Jeden Sonntag wollen wir in dieser neuen Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im Konjunktiv stecken blieb, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt radikal verändert haben oder sonst außergewöhnlich waren und sind: Sei es, dass sie sich nach dem Fußball für ein völlig anderes Leben entschieden haben, schon während ihre Profizeit nicht dem gängigen Kickerklischee entsprachen oder aus unterschiedlichen Gründen ihr Potenzial nicht ausschöpften. Auf jeden Fall wollen wir über (Ex)-Fußballer reden, die es sich lohnt auf dem Radar zu haben oder diese (wieder) in den Fokus zu rücken. Wir analysieren die Umstände, stellen Fragen und regen zum Nachdenken an. Im zehnten Teil porträtieren wir einen Ex-Rapidler, in den einst große Hoffnungen gesetzt wurden…
Die Tampa Bay Buccaneers haben es Philipp Prosenik angetan. Genauso wie die Los Angeles Lakers oder Lewis Hamilton. Seinem Twitter-Account ist zu entnehmen, dass der Stürmer unterschiedliche Sportarten verfolgt; seine aktive Teilnahme in jenem Bereich, für den er sich seit der Krabbelstube vorbereitet hat, spielt dagegen – zumindest auf seinem Social-Media-Kanal – keine große Rolle mehr. Dabei wäre Prosenik mit 29 Jahren aktuell im besten Fußballeralter, seit November 2021 kickt der gebürtige Wiener aber nur in der siebenten Spielklasse in Österreich: „Ich will einfach den Spaß am Fußball haben und dem SC Himberg sportlich weiterhelfen. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit dem Trainer und der Mannschaft.“, sagte der einstige Rapid-Youngster bei seiner Verpflichtung. Anno 2009 dachten viele, ein 29-jähriger „Prose“ würde für einen Premier League-Klub oder „zumindest“ für Inter Mailand, RB Leipzig oder den FC Sevilla auflaufen, doch Fußball ist ein schnelllebiges Geschäft, in dem es oft anders kommt, als man denkt. Das weiß Philipp Prosenik heute genau.
Aus Hütteldorf in die große Fußballwelt
„Das hat nicht so richtig funktioniert und wir haben uns mit ihm getroffen. Er ist bereit und willig nochmals von vorne anzufangen. Er soll sich bei den Amateuren hocharbeiten. Wir haben eine Vereinbarung bis 2015 […]. Auch die medizinische Untersuchung hat ergeben, dass er belastbar und einsatzwillig ist.“, rekapitulierte Rapid Wiens damaliger Sportdirektor Helmut Schulte die Jugendkarriere des Philipp P. anlässlich in einem Statement, als die Grün-Weißen im Oktober 2013 den vereinslosen Spieler verpflichteten. Ein Überraschungstransfer. Fast fünf Jahre zuvor machte Prosenik erstmals Schlagzeilen, als er den Hütteldorfer Nachwuchs verließ, um zukünftig für Chelsea die Schuhe zu schnüren. Als Toptalent hatten ihn damals nur Insider auf dem Schirm. Im Doppel-Interview mit seinem Vater Christian erörterte Philipp seine Zukunftspläne mit einer Tageszeitung: „In England wird derzeit einfach der beste Fußball gespielt. Dort spielen die besten Spieler, dort wird am schnellsten gespielt, dort will ich hin.“
Vater Prosenik war zum Zeitpunkt der Geburt seines Sprösslings gerade bei Austria Wien unter Vertrag, über Salzburg und Rapid kam er 1999 zu 1860 München. Der 1993 zur Welt gekommene Philipp kickte stets dort, wo sein Herr Papa aktiv war. Nachdem die Proseniks 2001 nach Österreich zurückkehrten, kam der Junior ins Landesausbildungszentrum nach Wien und schoss am Wochenende Tore für den SV Schwechat. Der Halbwüchsige verfügte über eine herausragende Statur und konnte diesen Trumpf in eine unglaubliche Statistik umwandeln: Er traf in beinahe jedem Spiel. Es dauerte nicht lange bis international renommierte Klubs ihre Fühler nach ihm ausstreckten.
Als Philipp bereits im Rapid-Nachwuchs spielte, stand ein U-16-Länderspiel an, das alles verändern sollte: „Wir haben das Rückspiel gegen die Slowakei mit 5:3 gewonnen und ich habe einen Hattrick erzielt. Da kamen dann einige ausländische Klubs auf mich zu.“, erinnert sich der Angreifer. Philipp entschied sich gegen Bayern und Milan und für einen Wechsel nach London, nachdem die Blues das – aus seiner Sicht – beste Gesamtpaket boten. Dort spielte der gebürtige Wiener erfolgreich in der U 18, die Karriere schien zum Greifen nah.
Als Proseniks Unterschrift unter seinem ersten Profivertrag trocken war, wähnte sich dieser schon als Star – mit allem was dazu gehört: Teure Autos, großflächige Tattoos, exquisite Nachtklubbesuche. Sein Körper sollte jedoch zu streiken beginnen, bevor Philipp ein Pflichtspiel für die Kampfmannschaft von Chelsea gemacht hatte. Tatsächlich war es schon in den letzten Monaten seiner Rapidzeit zu einem gesundheitlichen Zwischenfall gekommen, als er sich in einem Trainingsspiel am Knie verletzte und operiert werden musste. In England legte sich Prosenik zweimal unters Messer und fiel 2010 ganze neun Monate wegen eines Seitenbandanrisses aus. Bei Chelsea hatte der damalige Coach Ancelotti deshalb keine Verwendung für ihn.
