„Wenn die Sonne hinter den Dächern versinkt …“ – Warum hat Mario Sonnleitner im Nationalteam kein „Leiberl“?
BundesligaNationalteam 10.September.2013 Marie Samstag 11
„Wenn die Sonne hinter den Dächern versinkt, bin ich mit meiner Sehnsucht allein. Wenn die Kühle in meine Einsamkeit dringt, kommen ins Zimmer Schatten herein.“, schmachtete die Wiener Sängerin Greta Keller einst in den 30er-Jahren. Sie war ein Schallplattenstar, tourte durch die ganze Welt und gab Lieder auf Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch zum Besten. Bis nach Hollywood kam die Frau mit der dunklen Stimme, wo sie in einigen Filmen und Musicals mitwirkte. Später unterhielt sie Prominente und wohlhabende Skitouristen in ihrem eigenen Nachtklub „Chez Greta“ in St. Moritz. Anschließend war sie in der Kellerbar des New Yorker Waldorf-Astoria tätig. Trotz all dieser Erfolge stand die Wiener Diseuse immer im Schatten der ganz Großen. Der einst unbekannten Berliner Schauspielerin Marlene Dietrich hatte sie in den Anfangsjahren ihrer Karriere, die richtige Art zu Singen vermittelt. Wenn die Dietrich also später schläfrig ins Mikrofon timbrierte, imitierte sie Gretas Stil. Die Kopie wurde weltberühmt und eine unvergessene Stilikone, das Original ist heute fast ganz vergessen.
Die Greta-Keller-Melancholie: „Nachts bin ich allein mit meinen Träumen…“
Vergessen ist offensichtlich auch Mario Sonnleitner. „Sonnis“ Sonne versinkt regelmäßig hinter den Dächern, wenn der österreichische Teamchef seine Kaderzusammenstellung bekannt gibt. Dann bleibt der Vorauer mit seiner Sehnsucht nach einem A-Team-Einsatz allein. Dabei spielt Sonnleitner seit Jahren auf konstantem Niveau, ist ein harter Arbeiter, wie auch Greta Keller. Wenn man den Vergleich mit der Sängerin aber weiterführen möchte, müsste Sonnleitner bei Arsenal, Dortmund oder Lazio spielen. Das tut der Ost-Steirer nicht. Er ist seit Sommer 2010 beim SK Rapid Wien unter Vertrag, davor war er für Sturm Graz tätig. Mannschaften mit Titelambitionen, auch wenn sie zurzeit ein wenig auf der Stelle treten. „Sonni“ war/ist bei beiden Teams Stammspieler. Ein kopfballstarker Abwehrchef, der über ein besonderes Merkmal in Österreich verfügt: Er ist äußerst schnell.
In der „Buberlpartie“ von Zoran Barisic ist der noch 26-Jährige (Geburtstag: 8. Oktober 1986) mittlerweile der älteste Österreicher. Mit 95 Ligaspielen für Rapid Wien ist er auch noch ein erfahrener Spieler. Der Dauer(b)renner dirigiert die Abwehr des Rekordmeisters inzwischen mit geübter Hand.
Obwohl diese Fakten alle auf der Haben-Seite seiner Visitenkarte stehen, kann Sonnleitner bislang keine Einberufung in den Kader des Nationalteams in seiner Bilanz verbuchen. Das rot-weiß-rote Trikot durfte er sich nur in der U19 und der U21 überstreifen. Ex-Teamchef Hickersberger ließ ihn 2006 am Teamtrainingslager in Dubai teilnehmen, doch danach stand das Telefon bei Sonnleitners wieder still.
In seiner Klubkarriere hat sich der Steirer nicht nur Freunde gemacht. Seine Ausbildung in der GAK-Akademie führte dazu, dass ihn die Sturm-Graz-Fans nach seinem Wechsel zu den „Schwoazen“ nicht gerade mit offenen Armen empfingen. Nach dem Abgang von Sebastian Prödl 2008 zu Werder Bremen konnte sich „Sonni“ jedoch einen Stammplatz erkämpfen und lieferte großteils solide Partien ab. Dem ein oder anderen werden trotzdem einiger seiner „Böcke“ in Erinnerung sein. Obwohl er oft sicher und kampfstark wirkte, passierte ihm hin und wieder ein kapitaler Aussetzer. Im April 2010 leitete er gegen Kapfenberg zum Beispiel durch einen verunglückten Fehlpass ein Gegentor ein, ein Jahr zuvor köpfelte er im Match gegen die Austria ins Tor. Das Problem dabei war, dass er ins eigene Netz traf.
Grundsätzlich sind das Fehler, die jedem Spieler passieren. Bei „Sonni“ passierte dies zeitweise jedoch in regelmäßigen Abständen. 2010 wechselte Sonnleitner aus Graz nach Wien.
