Rapid musste sich zum Auftakt der Meistergruppe gegen den SK Sturm Graz mit 1:3 geschlagen geben. Nicht nur aufgrund der Eigenfehler, die die Hütteldorfer fabrizierten, sondern auch bzw. vor allem aufgrund deutlicher struktureller Unterschiede, ging der Sieg der Grazer mehr als in Ordnung. Die abseits.at-Analyse zum Spiel.
Rapid begann wie gewohnt in einem recht straffen 4-2-3-1-System. Schick kam statt Denso Kasius ins Team, der zuletzt kleinere Wehwehchen auskurierte. Strunz und Grüll gaben erwartungsgemäß die Flügel, aber im Zentrum überraschte Trainer Zoran Barisic mit Christoph Knasmüllner auf der Zehn. Greil nahm demnach vorerst auf der Bank Platz.
Barisic argumentierte Knasmüllners Nominierung damit, dass der 30-Jährige zuletzt gut trainierte. Gerade gegen die kampf- und spielstarke Mittelfeldraute des Tabellenzweiten aus Graz, mutete die Aufstellung des stets körperlos agierenden Knasmüllner allerdings fragwürdig an. Sein letztes Tor für Rapid erzielte Knasmüllner vor etwa einem Jahr – damals bei einem 1:1 gegen Sturm. Und auch wenn er Barisic’ Erwartungen nach den guten Trainingsleistungen wohl nicht erfüllen konnte, brachte er in einer kurzen Phase eine Facette ins Spiel, die Rapids Probleme einerseits gut zusammenfasst, andererseits aber auch kurzfristig lösen könnte.
Sturms starke Staffelung zieht Rapid früh den Zahn
Der Reihe nach: Knasmüllner hätte schon nach zwei Minuten für die Rapid-Führung sorgen können. Sein gut angetragener Schuss wurde aber geblockt und fand nicht den Weg in Richtung Kreuzeck. Damit sind die gefährlichen Aktionen des offensiven Mittelfeldspielers auch schon zusammengefasst. In weiterer Folge sollte er keine große Rolle im Offensivspiel Rapids spielen.
Ein wichtiger Grund hierfür war nicht etwa eine schlechte Leistung Knasmüllners, sondern viel mehr die starke Staffelung in Sturms Mittelfeldzentrum. Die Vorzüge der „offensiven Raute“ von Christian Ilzer sind hinlänglich bekannt, aber gegen Rapid übertraf sie sich im Positionsspiel weitgehend selbst. Hierfür waren mehrere Aspekte ausschlaggebend.
+ Der Passanker in der Innenverteidigung war David Affengruber, der sich deutlich weiter zurückfallen ließ, als Borkovic.
+ Borkovic wiederum orientierte sich weiter nach vorne und gab eine etwas höhere Sicherheits-Anspielstation, sodass Sturm das Spiel nicht immer komplett neu aufbauen musste, wenn man aus dem zweiten Drittel heraus „sicher nach hinten spielen“ wollte.
+ Die Staffelung von Jon Gorenc-Stankovic (linkslastig als klarer Sechser), Stefan Hierländer (rechtslastig als Achter) und Tomi Horvath (zentrumslastig als Zehner) funktionierte gut.
+ Durch den Offensivdrang von David Schnegg konnte Sturm die linke Seite immer wieder überladen und die Wege von Thorsten Schick massiv einschränken bzw. den Rapid-Routinier zurückdrängen. Auch Kerschbaum wurde so auf einer eher tiefen Position gebunden.
+ Auf der rechten Abwehrseite musste Gazibegovic Jonas Auer nur noch im 1-gegen-1 in seiner Durchschnittsposition binden.
Sturm: Deutlich mehr Bindung der Mannschaftsteile zueinander
Sturm Graz hatte durch Ilzers über einen längeren Zeitraum etablierte Automatismen also bereits einen strukturellen Vorteil gegenüber Rapid, der sich auch im Spielgeschehen und in den Kontrollphasen in Ballbesitz niederschlug. Rapid wirkte wegen dem fehlenden Zusammenhang im eigenen Spiel immer wieder fahrig und konnte mit Ausnahme der zweiten Hälfte der ersten Halbzeit nie Stabilität im Spiel mit dem Ball aufbauen.
