„Halb Mensch, halb Tier, HW4“ – so lautet eines der zahlreichen Kultstatements über Heiko Westermann, den Mann mit der Nummer 4. Die nächsten zwei Saisonen wird der 27-fache Nationalspieler beim FK Austria Wien verbringen. Die Meinungen über die Sinnhaftigkeit des Transfers sind geteilt. Was erwartet die Austria mit dem Innenverteidiger tatsächlich?
Austria brauchte einen Innenverteidiger
Die Innenverteidigung war eine Position, auf der die Veilchen unbedingt etwas machen mussten. Lukas Rotpuller verlängerte seinen Vertrag nicht, Neuzugang Marco Stark ist für die Amateure eingeplant, die Jungen Borkovic, Gluhakovic und Jonovic, die allesamt innen spielen können, sind noch nicht weit genug für eine hoffentlich lange Europacupsaison. So blieben noch Filipovic, der gesetzt ist und der hochveranlagte Abdul Kadiri Mohammed, der in der Hierarchie weiter aufsteigt.
Von Fürth über Bielefeld zu Schalke
Die Karriere des Heiko Westermann zündete verhältnismäßig spät. In jungen Jahren war der gebürtige Unterfranke Stammspieler bei der SpVgg Greuther Fürth und bei Arminia Bielefeld, ehe er kurz vor seinem 24.Geburtstag zum FC Schalke 04 wechselte. Dort ging der Aufstieg erst so richtig los: In seinen ersten beiden Saisonen in Gelsenkirchen war er unumstrittener Stammspieler in einer starken Schalker Mannschaft, die Dritter und Achter wurde. In der Saison 2008/09 erzielte der offensivstarke Abwehrspieler – inklusive Nationalteam – elf Treffer.
Der Wechsel nach Hamburg
2009/10 stieg Westermann zum Kapitän der Knappen auf, vollzog jedoch nach dem Vizemeistertitel einen Wechsel, der einiges in seiner Karriere veränderte. Der Hamburger SV, selbst nur Siebter, holte Westermann um 7,5 Millionen Euro Ablöse in den deutschen Norden. Es folgten fünf Jahre beim HSV, in denen der Routinier ebenfalls dauerhaft Stammspieler war. Und anfangs lief auch noch alles gut.
Schwere letzte Jahre beim HSV
In den ersten drei Jahren beim HSV war der Bundesliga-Dino weitgehend „safe“, geriet nur einmal annähernd in den Abstiegsstrudel. Ab der Saison 2013/14 wurde es jedoch schwierig: Der HSV – mit Westermann als Abwehrchef – musste zweimal hintereinander in die Relegation und Westermann verlor im Herbst 2013 seinen Platz im erweiterten deutschen Teamkader, was ihm am Ende auch eine Teilnahme an der erfolgreichen WM 2014 verwehrte. Bitter: Schon 2010 in Südafrika fehlte Westermann verletzungsbedingt.
Harte öffentliche Kritik
In seinen letzten beiden Saisonen beim HSV stand der Innenverteidiger plötzlich heftig in der Kritik. An seinem Einsatz und seinem Kampfgeist zweifelte nach wie vor niemand, aber bezüglich seiner spielerischen Leistungen und auch seiner Schnelligkeit, musste er sich einige Rüffel aus der Öffentlichkeit gefallen lassen.
Namhafte Interessenten nach HSV-Aus
Nach dem „Fast-Abstieg“ 2015 – der HSV setzte sich hauchdünn in der Relegation gegen den KSC durch – wurde Westermanns Vertrag nicht verlängert und Westermann ging auf Vereinssuche, wobei er einen Wechsel ins Ausland als Ziel verkündete. Schnell flatterten Angebote für den bulligen Deutschen ins Haus: Galatasaray war einer der ersten Interessenten, es folgten PAOK Saloniki mit Sportchef Frank Arnesen und sogar Juventus Turin, das ihn zwecks höherer Kaderdichte ins Auge fasste.
Guter Start in Spanien
Am Ende wurde es Sevilla – und zwar der kleinere Klub der Stadt, Betis. Die Zeit in Spanien begann eigentlich gut: Westermann war sofort Stammspieler, in seinem fünften Spiel – einem 2:0-Auswärtssieg bei Rayo Vallecano – erzielte er in „Beckenbauer-Manier“ sein erstes Tor für den Traditionsverein.
Erste Verletzung nach langer Zeit
Zum Jahresende 2015 kam dann aber der große Rückschlag im Camp Nou: Mit einem Eigentor leitete er die 0:4-Niederlage von Betis ein und schon nach einer halben Stunde musste er verletzt runter. Die unangenehme Diagnose: Knochenödem, sechs Wochen Pause. Westermann wagte sich kurz danach beim 2:2 gegen La Coruña an sein Comeback, musste danach gleich wieder drei Wochen pausieren. Eine Eigenart, die das tückische Knochenödem an sich hat; man weiß nie wirklich, wann es wieder ausbricht bzw. ob es vollständig ausgeheilt ist. Nach 20 Spielen, einem Tor und zwei gelb-roten Karten war das Spanien-Engagement des Alzenauers wieder vorbei.
