Szenenanalyse: Rapids Sechser, Michael Brandner und die Schlüsselzone Zentrum
Bundesliga 21.März.2016 Alexander Semeliker 1
Nächster Dämpfer für den SK Rapid im Titelkampf. Die Hütteldorfer verloren im Sonntagsspiel der 28. Runde bei der SV Ried mit 0:1, haben nun vier Punkte Rückstand auf Red Bull Salzburg und können aus eigener Kraft nicht mehr Meister werden. In diesem Artikel wollen wir uns mit der entscheidenden Zone in diesem Spiel, die Besetzung des Mittelfeldzentrums und die Rollen der Sechser auf beiden Seiten, beschäftigen. Dafür analysieren wir einige Szene aus der Partie.
Die Rollen dieser Partie waren klar verteilt. Während Rapid als Tabellenzweiter ein sehr ballorientiertes Spiel verfolgt, setzt Ried im Abstiegskampf vor allem daheim auf eine reaktive Spielweise, mit der man zwar selbst kein Offensivfeuerwerk abbrennen kann, aber äußerst effizient in der Defensive ist. Das Spiel gegen Rapid war ein Paradebeispiel dafür.
Rapids tiefe Doppelsechs
Ein markantes Problem, das Rapid schon seit langer Zeit hat und erst bei der 0:4-Blamage gegen die Admira letzte Woche wieder sichtbar wurde, ist die Absicherung des Gegenpressings. Der Abstand zwischen erster Pressinglinie und Restverteidigung ist meist sehr groß, sodass die Gegner im hohen Tempo ihre Konter vortragen können. Möglicherweise spielte auch das eine Rolle in den Überlegungen von Rapid-Trainer Zoran Barisic. In der Keine Sorgen Arena agierte die grün-weiße Doppelsechs nämlich sehr tief.
Diese Umstellung hatte zum einen den Vorteil, dass Rapid noch stärker den Ball kontrollieren konnte und Ried praktisch überhaupt keine Chance hatte mehrere Pässe am Stück zu spielen. Die Innviertler hatten nur rund 31% Ballbesitz und brachten nur 50% ihrer Zuspiele an den Mann – der zweitniedrigste Wert der heurigen Saison. In der gegnerischen Hälfte knackten sie mit einer Passgenauigkeit von 38,7% sogar den Negativrekord. Der Siegtreffer fiel wenig überraschend nach einem von zahlreichen langen Bällen, deren Anteil (37,2%) nur unwesentlich unter dem bisherigen Höchstwert (37,6%) liegt.
Fehlender Ankerpunkt im Zentrum
Demgegenüber stand allerdings ein horrender Nachteil. Durch die tiefe Positionierung konnte man nämlich die eigentlichen Schwächen des Rieder Systems nicht bespielen. Die Oberösterreicher haben im 3-4-3 nämlich Probleme bei der Besetzung der Räume vor der Dreierkette. Ein Sechser rückte im Pressing nach vorne, der andere sicherte dahinter ab. SVR-Coach Paul Gludovatz nannte dieses Verhalten im Interview nach dem Spiel „Pumpen“. Die Flügelverteidiger waren ebenso auf den Seiten gebunden wie die Halbverteidiger, da die Rapid-Außenverteidiger hoch standen und mit den Flügelspielern ein Pärchen bildeten.
Durch diese Umstände hatten die Rieder nun zwar im Zentrum nur einen Spieler, der viel Raum abdecken musste, Rapids Sechser verhielten sich wie erwähnt jedoch konservativ. In der obigen Szene hätte der rechte Sechser, Srdjan Grahovac, beispielsweise etwas höher stehen und so für viel mehr Dynamik sorgen können. Er hätte eine offenes Sichtfeld nach vorne, könnte auf beide Seiten frei verlagern oder selbst nach vorne gehen. Würde sich der ballferne Sechser der Rieder zu ihm orientieren, dann wäre für Stefan Schwab hingegen der direkte Passweg in die Spitze frei. Tatsächlich gab es dann einen nicht erfolgreichen langen Ball.