Die Durchschnittspositionen der Spieler offenbaren einige Gründe, wieso Rapid sich spielerisch kaum befreien konnte:
Prass (8) und Schnegg (28) hatten so viel Bindung zueinander, dass Schick (13) aus Sicherheitsgründen sehr tief bleiben musste und auch Strunz (18) sich offensiv praktisch nicht entfalten konnte, sondern eher zurückschieben musste. Bei Sturm ist außerdem die gute Staffelung aus Gorenc Stankovic (5), Hierländer (25) und Horvat (19) sichtbar, während sich bei Rapid immer wieder zu große Abstände, speziell in der Tiefe, auftaten.
Alle Daten stammen von Wyscout S.p.a.
Logisch: Ilzer bespielt Rapids Probleme im Aufbauspiel
Die strukturellen Vorteile waren ein Aspekt – ein anderer jedoch auch, dass Ilzer über die Schwächen Rapids Bescheid wusste und diese bereits in erster Pressinginstanz konsequent bespielte. Rapids Grundprobleme liegen einerseits im schwachen Zentrum (von der Innenverteidigung bis zur Zehn), andererseits im unterdurchschnittlichen Aufbauspiel.
Wie schon in zahlreichen vorangegangenen Spielen war der Spielaufbau Rapids über weite Strecken derselbe. Sollbauer ist hier in Ballbesitz die erste Schwachstelle und das gesamte zentrale Mittelfeld unterstützt den Spielaufbau nicht ausreichend. Abkippbewegungen ins erste Drittel und das Mitschieben der offensiveren Mittelfeldspieler sind praktisch nicht vorhanden.
Das Resultat daraus war erneut, dass zu den häufigsten Passwegen bei Rapid Zuspiele zwischen Sollbauer und Querfeld (7 bzw. 5) bzw. der Pass von Sollbauer auf Auer (6) zählten. Ebenfalls häufig kam es zum Passweg von Pejic zu Auer (7), was wiederum den fehlenden Aufdrehbewegungen von Pejic geschuldet war.
Häufigste Rapid-Passwege erklären typischen Aufbau-Ablauf
Die zwei häufigsten Passwege (9) bei Rapid: Schick auf Kerschbaum, was auch damit zu tun hatte, dass die beiden sehr nahe aneinander positioniert waren (aufgrund des bereits beschriebenen Flügeldoppels auf Sturms linker Seite) und auch der weite Pass von Auer auf Burgstaller. Rapid ließ sich im Aufbau demnach von Sturm auf die Seiten lenken, was von Sturm keine besonderen Anstrengungen erforderte, zumal dies aktuell ohnehin Rapids typischen Aufbau darstellt und Auer schlug in Bedrängnis häufig den weiten Ball nach vorne, sodass Burgstaller diesen festmachen konnte. Dies war jedoch gegen Sturms starke Staffelung und angesichts von Rapids Schwächen in der Eroberung von zweiten Bällen weitgehend verlorene Liebesmüh.
Das Passnetz von Sturm Graz war deutlich engmaschiger, flexibler und fluider. Die Abläufe bei Rapid waren weitgehend dieselben und relativ einfach zu verteidigen bzw. auch vorherzusehen. Feldüberlegenheit konnte Rapid erst aufbauen, als Sturm bereits mit 3:1 führte und das Ergebnis anhand eines klassischen Rückzugs verwaltete. Statistisch betrachtet betrieb Rapid erst in dieser Phase Schadensbegrenzung, weil man schlichtweg den Ball überlassen bekam und mannschaftlich geschlossen nach vorne schieben konnte.
Knasmüllners 16 Minuten in der Abkipprolle
Doch hier kommt nun noch einmal Christoph Knasmüllner ins Spiel. In der zweiten Halbzeit – bis zu seiner Auswechslung in der 62. Minute – ließ sich der Offensivspieler nämlich bei eigenem Ballbesitz ins defensive Mittelfeld zurückfallen und sammelte Bälle ab, um diese möglichst einfach, aber auch progressiv weiterzuverarbeiten. Was Knasmüllner hier tat, löste Rapids Probleme kurzfristig, weil er ein gutes Gespür für Räume mitbrachte und seiner Mannschaft so in manchen Situationen mehr davon verschaffte.
Diese klare, spielaufbauende Abkippbewegung fehlt bei allen anderen Zentrumsspielern komplett. Der leicht verbesserte Pejic hat am Ball nicht das Selbstvertrauen und die spielerische Präsenz, um diese Abkipprolle einzunehmen. Kerschbaum bewegt sich zumeist zwischen den Linien, bekommt aber (zentral) kaum Bälle aus dem ersten Drittel und kann vom Gegner leicht zugestellt werden. Greil – diesmal erst nach 62 Minuten eingewechselt – hat seine Position in Rapids System noch überhaupt nicht gefunden und machte bisher keinerlei Anstalten, den Ball aus dem ersten Drittel nach vorne zu tragen. Auch er ist, wie Kerschbaum, eher ein „Empfänger“.