Kernöl-Mario veredelt die Wiener Abwehr
Viele Rapid-Fans waren also nicht unbedingt erfreut, dass der Bockschütze aus dem Bezirk Hartberg ihr neuer Innenverteidiger werden sollte. Sie übersahen dabei, dass Sonnleitners Geschwindigkeit kombiniert mit seiner robusten Spielweise ein Ass im Ärmel der Hütteldorfer sein würde. Tatsächlich belehrte der Spieler seine Kritiker eines besseren. Seine Fehlerquote reduzierte sich radikal und er brachte frisches Blut in eine Abwehrreihe, die mit Katzer, Soma, Patocka, Dober und Co. beinahe einer Schneckenparade glich. Einen fahlen Beigeschmack hatte der Transfer aber doch: Sonnleitner hatte behauptet wechseln zu wollen, da er im Ausland dem Ziel im Nationalteam zu spielen näher käme. Die Sturm-Anhänger, die einem „Roten“ sowieso nie vollkommen über den Weg trauten, waren nun endgültig beleidigt.
Und hier drängt sich wieder der Vergleich mit Greta Keller auf. Trotz seiner regelmäßigen Spiele, scheint Sonnleitner kaum jemandem aufzufallen, auch nicht dem Teamchef, egal wie der gerade heißt. Er mauert eine anständige Abwehrkette zusammen, rennt alles nieder was sich bewegt und dennoch nimmt fast niemand von ihm Notiz. Dabei ist Sonnleitner einer der konstantesten Spieler der Bundesliga. Liegt es vielleicht daran, dass Rapid Wien selbst zu wenig gleichmäßige Erfolge erzielen konnte? Bei Rapids Auswärtserfolg in Birmingham erzielte der Steirer mit einem wuchtigen Kopfballtreffer das zwischenzeitliche 2:2. Die Saison 2010/2011 endete für die Grün-Weißen jedoch nur auf Platz fünf. Der Europacupstartplatz wurde verpasst, der Trainer schon vorher entlassen und die Wut über das Team entleerte sich im Mai 2011 im Platzsturm beim Wiener Derby.
Auch in den folgenden zwei Saisonen gab es ein typisch wienerisches Kalt/Warm in Hütteldorf: Auf den Herbstmeister folgte der zweite Platz hinter Red Bull Salzburg, ein Jahr später ging es wieder bergab. Meister wurde 2013 der Erzrivale aus Favoriten, Trainer Peter Schöttel musste gehen. Überall mittendrin: Mario Sonnleitner als gesetzter Innenverteidiger. Doch kann diese Gefühlsachterbahn tatsächlich schuld sein, dass Sonnleitner im Nationalteam keinen Platz hat?
„Orti“ und „Sonni“ im Vergleich
Manuel Ortlechner verpasste 2011/12 mit Austria Wien knapp einen Europacup-Platz, ein Jahr später wurden die Favoritner nach einer Rekordsaison Meister. Jedoch wird der Oberösterreicher regelmäßig ins A-Nationalteam einberufen. Meistens kommt er dort bei Freundschaftsspielen zum Einsatz und sitzt sonst vorwiegend auf der Ersatzbank. Jedoch stellt sich trotz allem die Frage: Was hat „Orti“, das „Sonni“ fehlt?
Gemeinsam haben die beiden auf jeden Fall, dass sie regelmäßig bei ihren Teams auf der Position des Innenverteidigers zum Zug kommen. Beide sind die Abwehrchefs der Hintermannschaft. Der 33-jährige Austrianer hat jedoch viel mehr Spiele in den Beinen als der 26-jährige Rapidler. Alleine für die Austria absolvierte Kapitän Ortlechner 125 Partien. Der wortgewandte Rieder ist spielerisch stärker als Sonnleitner, verfügt aber auch über das große Handicap der fehlenden Schnelligkeit. Wie so viele österreichische Innenverteidiger. Während Sonnleitner ein „Akademie-Kind“ ist, war Ortlechners Laufbahn ungewöhnlich: Er spielte im Nachwuchs der SV Ried und absolvierte nebenbei die HAK-Ausbildung.
Der violette Abwehrchef verfügt über eine tolle Passquote und gutes Spielverständnis, Mario Sonnleitner ist der spritzigere, zweikampfstärkere Spieler. Diese Kampfstärke beweist Sonnleitner auch außerhalb des Platzes. Als Innenverteidiger Nummer 3 geholt, spielte er einen Spieler nach dem anderen aus der Stammelf und setzte sich so im Team fest.
Böse Zungen behaupten, dass Ortlechner seinen „Gentleman-Stil“ auf dem Platz des Öfteren vergesse. Von Auf-die-Zehen-Steigen bis zu verdeckten Ellbogeneinsätzen sei bei ihm alles dabei, sagen Kritiker.
