Stimmungsboykott beendet! Rapids junge Elf kann auf Unterstützung von den Rängen zählen
Bundesliga 8.Juli.2013 Daniel Mandl 3
In Wien-Hütteldorf wird’s wieder laut! Seit über zwei Jahren hängt der Haussegen beim SK Rapid schief. Am 22.Mai entlud sich die Wut der Fans auf die Vereinsführung in einem Platzsturm beim Wiener Derby. Sowohl 2011/12 als auch 2012/13 gab es nur wenige Momente, in denen man den Block West in voller stimmlicher Pracht erlebte. Das wird sich in der neuen Saison wieder ändern.
Der Platzsturm vor knapp zwei Jahren stellte den ersten und einzigen Teil des „nicht-friedlichen Protests“ dar. 2011/12 gab es solche und solche Momente – etwa ein vielumjubeltes 4:2 über Red Bull Salzburg, aber auch eine ernüchternde 1:2-Cupniederlage gegen die SV Ried nach Verlängerung und der allgemeine Frust, die Europacup-Qualifikation in der Vorsaison verpasst zu haben. Der Protest der Rapid-Fans war zu diesem Zeitpunkt noch ein stiller, schlummernd in den Köpfen jedes Einzelnen, aber noch nicht fokussiert. Irgendwie merkte jeder, dass einige Dinge in die falsche Richtung liefen – doch wer war Schuld? Trainer, Mannschaft, Management, Präsidium – alle?
Der Beginn der Saison 2012/13 – alles wird besser?
Zu Beginn der Saison 2012/13 ließ eine leicht umgebaute Rapid-Mannschaft die Erwartungshaltung der Fans wieder steigen. Rapid überzeugte, gewann das Eröffnungsspiel der Saison gegen Wacker Innsbruck locker mit 4:0. Auch wegen seines Traumtors gegen die AS Roma, speziell aber wegen seiner beiden Einstandstreffer im ersten Ligaspiel, stellte man/sich Terrence Boyd ins Rampenlicht. Die Wortspiele „Boyd samma Meister“ oder einfach nur „Bis Boyd“ als Verabschiedung nach dem Stadionaufenthalt taten gut. Auch wenn man in der 3.Runde das Wiener Derby mit 0:3 verlor, blieb das Hoffnungslevel hoch – Niederlagen passieren eben, auch (oder gerade) gegen den Erzrivalen. Immerhin gewann Rapid zu Saisonbeginn mit 2:0 in Salzburg, glatt mit 3:0 gegen Sturm, lieferte dem Publikum gegen Vojvodina Novi Sad (2:0) und PAOK (3:0) packende Europacupfights.
Tabellenführung, Spiele die man verlieren darf und der Anfang des Chaos
Nach der 10.Runde übernahm Rapid, wenige Tage vor dem Europa-League-Auswärtsspiel in Kharkiv die Tabellenführung. Sieben von zehn Partien wurden gewonnen (7-1-2), die Austria rangierte punktegleich mit der schlechteren Tordifferenz nur auf Platz 2. Irgendwie sah alles wieder gut aus – doch wie es in Beziehungen so ist, schmerzt nach hochgeschraubter Erwartungshaltung jeder Rückschlag doppelt und dreifach. Und die fanatischen Fans des Rekordmeisters pflegen eben eine solche Beziehung mit ihrem Klub. Auch das gute Spiel bei Metalist Kharkiv, das unglücklich mit 0:2 verloren wurde, erschütterte die Fans noch nicht. So durfte man verlieren. Doch drei Tage später, ab dem 7. Oktober 2012, nahm das Chaos seinen Lauf.
0:4 gegen Leverkusen bei seltsam-guter Stimmung
Ein 1:1 zu Hause gegen den SC Wiener Neustadt, eine 0:2-Derbyniederlage in Favoriten, bei der Rapid einer echten Packung schmeichelhaft entging. Danach eine glatte 0:4-Heimniederlage gegen Bayer 04 Leverkusen im Happel-Stadion, bei unfassbarer Stimmung aus der Kurve, die sich mit dem Rücken zum Spielfeld beinahe über die gesamte zweite Halbzeit selbst feierte. Die Bilder aus Wien machten die Runde, die „Verrückten“ von der Fantribüne ernteten europaweit Respekt. Was auf den ersten Blick positiv aussah, war jedoch auch Fassade. Zwischen der schwach spielenden, teils nichtssagenden Mannschaft und den Supportern steckte bereits ein Keil. Die Spieler wurden nach der 0:4-Niederlage von den Fans weggeschickt.
Protest lange nicht fokussiert
Noch immer war der Protest nicht fokussiert. Er richtete sich nicht gegen bestimmte Personen, nicht gegen Hauptschuldige. So überfordert der gesamte Verein mit der prekären Lage war, so unsicher waren auch die Fans, die zumindest vorerst gespalten waren, worauf man seine Energien konzentrieren sollte. Wie so oft, gelang Rapid noch einmal ein Ausreißer: Red Bull Salzburg wurde zu Hause mit 2:0 besiegt – aber die Stimmung war bereits eine andere als beim 4:2-Heimsieg vor einem Jahr. Sportliche oder unternehmerische Philosophien waren für die Anhänger nicht mehr erkennbar und so waren schöne Einzelerfolge nur Tropfen auf den heißen Stein. Ein Gewitter braute sich zusammen, das sich in den nächsten Wochen erstmals entladen sollte.