Starke Gegner werden Rapids Aufbau immer so bespielen
Wenn nun aber das Aufbauspiel aufgrund dieser fehlenden Abkippbewegungen an Sollbauer und Querfeld hängenbleibt und Pejic seinerseits selbst eher eine Abnehmerrolle einnimmt, dann wird Rapid auch weiterhin von jedem Gegner im Aufbau auf die Außenpositionen gelenkt und schließlich zum weiten Ball gezwungen werden. Gegen qualitativ unterlegene Gegner kann dies aufgrund individueller Vorteile (etwa kurze, dynamische Aktionen von Auer oder Kasius) durchaus funktionieren, wenngleich es kein sauberes, modernes Aufbauspiel darstellt. Gegen die Top-Gegner wird sich Rapid aber immer die Zähne ausbeißen, was auch einer der Hauptgründe dafür ist, dass es gegen die „großen Vier“ in der laufenden Saison einfach nicht reicht…
Geschenke verteilt – aber auch diese hatten ihre Gründe
Die einfache Erklärung für die Niederlage waren schließlich die verteilten Geschenke von Querfeld (vor dem 0:1) und Auer (vor dem 1:3) und die vergebene Doppelchance vor dem 1:2. Die Aufbau- und Zentrumsprobleme Rapids, sowie die undurchdachte Staffelung auf der Zentralachse waren allerdings ein Mitgrund für diese Fehler. Hinzu kommt, dass Rapid die Fehler vor dem 0:1 und dem 1:3 im Laufe von Sturms Angriffssituationen noch „reparieren“ hätte können – hierfür fehlte jedoch die Eigeninitiative der beteiligten Spieler, etwa durch ein taktisches Foul oder durch besseres Formieren nach Ballverlust.
Rapids Zentrum ist schlichtweg zu schwach für dieses Niveau
Im Interview nach dem Spiel vereinfachte Zoran Barisic die Gründe für die Niederlage – und das ist auch naheliegend, zumal er schwer sagen kann, dass das Zentrum, bestehend aus Innenverteidigung, Sechser, Achter und Zehner, de facto nicht genug Qualität fürs Meisterplayoff mitbringt. „Gut“, wie Barisic das Spiel fand, musste man es allerdings auch nicht finden. Man wird in den nächsten neun Spielen weiter beobachten können, dass dies auch weiterhin die Positionen sind, die Rapid derzeit verletzlich machen. Echte Qualitätsspieler – einer für die Innenverteidigung, zwei fürs zentrale Mittelfeld – sind die einzige Option, um diese mittlerweile hundertfach durchgekauten Rapid-Probleme abzustellen.
Andernfalls wird es genauso weitergehen wie zuletzt in fast jedem Spiel gesehen. Dieser Schluss ist keine Verkomplizierung des Geschehens auf dem Platz, sondern klar sichtbar und noch klarer analysierbar. Die große Frage ist: Wie kann Barisic sein bestehendes, qualitativ zu schwaches Spielermaterial auf der Zentralachse darauf einstellen, derartige Probleme abzufedern? Knasmüllners 16 Minuten in Halbzeit zwei waren immerhin ein kleiner Wink, wie es eventuell gehen könnte.
Mehr Niederlagen als in den letzten zwei Jahrzehnten
Aber auch wenn man sich bei Rapid wie immer in Durchhalteparolen und „gute Entwicklung“-Sagern übt, ist die Lage prekärer, als man sie darstellen will. Von den ersten 23 Bundesligaspielen der Saison 2022/23 verlor Rapid zehn. Schwächer war man zu diesem Zeitpunkt das letzte Mal vor 21 Jahren – und damals, in der Saison 2001/02, stand man nach 23 Runden in der Zehnerliga auf Rang 8. Das immergleiche Aufbaukonzept eisern durchzuziehen, wird zu weiteren Niederlagen gegen die größeren Klubs führen und Rapid wird wohl oder übel um den Europacupplatz zittern müssen. Es wäre also wieder mal an der Zeit für klarere Worte und mehr Kreativität in der Spielstruktur, um den offensichtlichen Problemen entgegenzuwirken.
Die schlechte Bilanz gegen die starken Teams kommt nicht von ungefähr und wenn selbst die Sturm-Fans, verwöhnt von einem guten spielerischen Konzept, davon sprechen, dass sie am liebsten jede Woche gegen Rapid spielen würden, dann spricht das Bände…
Daniel Mandl, abseits.at
Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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