3:2 gegen die Ukraine – dank taktischer Basis, einem Hauch von Spielphilosophie und einem Problemboy, der eigentlich keiner ist.
Nationalteam 2.Juni.2012 Daniel Mandl 0
Das Länderspiel der österreichischen Nationalelf gegen den EM-Starter und –Gastgeber aus der Ukraine ist als wichtiges Signal und Schub für das Selbstvertrauen des in den letzten Jahren gebeutelten ÖFB-Teams zu werten. Obwohl fünf Tore fielen war das Spiel sicher kein Leckerbissen, aber es zeigte, dass sich das Team in die richtige Richtung entwickelt.
Wenn das Team Fehler fabrizierte, waren diese eher individueller Natur. Mannschaftstaktisch schien die Basis zu passen: Das 4-2-3-1 dürfte als Grundsystem funktionieren, die Spieler wussten auf dem Platz, wie sie sich als Mannschaft zu bewegen hatten (vor allem defensiv). Die Fehler – auch die entscheidenden vor den Gegentoren – waren Folgen von Unachtsamkeiten einzelner Spieler. So verlor etwa Julian Baumgartlinger vor dem zweiten Gegentreffer in Vorwärtsbewegung einen Ball im Mittelfeld. Beim ersten Gegentor nützten die Ukrainer ein schwer überschaubares, allgemeines Abstimmungsproblem. Den Fehler machte am Ende Garics, der es verabsäumte den späteren Torschützen Gusev ins Abseits zu stellen. Dabei handelte es sich jedoch um einen Fehler, wegen dem man Garics nicht zu sehr beuteln darf – die Situation als Ganze war zu unübersichtlich und es wäre eine taktische Meisterleistung des rechten Verteidigers gewesen, wenn er die Lage der Dinge in den wenigen Sekunden zwischen dem Freistoß und dem Tor richtig eingeschätzt hätte.
Auch verkannte Spieler nehmen wichtige Rollen ein
Doch nicht nur individuelle Fehler fielen auf (derer gab es auf Seiten der Ukrainer mehr als auf Seiten der Österreicher), sondern auch die unverkennbare individuelle Klasse einzelner ÖFB-Akteure. Obwohl Spieler wie Alaba oder Ivanschitz weitgehend abtauchten, sprangen andere in die Presche. Austria-Außenverteidiger Markus Suttner überzeugte vor allem aufgrund seiner modernen Spielanlage und legte das Spiel sehr hoch an. Dass er mit Andriy Yarmolenko einen der besten Ukrainer als Gegenspieler hatte, relativiert die eine oder andere defensive Schwäche. Zlatko Junuzovic setzte den Freistoß zum 1:0 mit erfrischender Selbstverständlichkeit hinter der Mauer ins Tor – auch wenn Torhüter Oleksandr Goryainov nicht unschuldig am Gegentreffer war.
Problemboy Arnautovic – weil der Mainstream es weiterhin so sehen will…
Die bemerkenswerteste Leistung des Abends bot jedoch der „ewige Problemboy“ Marko Arnautovic. „Ewig“ deswegen, weil er in den Medien immer noch so positioniert wird, wie es den so genannten Experten und Meinungsmachern gerade passt. Arnautovic ließ sich in letzter Zeit nichts zu Schulden kommen (wenn man seine seltsame Verletzung, die er sich beim Spielen mit seinem Hund zuzog, ausblendet) und wird dennoch nur selten zu hundert Prozent an seinen Leistungen gemessen. Selbst wenn er der Matchwinner war, wie etwa gestern, sind sich Beobachter wie Herbert Prohaska nicht zu schade zu betonen, dass er an einer solchen Leistung anknüpfen sollte, dafür aber die Eskapaden außerhalb des Platzes minimieren soll.
