Würde jedes Spiel nach nur 60 Minuten abgepfiffen werden, wäre Rapid aktuell Tabellenführer der österreichischen Bundesliga. Angesichts eines 17-Punkte-Rückstands auf Red Bull Salzburg NACH... Tabellenführer nach 60 Minuten: Rapid als „Meister der ersten Stunde“

Würde jedes Spiel nach nur 60 Minuten abgepfiffen werden, wäre Rapid aktuell Tabellenführer der österreichischen Bundesliga. Angesichts eines 17-Punkte-Rückstands auf Red Bull Salzburg NACH Punkteteilung eine unglaubliche Statistik. Aber wie kommt es dazu?

Wäre nach 60 Minuten Schluss, stünde Rapid zwei Punkte vor Sturm Graz, fünf vor dem WAC, acht vor Salzburg. In den ersten 60 Minuten hat Rapid zudem sechs Tore mehr erzielt als Salzburg, die in der tatsächlichen Tabelle 17 Treffer mehr auf dem Konto haben als die Hütteldorfer. Zwölfmal führte Rapid – und damit dreimal öfter als Salzburg. Nur dreimal lag man zurück – zweimal weniger als Salzburg. Der Lokalrivale Austria Wien wäre in dieser Tabelle sogar nur Zehnter.

Quelle: transfermarkt.at

Nach 60 Minuten geschieht aber offenbar etwas, das dieses Bild völlig kippen lässt. Blickt man nach Salzburg kommt man der Lösung der Probleme etwas näher. Die Roten Bullen sind in der zweiten Halbzeit im Allgemeinen deutlich zwingender. In der ersten Halbzeit kommen die Salzburger durchschnittlich pro Partie nur auf 0.96 Expected Goals, in der zweiten Halbzeit sind es im Schnitt 1.50 xG, also deutlich mehr. Rapid kommt in der ersten Halbzeit auf 0.77 xG pro Spiel, bis zur 60. Minute sogar auf 1.09 xG. Ab der 60. Minute liegt Rapid aber nur noch bei 0.64 xG, die Gegner der Grün-Weißen sogar bei 0.70 xG und damit vorne.

Daraus kann man ableiten, dass Rapid zumeist auch gut aus der Pause kommt, was in einigen Fällen wohl auch mit nicht zufriedenstellenden Phasen vor der Pause und einem damit einhergehenden Neujustieren und Einschwören in der Kabine zu tun hat. 10 von 40 Saisontoren erzielte Rapid in der Phase von der 46. bis zur 60. Minute – also gelang ein Viertel der Tore in einem Sechstel der Gesamtspielzeit.

Würde die Tabelle nur von der 61. Minute bis zum Abpfiff zählen, würde Rapid gegen den Abstieg kämpfen. Hier ist man unglaublicherweise Elfter, nur zwei Zähler vor der SV Ried, der einzigen Mannschaft, die in dieser Phase noch schlechter abschneidet. Rapid konnte in der letzten halben Stunde plus Nachspielzeit nur zehn Treffer erzielen und hat die schlechteste Tordifferenz der gesamten Liga. Ein Kuriosum, wenn man bedenkt, wie symbolträchtig die Rapid-Viertelstunde seit über 100 Jahren ist.


Quelle transfermarkt.at

Die Gründe für diesen gewaltigen Leistungsabfall lassen sich nur erahnen, sind aber teilweise durchaus sichtbar, wenn man Rapid als Ganzes betrachtet. An vorderster Stelle steht natürlich der dünne Kader der Wiener. Zwar rücken zahlreiche Talente aus dem eigenen Nachwuchs nach, aber die echten „Game Changer“ kann Feldhofer bzw. konnte Kühbauer nicht von der Bank bringen.

14-mal wurde Kelvin Arase eingewechselt, zehnmal Kitagawa, neunmal Schick, siebenmal Knasmüllner. Diese (Offensiv-)Spieler sollen bei Rapid diejenigen sein, die in den Schlussphasen das Ruder herumreißen sollen, waren tatsächlich aber die schwächsten Rapid-Spieler in der laufenden Saison. Der Vergleich, was Salzburg von der Bank bringen kann, ist aufgrund der großen Unterschiede in den Möglichkeiten unzulässig. Sehr wohl muss man aber die große Diskrepanz zu den Einwechselspielern von Sturm, der Austria und sogar Hartberg beachten.

Auch physisch hat Rapid Defizite. In den allerwenigsten Spielen hatte man das Gefühl, dass die Hütteldorfer ausreichend Reserven hatten, um den Gegner in der letzten halben Stunde noch niederzurennen. Das ist aber nicht nur ein Konditions- oder Ausdauerproblem, sondern allgemeinen physischen Schwächen geschuldet. Rapid fehlen quasi die „Monster“, die nicht nur die berühmten zusätzlichen Meter gehen können, sondern dem Gegner auch durch allgemein starke Physis in der anstrengendsten Phase eines Spiels mehr entgegensetzen können.

Apropos „Monster“: Auch Mentalitätsmonster sucht man bei Rapid weitgehend vergeblich. Die zuvor erwähnten Wechselspieler, die die Kohlen aus dem Feuer holen sollten, sind allesamt keine. Aber auch sonst fehlt es Rapid an Eigeninitiative, Selbstverständlichkeit und Mut. Gerade in der zweiten Halbzeit, wenn die Beine schwerer werden, gibt es auf den Positionen auf der Zentralachse kaum Spieler, die vorne weggehen und dem Spiel noch einmal den entscheidenden Touch geben.

Auch der Umgang Rapids mit Rückschlägen ist hier ein Thema. Je weniger Zeit man hat, um derartige Rückschläge wegzustecken, desto größer wird der Stress und die Unsicherheit bei den Grün-Weißen. Auch etwas, was Rapid von den allgemein besser positionierten Teams unterscheidet. Salzburg oder Sturm können Tore erzwingen, Rapid schaffte dies am ehesten beim 3:2-Sieg über den LASK in der 13. Runde (als man aber schon 2:1 führte und ein wichtiges drittes Tor nachlegte) und beim soliden 2:2 bei Sturm Graz am 20. Spieltag – übrigens jeweils aus Standardsituationen. Muss man aus dem Spiel heraus für einen Lucky Punch sorgen, fehlt es Rapid in letzter Konsequenz an den Überraschungsmomenten, Überzeugung, Ideen und Konzentration, sowie eben an der nötigen Physis.

Der Unterschied zwischen der ersten gezeigten Tabelle nach einer Stunde und der zweiten ab der 61. Minute ist zu markant, um das Resultat nur auf eine gewisse Varianz zu schieben. Rapid muss aus dieser Statistik lernen, auch was die bevorstehende Sommertransferzeit betrifft.

Würde Fußball nur aus der ersten Stunde eines Spiels bestehen, könnten die Rapid-Fans hocheuphorisiert ihrem großen Traum eines Titels entgegenfiebern – aber so lässt das Heranbrechen der 61. Minute die Fans eher erschaudern. Dabei handelt es sich übrigens um kein neues Phänomen: Das letzte Mal, dass Rapid in der Phase von der 61. Minute bis zum Abpfiff die zweitbeste Mannschaft hinter Salzburg war, war in der Saison 2015/16. Seitdem lagen auch immer wieder Teams wie Mattersburg, Altach oder Hartberg vor den Wienern – und dort wird bekanntlich stets großer Wert auf physische Arbeit gelegt…

Daniel Mandl, abseits.at

Daniel Mandl Chefredakteur

Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen

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