoskis Eskapaden ausgeklammert: Ein Spieler mit seinen Fähigkeiten hätte bei einem weitaus prestigeträchtigeren Verein als dem SV Mattersburg spielen können. Umso besser für den SVM einen solchen Spieler in den eigenen Reihen haben zu dürfen. Sporadisch entschied Naumoski Spiele zu Gunsten des SVM und hin und wieder glänzt er mit traumhaften Pässen und als umsichtiger Ballverteiler im zentralen Mittelfeld oder hinter der Spitze. Doch das Offensivspiel einer Mannschaft kann nicht auf einem launischen Spieler wie Naumoski fußen. Im fußballerischen, spielerischen Sinn funktioniert das Offensivspiel nur dann gut, wenn auch Naumoski funktioniert. Ist dem nicht so, ist man zumeist auf selten funktionierende Flanken oder Standardsituationen angewiesen, denn aus dem Spiel heraus geschieht nicht oft etwas, das auch wohlüberlegt und geplant aussieht.

Um für erfolgreiches, klar strukturiertes Offensivspiel zu sorgen, sollte der SVM entweder Naumoski zur Besinnung bringen, oder die Offensive mit frischem Blut beleben.

Wenn einfachste Anforderungen nicht mehr erfüllt werden

Ein weiterer Kritikpunkt im Mattersburger Spielsystem ist die Tatsache, dass der SVM selten über 50% Ballbesitz verbuchen kann. Selbst gegen Mannschaften wie Wiener Neustadt oder Wacker Innsbruck hat man weniger Ballbesitz. Weniger Ballbesitz bedeutet auch gleichzeitig ein größeres Laufpensum und daraus resultierende Fehleranfälligkeit, da viel Energie fürs Laufspiel aufgewendet wird. So kann es schon manchmal vorkommen, dass man in den letzten Minuten auf dem sprichwörtlichen Zahnfleisch geht, ein Gegentor bekommt oder, dass die einfachsten technischen Anforderungen – kurze Pässe, Bälle stoppen – ob der Anstrengung und damit einhergehenden Konzentrationsmängeln nicht mehr erfüllt werden können. In Spielen, in den der SVM mehr Ballbesitz als der Gegner hatte, war man auch in puncto Passgenauigkeit federführend und das Ergebnis war oft zufriedenstellend.

Körperbetont und engagiert – aber nicht im Stande Bälle zu verarbeiten

Mehr Ballbesitz zu haben ist zumeist ein Zeichen von guter Technik und cleverem Zweikampfverhalten (unabhängig davon, ob man die Zweikämpfe führt oder ihnen geschickt aus dem Weg geht). Man ist daher gezwungen den Verdacht zu erheben, der SVM besitze keine bundesligataugliche Zweikampfstärke und Technik, da man ja stets in Sachen Ballbesitz den Kürzeren zieht. Dem gegenüber steht die weit verbreitete Meinung, dass Mattersburg eines der zweikampfstärksten, vielleicht auch ruppigsten Teams der Liga ist. Dieser Aussage ist aber der ebenbesagte niedrige Ballbesitz und die – mit Abstand – höchste Foul-Quote der österreichischen Bundesliga entgegenzuhalten. Daraus kann man schließen, dass die Mannen des SV Mattersburg viele Zweikämpfe nicht fair führen können und zu unfairen Mittel greifen müssen. Mattersburg investiert immer wieder viel Energie in Zweikämpfe und körperbetontes Spiel, versteht es jedoch nicht, eroberte Bälle richtig zu verarbeiten, etwa systematisch im Block umzuschalten. Lederer könnte dieser „Entwicklung“ gegenwirken, indem er seinen Spielern moderne taktische und spielerische Innovationen einimpft – aber der Langzeittrainer bleibt stur und hält am offensiven Steinzeitkonzept fest.

Morgen analysieren wir die Mattersburger Transferpolitik und die Art der Burgenländer mit der Presse umzugehen.

Benjamin Doppler, abseits.at

Benjamin Doppler

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