Ajax: Fehler beim Debüt
Weiter ging’s nach Holland, wo Westermann das holen wollte, was ihm in seiner langen Karriere bisher versagt blieb: Titel! Anfänglich lief auch alles nach Plan und der Innenverteidiger spielte beim 2:1-Auswärtssieg bei PAOK Saloniki in der Champions-League-Qualifikation durch. Allerdings hatte er schwere Probleme mit dem Kapitän der Griechen, Stefanos Athanasiadis, bei dessen Treffer er nicht gut aussah. Ajax machte sofort tabula rasa und steckte den Deutschen nur zwei Wochen später in die zweite Mannschaft.
Länger in der zweiten Mannschaft
Westermann wurde zum Sinnbild für die merkwürdige Einkaufspolitik des Rekordmeisters. In der Eredivisie stand er nur 159 Minuten auf dem Platz, für die zweite Elf in der zweiten holländischen Liga spielte er häufiger als für die Kampfmannschaft. Doch auch dort schoss Westermann seine Böcke, weshalb er nie zur ersten Elf zurückfand. Im holländischen Fernsehen bezeichneten ihn Experten schon als „Spaßtransfer“. Das Problem war dabei weniger, dass er nicht aufopferungsvoll kämpfte, sondern eher die Spielanlage der Amsterdamer, die auf Dynamik aufgebaut war und ein sehr geradliniges Aufbauspiel voraussetzte.
Kampfstark, aber „drüber“
Die nächsten zwei Saisonen wird Westermann also ein Veilchen sein und kolportierte 800.000 Euro Jahresgehalt kassieren. Überblicksmäßig erhält die Austria damit einen kampfkräftigen, körperlichen sehr robusten Spieler, der hinten im statischen Eins-gegen-Eins schwer zu überwinden und bei Offensivstandards für Tore gut ist. Allerdings hat die Austria damit auch einen Spieler gekauft, der seinen Zenit bereits deutlich überschritten hat – wobei natürlich betont werden muss, dass Westermanns Zenit einst sehr hoch war.
Leistungskurve sinkend, aber…
In der Vergangenheit, sowohl beim HSV, als auch in Spanien und den Niederlanden, konnte man immer wieder beobachten, dass Westermann schwere Fehler im Aufbauspiel machte und in den letzten Jahren auch einiges von seiner Schnelligkeit einbüßte. Unter gewissen Umständen, die bei der Austria eigentlich gegeben sind, kann der Kauf des Ex-Nationalspielers trotzdem zu einem Erfolg werden.
Westermann muss auf den Stoßstürmer gehen
Geht es um statische Zweikampfführung kann wohl kaum ein anderer Verteidiger der Liga Heiko Westermann das Wasser reichen. Problematisch wird es jedoch, wenn der Innenverteidiger dynamisch bespielt wird. Da außer Salzburg kein Bundesligateam mit zwei dynamischen Angreifern spielt, lässt sich dieses Problem mit entsprechendem In-Game-Coaching austarieren.
Filipovic und Außenverteidiger wichtig für „HW4“
Es gibt drei Positionen bei der Austria, die Westermann tatkräftig unterstützen müssen, sodass er sich auf seine Stärken besinnen kann. Natürlich hängt einiges von der Abstimmung mit seinem Nebenmann Petar Filipovic ab, aber auch sein zweiter Nebenmann in der Außenverteidigung hat zwei wichtige Aufgaben. Einerseits muss er dafür sorgen, dass Westermann nicht zu häufig auf die Außenposition ausweichen muss, um mögliche schnelle Angriffe des Gegners abzufangen. Die Austria könnte auf der Seite anfällig werden. Andererseits muss sich der Außenverteidiger auf mehr Ballkontakte gefasst machen, sofern Westermann das Spiel aufbaut. Mittlerweile lenkt er den Aufbau eher auf die Seiten, um Fehler im Spiel nach vorne zu vermeiden, die in der Vergangenheit häufiger wurden.
Abkippender Sechser als Schlüssel für den Aufbau
Die wichtigste Rolle kommt somit dem abkippenden Sechser zu. Dieser muss Westermann im Spielaufbau entlasten, auch weil Filipovic ebenfalls nicht der beste Spieleröffner ist. Die Austria hat mit Raphael Holzhauser den besten abkippenden Sechser der Liga und auch Tarkan Serbest bewies – als Holzhauser gegen Saisonende ein Stück nach vorne rückte – dass er dieser Aufgabe gewachsen ist. Die zurückarbeitende Unterstützung aus dem Mittelfeld ist also bei der Austria gegeben und auch notwendig, um das Maximum aus Westermanns nicht mehr ganz linearem Spiel mit dem Ball zu holen.
Unterschiedliche Erwartungshaltungen bei Westermanns Klubs
Das allgemeine Echo unter den Fans von Ajax Amsterdam ist vernichtend. Allerdings handelt es sich bei Ajax um einen der nervösesten Vereine überhaupt. Die Titel blieben aus, praktisch jeder Spieler und Funktionär war häufig harscher Kritik ausgesetzt. Die Erwartungshaltung in Spanien war eine niedrigere, weshalb die Medien und Fans dort auch ruhiger waren. In Wien wartet wieder eine neue Situation: Die österreichische Liga ist die schwächste, in der er bisher unter Vertrag stand, allerdings hat die Austria in der kommenden Saison Ambitionen näher an die Salzburger heranzurücken. Wenn alle Positionen rund um den 33-Jährigen ineinandergreifen, könnte die Austria ihre Defensive weiter stabilisieren. Wenn nicht, könnte „HW4“ auch ein zweites Ajax-Schicksal – allerdings definitiv mit mehr Kampfmannschaftseinsätzen – blühen.
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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