So packte der damals 19-jährige seine Koffer und unterschrieb beim AC Milan. Die Rossoneri hatten ihn zwar schon im Hütteldorfer Nachwuchs umworben, doch kaum war Prosenik Spieler des Vereins, fand er sich auf sich allein gestellt wieder. Er traf eine folgenschwere Entscheidung. „Ich habe den Vertrag aufgelöst, weil es für mich keinen Sinn mehr gemacht hat, dort zu sein, wenn nichts passt.“, erinnert er sich. Die Norditaliener kümmerten sich wenig um den jungen Ausländer, den Meniskusprobleme plagten. Nachdem er sein Engagement kurzerhand beendete, schlug Philipp Angebote für Probetrainings bei Altach und der Austria aus, um sich klar zu werden, ob er überhaupt noch kicken wollte.
Neustart. Strohfeuer. Abstieg.
Experten rieten ihm aufzuhören, da schmerzfreier Profisport wohl nicht mehr möglich sei. Doch Philipps Ehrgeiz war größer und als seine fußballerische Jugendliebe anklopfte, war er Feuer und Flamme für eine neue Mission in der alten Heimat: Er rief seine Mutter an und teilte ihr mit künftig wieder für Rapid zu spielen. Der damals 20-jährige unterschrieb einen Vertrag für zwei Jahre und sollte zunächst bei den grün-weißen Amateuren für die Kampfmannschaft aufgebaut werden. Das klappte zunächst: Für Rapid II traf er in 16 Spielen neunmal und saß nach einem Jahr auf der Bundesliga-Ersatzbank.
Wirklich hohe Erwartungen gab es bei den Fans ob Proseniks Krankengeschichte zwar ohnehin nicht, erstaunlicherweise gelang es dem Ex-Chelsea-Nachwuchskicker aber überhaupt nicht sich im Wiener Westen durchzusetzen. Stimmen wurden laut, die meinten, Prosenik sei niemals ein „Jahrhunderttalent“ gewesen, sondern habe in seiner Jugend nur von seiner frühentwickelten Physis profitiert, nun sei aber sichtbar, dass es ihm an Technik, Schnelligkeit und Spielintelligenz fehle. Obwohl er keine Zweikämpfe scheute, hatte er oft keine Idee, was er mit der gewonnenen Kugel unternehmen sollte. Zwar war Philipp nach wie vor ein „Brecher“ mit Torriecher, es reichte aber nicht um sich als Stammspieler zu etablieren. Bezeichnend, dass er meist Abstauber-Tore erzielte. Aus dem Spiel heraus ging fast nichts.
Das Highlight seiner Karriere beim Rekordmeister blieb sein dritter (!) Nachspielzeit-Treffer in Folge, als er seinem Arbeitgeber mit dem 3:3-Ausgleich im April 2015 einen Punkt gegen Salzburg rettete. „Wir sind Rapid und wir geben nie auf!“, sagte er nach jenem Rémis, das sich wie ein Sieg für die zunächst 0:3-zurückgelegenen Wiener angefühlt hatte, in die ORF-Kameras. Ja, aufgegeben hat Philipp wirklich nie, trotzdem blieb der Mann mit der Rückennummer 38 nur Edeljoker in Hütteldorf. 2016 wurde der Rekordtorschütze der österreichischen U-17 an den Wolfsberger AC verliehen. Die Fans seines Herzensvereins erinnern sich nur mit Schaudern daran, dass ihnen der Angreifer dank seines Nachsetzens bei einem Abpraller eine 0:1-Heimniederlage bescherte. Im Grunde genommen wollte kaum jemand von ihnen Prosenik am Ende der Leihe wieder im Rapid-Trikot sehen.
Bei den Kärntner dagegen schien sich der Stürmer wohler zu fühlen: Die Wölfe versuchten über Körperlichkeit ins Spiel zu kommen, Philipp sollte erste Bälle gewinnen und irgendwie die Kugel über die Linie drücken. Das beherrschte er. Er rackerte brav und absolvierte fast alle Saisonspiele, schließlich wechselte er nach Ried, wo es aber weniger gut lief: Prosenik verließ den oberösterreichischen Klub schon nach einer Saison, obwohl er einen Vertrag bis 2020 unterzeichnet hatte. Bei Mattersburg schoss der Offensivspieler in der Spielzeit 2018/19 anschließend kein einziges Tor und wurde zum Floridsdorfer AC transferiert. Doch selbst im 21. Wiener Gemeindebezirk konnte sich Prosenik nicht mehr behaupten und wurde vom Ur-Rapidler Andi Dober 2020 in die burgenländische Landesliga zum ASV Siegendorf geholt. Nachdem Philipp ab diesem Zeitpunkt unterklassig spielt, kann seine Profikarriere wohl als beendet betrachtet werden.
Die Moral der Geschichte ist schwer zu finden: Hat man Prosenik tatsächlich zu viel Potenzial unterstellt? War er früh schon ein halber „Sportinvalide“? Inwiefern kann man dem Angreifer Vorwürfe machen, mit zu wenig Ernsthaftigkeit seinen Beruf ausgeübt zu haben? Die Antwort auf diese Fragen kennt nur Philipp allein. Wir alle können jedoch insofern aus seiner Geschichte lernen, als wir in Teenager-Fußballer keine Weltkarrieren projizieren, selbst wenn sie ihre Ausbildung bei namhaften Vereinen genießen. Entwicklungen leben von einem Schritt zurück und zwei Schritten nach vorne. Manchmal klappen Karrieren dank Fleiß und Schweiß, manchmal scheitern große Talente. So ist das Leben, so ist der Fußball.
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Marie Samstag
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