Fans verlassen gegen Wolfsberg den Block
1:2 gegen Sturm. 0:3 in Leverkusen. Eine inferiore 0:2-Niederlage zu Hause gegen Aufsteiger Wolfsberg. Die Fanklubs auf West- und Osttribüne montierten ihre Transparente ab, verließen den Block – unter dem Applaus der Zuschauer auf den Längstribünen. Der erste Eindruck war ein positiver, schließlich war diese Art zu protestieren eine völlig gewaltfreie mit enormer Symbolkraft. Die Aktion vom Wolfsberg-Heimspiel brachte den Protest erst richtig ins Rollen – nun gab es kein Zurück mehr. Der Herbst endete wieder mit einigen „Tropfen“, etwa vier Ligasiegen in Serie gegen Mattersburg (a, 3:0), Admira (a, 2:0), Ried (h, 4:3) und Innsbruck (h, 2:1), dazu einem guten 1:0 über Metalist Kharkiv, einem schwachen 2:3 in Trondheim und einem katastrophalen 0:1 in Wiener Neustadt zum Abschluss der Herbstsaison.
Friedlicher Protest nach neun Spielen ohne Sieg
Der Frühjahrsstart brachte das Fass aber schließlich zum Überlaufen. Obwohl die ersten Spiele gegen die Austria (h, 1:2) und Salzburg (a, 3:3) wieder Hoffnung machten, blieb Rapid in neun aufeinanderfolgenden Spielen ohne vollen Erfolg. Unglückliches Wording von Schöttel und Schulte in einer unangenehmen Zeit, schürte die Grundaggression der Fans. Vor dem Heimspiel gegen den SC Wiener Neustadt kam es zum friedlichen Protest der aktiven Fanszene. „Vorstand raus“ und Co. waren (und sind) die Grundforderungen der Schlachtenbummler. Dass es in Hütteldorf fünf vor zwölf schlug, war längst jedem klar. Doch nur drei Tage nach dem Fanprotest folgte mit der 0:1-Heimniederlage im Cup-Viertelfinale gegen Pasching eines der schlechtesten Spiele der Vereinsgeschichte. Peter Schöttel wurde beurlaubt.
Europacup-Qualifikation enorm wichtig
So plätscherte die Saison weiter vor sich hin. Viele Fans waren sich nicht mal sicher, ob die Qualifikation für den Europacup für langfristige Ziele von Vorteil wäre. Ein reinigendes Gewitter müsse her. Der dritte Platz, den Rapid gegen Saisonende mit einer sehr jungen Mannschaft fixierte, war für den Verein in Wahrheit lebensnotwendig. Nur, dass das zu diesem Zeitpunkt kaum jemand wusste. Es steht finanziell schlecht um den SK Rapid, jeder Euro muss mehrmals umgedreht werden. Geld für Neuverpflichtungen ist keines mehr da. Das Verpassen des Europacups wäre fatal gewesen.
Vergleich 1995
Demnach geht Rapid mit einer sehr jungen Mannschaft in die neue Saison. Dies ist eine Situation, die man in Grün-Weiß schon aus der Vergangenheit kennt. Interessant ist, dass die richtig jungen Rapid-Teams auch stets die Sympathien für sich gewinnen konnten. So etwa in der Saison 1994/95, als man das letzte Mal den österreichischen Cup holte und die Saison als starker Dritter beendete. Marcus Pürk (20), Didi Kühbauer (23), Zoran Barisic (24), Gerald Obrecht (20), Stephan Marasek (24), Sergej Mandreko (23) und andere legten den Grundstein für eine enorm erfolgreiche Folgesaison, den Meistertitel und das Erreichen des Europacupfinales.
Vergleich 1980
Eine ähnliche Situation gab es auch 1980, als Rapid schwacher Fünfter wurde. Ein Jahr später näherte man sich der Spitze als Dritter wieder an – und in den nächsten sieben Jahren war Rapid jeweils Meister (4x) oder Vizemeister (3x). Auch damals bildeten junge Kicker wie Peter Persidis (23), Reinhard Kienast (20), Johann Pregesbauer (21), Bernd Krauss (23), Peter Sallmayer (18), Heinz Weiss (21), Helmut Hofmann (19), Christian Keglevits (19) oder Martin Lefor (20) den wechselhaften Rapid-Kader.
Stimmungsboykott beendet!
Dass es in Hütteldorf wieder bergauf geht, erfordert Veränderungen an einigen Ecken und Enden. Einige Zahnräder drehen sich bereits, andere müssen noch in Gang gesetzt werden. Was die sehr junge Rapid-Mannschaft aber braucht – Unzufriedenheit hin oder her – ist die Unterstützung der Anhängerschaft. Wie die Ultras Rapid in ihrer Aussendung richtig erkannten, sind die Nachwuchsspieler, die in der neuen Saison aufs Feld geschickt werden, nicht für den Scherbenhaufen, den es in Wien-Hütteldorf aufzuräumen gilt, verantwortlich. Deshalb entschieden sich die aktiven Fanklubs dazu, den Stimmungsboykott zu beenden und die Mannschaft wieder zu unterstützen. Die einzig richtige Entscheidung in der momentanen Situation – und zugleich auch die Entscheidung, die von der breiten Fanmasse goutiert wird, wie kaum eine andere in den letzten Jahren. Wenn es keinen Grund für Euphorie gibt, muss man sie eben selbst schaffen. Dass sich die Rapid-Fanklubs zu diesem Schritt entschlossen, verspricht die neue Saison noch einen Tick interessanter zu machen. Auch vor dem Hintergrund, dass die Forderungen nach Veränderung weiter bestehen und der Protest somit wieder im Kopf jedes Einzelnen schlummert wie einst.
Daniel Mandl, abseits.at
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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