Nichtsdestotrotz hat es auch sportliche Gründe, dass der 33-Jährige regelmäßig zum Einsatz kommt. Ortlechner ist der ruhige, routinierte und spielsichere Verteidiger, seinen „Gegenpol“ hat er stets in einem frischen und flotten Defensivtalent neben sich: Margreitter, Dragovic oder Rogulj. Eine gute Idee für ein Innenverteidigergespann, das möglichst vielen Angriffen standhalten soll.
Ist es Ortlechners Stellung als Kapitän eines Wiener Traditionsvereins, die ihn für das Nationalteam attraktiv macht? Steht der Oberösterreicher einfach mehr in der öffentlichen Auslage als sein Konkurrent aus Wien-Hütteldorf?
Manuel Ortlechner könnte man als Medienprofi bezeichnen: Er hat eine eigene Homepage, die so manch anderen Webauftritt eines bekannteren Fußballprofis wie die Bastelaktion eines Neunjährigen aussehen lässt. Auch auf Twitter und bei Google+ lässt der Abwehrchef Fans der Veilchen an seinem Leben teilhaben. Eine Internetseite für seine Fotografien gibt es zum Drüberstreuen. Etwas irritiert gab der Innviertler 2009 beim Interview mit seinem Arbeitgeber zu Protokoll, er wolle sich nicht selbst darstellen sondern sei einfach nur an neuen Kommunikationswegen interessiert. So wird der Spieler auch öffentlich gerne dargestellt: Vielseitig talentiert und interessiert, intelligent, ein Vorzeigeprofi und beliebter Kumpeltyp.
Die Personalie Sonnleitner – Für immer im Schatten?
Sonnleitner dagegen ist medial kaum präsent. Hin und wieder gibt’s ein Interview, seine Rolle als Chef in der Rapid-Defensive wird jedoch kaum thematisiert. Meinungen aus seinem klugen Kopf, den etliche Kopfballduell-Cuts schmücken, werden nur selten gebracht. Auch sein Internetauftritt ist lange nicht so „aufregend“ wie Ortlechners: Er ist bescheiden wie Sonnleitner selbst, vielleicht zu bescheiden. Wer gut ist, muss schließlich auch drüber reden, sonst kommt er nicht weiter.
Dennoch es ist wohl lächerlich anzunehmen, dass Ortlechners Außendarstellung ihn ins Nationalteam brachte. Seine Routine wird wohl der ausschlaggebende Faktor sein. Diese verhilft ihm aber auch nicht zu Einsätzen für Rot-Weiß-Rot. Dragovic und Prödl gehören zu den jüngeren Spielern, die aber auch schon viele Matches in den Beinen haben und bei Topklubs im Ausland aktiv sind. Pogatetz hat ähnliche Anlagen wie Ortlechner, verfügt aber über eine härtere Spielweise und kann jahrelange Premier-League-Erfahrung vorweisen. Auch der Innviertler bleibt also meistens ohne Leiberl im Nationalteam. Als Ersatzmann scheint er für Koller dennoch stets erste Wahl zu sein.
Es scheint als habe Mario Sonnleitner im August 2013 das Kapitel Nationalteam beendet: „Da gibt es einfach Leute, die meine Person nicht wollen und fertig. Ich habe damit abgeschlossen„. Wer das sein soll und warum das der Fall ist bleibt ein wahres Rätsel. Ist der Steirer doch wirklich nicht als unverlässlicher Bad Boy aufgefallen, sondern vielmehr als anständiger Profi.
Schon ein Jahr zuvor hatte Sonnleitner laut gefragt: „Wenn belegbar ist, dass unsere Abwehr die gesamte Saison über exzellent gearbeitet hat, statistisch über die besten Werte aller Klubs verfügt, warum steht dann kein einziger Feldspieler aus dieser Formation im ÖFB-Kader?“
Laut ÖFB-Direktor Willi Ruttensteiner ist der Verband frei von persönlichen Eitelkeiten. Für diese Aussage wäre Stürmerlegende Hans Krankl einmal fast an die Decke gegangen und nannte den Funktionär vor laufenden Kameras einen „Lügner“. Hat sich Sonnleitner mit dieser Kritik ins Abseits gespielt? Er ortete im ÖFB Personen hinter dem Teamchef, die gegen seine Person stimmen.
Wenn man es realistisch betrachtet: Selbst wenn „Sonni“ morgen im Nationalkader stehen würde, viele Spiele würde er wohl nicht absolvieren. Die Auslandsösterreicher sind ihm eine Nasenspitze voraus, aber ein tatkräftiger Ersatzmann würde schon im Rapidler stecken. Es haben schon Schlechtere im Team gespielt. Die Chancen auf eine Einberufung werden aber geringer, denn auch ein Sonnleitner wird nicht jünger. Vielleicht wird aber doch noch ein weiterer Song von Greta Keller wahr:
„I believe in miracles, strangers it may be…. “
Marie Samstag, abseits.at
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