Arnautovic „schwach“, aber ein Matchwinner im Dienste der Mannschaft
Arnautovic spielte im allgemeinen Verständnis keine gute Partie, wirkte zeitweise freudlos und zu verspielt. Im Grunde war der Werder-Bremen-Legionär reif für eine Auswechslung. Aber Marcel Koller ließ ihn auf dem Platz und er bedankte sich in der zweiten Halbzeit mit einem Doppelpack. Der Jubel Arnautovics – gemeinsam mit Marcel Koller – nach dem spielentscheidenden 3:2 sprach Bände. Der 23-Jährige fiel dem Neo-Teamchef um den Hals, feierte seinen Treffer mit seinem möglichen neuen Mentor, wirkte nach dem Spiel im Interview sympathisch und keineswegs abgehoben. Vielleicht ist Koller der Trainer, auf den Arnautovic seit langer Zeit wartet. Einer, der mit großer Geduld über die kleinen charakterlichen Unzulänglichkeiten des launischen Offensivspielers hinwegsieht und gleichzeitig einer, der ihn mit einer Mischung aus Vertrauen und dem Pochen auf mannschaftstaktische Disziplin unter gesunden Druck setzt. Denn was auch augenscheinlich war: Während Arnautovic am Ball sein übliches, den Zuschauer oft lähmendes Spiel aufzog, erfüllte er seine mannschaftstaktischen Aufgaben, auch in den defensiven Räumen, bravourös. Das fußballerische Zirkusgen wird man Arnautovic nicht mehr abgewöhnen. Ein No-Look-Pass oder ein Ferserl wird immer dabei sein. Aber dies ist zu verschmerzen, wenn dem Ausnahmekönner das Kicken (und im Idealfall auch das Erzielen zweier toller Tore!) Spaß macht und er nie vergisst, dass kein Spieler größer als das Team ist.
Taktische Grundbasis und Ansätze von Spielphilosophie
Marcel Koller arbeitet mit einer Mannschaft, die qualitativ über die zu stellen ist, mit der Didi Constantini über viele Monate zu kiefeln hatte. Der Schweizer hat aufgrund dieses gereifteren Spielermaterials eine bessere Ausgangsposition als sein Vorgänger. Unverkennbar ist aber auch, dass Koller binnen kürzester Zeit deutlich sichtbare taktische Muster in die Mannschaft brachte. Einem Team, das zuvor im Stil der 80er-Jahre eingestellt wurde, wurden in wenigen Monaten eine taktische Basis und ein erster Ansatz von Spielphilosophie eingetrichtert. Wir kennen die Handschrift des Marcel Koller weder gut noch lange – aber bereits beim nächsten Spiel gegen Rumänien werden wir die nächsten Buchstaben dieser Handschrift entziffern können, bis wir – und vor allem die Spieler – in absehbarer Zeit die gesamte Koller’sche Sprache beherrschen werden. Auch wenn das Spiel als solches kein berauschendes war: Alleine aufgrund der taktischen Verbesserungen und Veränderungen im Selbstvertrauen einiger Spieler, zeigt die Entwicklungskurve des österreichischen Nationalteams steil nach oben.
Zu wenig Qualität: Ukraine neun Tage vor dem 1.Spiel noch nicht EM-reif
Und die Ukraine? Das Team agierte wie erwartet kampfkräftig und positionstechnisch flexibel (das beste Beispiel hierfür ist der zweifache Torschütze Oleg Gusev), aber auch mit zahlreichen Problemen. So weist etwa der gesamte Abwehrverbund des EM-Gastgeberlandes große spielerische Mängel auf. Nazarenko, so er nicht doch noch vor der EM Aliev weichen muss, ist für Taktgeber Tymoshchuk keinerlei Unterstützung. Die Hoffnung beruht auf Einzelaktionen von Spielern wie Yarmolenko und Konoplyanka oder Standardsituationen, bei denen die Ukraine auch bei der EM ein äußerst unangenehmer Gegner sein wird. Die Zeit bis zur EM-Endrunde ist knapp und es ist äußerst unwahrscheinlich, dass diese ukrainische Auswahl sich bis zum ersten Gruppenspiel gegen Schweden am 11.Juni noch so finden kann, dass sie in Gruppe D Chancen auf ein Weiterkommen, geschweige denn auf Punkte hat.
Daniel Mandl, abseits.at
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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