Brandners weiträumige Rolle
Die Probleme im Sechserraum haben die Rieder bereits seit längerer Zeit – ein Zeichen, das man es bewusst in Kauf nimmt. Sie haben in ihrem Kader nämlich vier außergewöhnlich gute Spieler für diese Rolle als alleiniger weiträumiger Sechser. Die Nummer eins auf dieser Position, Marcel Ziegl, feierte gegen Rapid nach langer Verletzung zwar sein Comeback, dürfte jedoch kurzfristig noch keine Alternative sein. Sein nomineller Ersatzmann, Michele Polverino, und der taktisch extrem vielseitige Gernot Trauner standen gegen Rapid nicht zur Verfügung.
Somit kam ein anderer äußerst interessanter Mann zum Einsatz: Winterneuzugang Michael Brandner. Und der 21-Jährige bewies sein großes Potenzial, gewann nicht nur sieben Tackles und fing vier Pässe ab, sondern agierte auch am Ball im Zentrum noch am sichersten. Viel wichtiger war er jedoch aufgrund seiner strategisch äußerst intelligenten Positionierung. Ständig blickte er sich um, schaute, wo Räume zu verschließen, Gegenspieler zuzustellen oder zu attackieren waren. Seine Entscheidungsfindung und Antizipation war dabei extrem gut.
In dieser Szene will Rapid über die Seite durchbrechen. Der Zehner der Gäste bewegt sich an und für sich sehr gut, will Brandner aus dem Zentrum ziehen. Dass dieser diesen Weg mitgeht ist allerdings keinesfalls ein Fehler, denn würde das nicht tun, hätte sein Gegenspieler freie Bahn nach vorne. Wichtig ist, dass er in der Folge – nachdem der Ballführende Rapid-Spieler abbremst – ebenfalls die Richtung ändert. Genau das macht Brandner schließlich.
Nach dem anschließenden Rückpass kommt nämlich jener Rapid-Spieler an den Ball, für den Louis Schaub im obigen Moment den Raum öffnete. Hätte Brandner anders reagiert, hätte der angespielte Rapidler sein Sichtfeld auf die ballferne Seite drehen können, wo Rapid enorm viel Platz hätte. Da Brandner in seinem Rücken lauert und der Stürmer dahinter den zweiten Sechser ebenfalls zustellt, ist das nicht möglich. Der Ball bleibt am aktiven Flügel, wo Ried in Überzahl steht und ihn erobern kann.
Ried verteidigt die wichtigen Räume
Analog zu Brandners nahezu perfektem Timing zeigte sich die gesamte Rieder Mannschaft im Verteidigen variabel, verteidigte nicht flächendeckend alle Räume, sondern lediglich die wichtigen. In den obigen Szenen fokussierten sie sich beispielsweise auf die Seiten, ließen ballfern teils große Löcher, die Rapid aber aufgrund des guten Anlaufverhalten der Rieder meist nicht bespielen konnten – zumindest nicht direkt. In anderen Aktionen, wie zum Beispiel der nachstehenden, konzentrierten sie sich auf das Versperren des Zentrums.
Ried lässt sich hier von der tiefen Positionierung der drei Rapid-Aufbauspieler nicht herauslocken, sondern bleibt eng im Zentrum. Der linke Flügelverteidiger bleibt tief und rückt ebenfalls nicht auf den Gegenspieler vor ihm heraus. Würde dieser an den Ball kommen würde er nämlich ohnehin in eine Eins-gegen-Eins-Situation gezwungen werden, weil die Rieder aus dem Zentrum kurze Wege im Verschieben hätten und die dortigen potenziellen Anspielstationen ohne Probleme zustellen könnten.
Die Wechselwirkung der beiden erwähnten Faktoren – tiefe Rapid-Sechser und weiträumige Rolle der Ried-Sechser – war jedoch keinesfalls so einseitig, dass die Hausherren in dieser Hinsicht als klarer Sieger vom Platz gegangen wären. Einerseits konnten die Rieder wie erwähnt kaum eine flüssige, strukturierte Offensivaktion setzen, andererseits schafften es die Gäste auch, ihren Gegner manchmal herauszulocken und Tempoangriffe zu fahren. Allerdings zeigten sie beim Ausspielen dieser Aktionen immer wieder Unsauberkeiten. Die verstolperte Chance von Matej Jelic in Halbzeit eins war das perfekte Sinnbild dafür.
Alexander Semeliker, abseits.at
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