Analyse der ORF-Fußballarena-Analysten: Was waren die Fakten, was war Fiktion?
Nationalteam 9.Oktober.2011 Daniel Mandl 0
Was war das für eine emotional geführte Diskussion am Freitagabend? Da bliesen Werner Gregoritsch, Frenkie Schinkels, Herbert Prohaska, Roman Mählich, Helge Payer und Ricardo Moniz ihre Expertisen in den Äther. Die Analytiker stellten so manche These auf, die aber nicht unbedingt stimmt.
Analysieren Prohaska und Co. diverse Fußballspiele, hängt Fußballösterreich an deren Lippen. Die Geschichte und Erinnerung an vergangene Heldentaten bürgt für Qualität in den Aussagen – zumindest ist das eine weit verbreitete Meinung. Dass aber nicht alles wahr ist, was gesagt wurde, wurde von Diskussionsführer Oliver Polzer nicht widerlegt. Das ist schade, denn diese Opinion Leader sind sich des Gewichtes ihrer Aussagen durchaus bewusst. Zu allem Überfluss wurde diese Diskussion nicht nur auf ORF Sport+, sondern auch auf ORF Europa übertragen, was die teils äußerst fragwürdigen „Wahrheiten“ umso schlimmer macht. abseits.at hat sich die profundesten Aussagen heraus gesucht und prüft, ob diese Facts oder Fiction sind.
Prohaska: Marcel Koller hat zwei Jahre lang nicht gearbeitet!
Das stimmt so gar nicht, denn Marcel Koller betreute seit der Trennung vom VfL Bochum im September 2009 kein Team. Wie der Kurier bereits am Mittwoch berichtete, arbeitete der neue Teamchef nach seinem letzten Engagement als Individualbetreuer und bildete sich weiter, hospitierte – ganz der Taktikfuchs – in Italien.
Polster: Die Leute sind enttäuscht und frustriert!
„Was hältst du von dieser Entscheidung? Ist Koller der richtige Mann, um Österreich auf die Erfolgsspur zu führen?“ – Österreichs auflagenstärkstes Blatt, die Krone befragte seine Leser und die stimmten mit 69,6 Prozent gegen Marcel Koller. Angaben über die Menge an Befragten fehlen. Das Austrian Soccer Board befragte ebenfalls die Menschen: „Wie steht das ASB zu Marcel Koller?“. 344 User stimmten mit Stand Sonntag, 9. Oktober 2011, 10:23 ab, 95,27 Prozent klickten entweder „Guter Mann“ (40,38 %) oder „Bin mir noch nicht sicher. Lassen wir ihn mal arbeiten“ (54, 89 %) , lediglich 2,21 % klickten „Bin derzeit skeptisch“ an. „Mir wäre ein anderer lieber gewesen“ wurde von 2,52 % der User gewählt. Nachdem die Kronenzeitung keine Anzahl schreibt, soll an dieser Stelle Homer Simpson zitiert werden: „Es gibt immer Querulanten, die mit Statistiken irgendwas beweisen wollen, 14 Prozent der Leute wissen das!“
Schinkels: Wir haben keine Kreativspieler!
Oliver Kahn weiß, was diese brauchen: „Heynckes lässt seinen Kreativspielern mehr Freiheiten.“ Doch was ist das eigentlich, was es in Österreich nicht geben soll? Die Sportwissenschaft definiert diesen Spielertypus als einen Kicker, der über divergent taktische Fähigkeiten verfügt. Taktik heißt im ursprünglichen Sinne die Kunst, ein Heer in Schlachtordnung zu stellen, divergent mehr oder weniger, dass etwas grundverschieden ist. Der Kreativspieler kreiert Situationen, die so nicht zu erwarten sind. Flanke, Kopfball, Tor – aus so einer Situation resultiert ein normaler Treffer. Ferserl, Gurkerl, No-Look-Pass gehören in das Repertoire des geforderten Typus. Das Erzeugen von Torgefahr durch Unerwartetes gehört also den ominösen Kreativspielern, die eine Eins-gegen-Eins-Situation lösen können oder tolle Pässe schlagen. David Alaba bewies diese Fähigkeiten erst Momente vor der Diskussion, Andi Ivanschitz ebenfalls, genauso wie es bekannt ist, dass Marko Arnautovic das kann. Daniel Royer zeigte uns solche Dinge gegen den PSV Eindhoven. Auch Jakob Jantscher oder Zlatko Junuzovic haben Tricks im Repertoire. All diese Spieler haben international bewiesen, dass sie kreativ sind.
Gregoritsch: Österreichs Trainer haben Außergewöhnliches erreicht!
Das Adjektiv „außergewöhnlich“ beschreibt Dinge, die über die Norm hinaus gehen. Werner Gregoritsch möchte dies bei österreichischen Trainern orten, führt etwa Franco Foda oder Paul Gludovatz an. Nun ist aber der Gewinn eines Meistertitels oder eines Cups keine außergewöhnliche Leistung, weder das eine mit Sturm Graz, noch das andere mit der SV Ried. Der Gewinn eines Titels ist der fundamentale Sinn eines sportlichen Wettbewerbs. Dass Sturm Graz beispielsweise alle zehn Jahre Meister wird, ist statistisch bei zehn an der Meisterschaft teilnehmenden Mannschaften nicht etwas, was „über die Norm hinausgeht“. Ein Heimremis gegen Eindhoven oder ein Heimsieg gegen Bröndby genauso wenig, da nur etwa ein Drittel der Auswärtsmannschaften als Sieger den Platz verlässt. Der letzte nennenswerte Erfolg eines Österreichers als Trainer war der Gewinn des DFB-Ligapokals des Hamburger SV 2003 unter Kurt Jara. Derzeit trainiert kein Österreicher in Europa einen Erstligaverein.
Prohaska: Unsere Talente gehen mit 14, 15 ins Ausland!
Hier muss differenziert vorgegangen werden. Von der ersten Elf am Freitag waren David Alaba, Marko Arnautovic und Julian Baumgartlinger die einzigen, auf die diese Aussage zutrifft. Marc Janko, Paul Scharner, Aleksandar Dragovic, Sebastian Prödl, Ekrem Dag, Christian Fuchs, Andreas Ivanschitz – alle waren zum Teil sehr erfolgreiche Bundesligaspieler in heimischen Gefilden, bevor sie den Sprung ins Ausland wagten. Natürlich wechseln aber viele Talente ins Ausland, die Statistik widerlegt aber die Aussage von Herbert Prohaska. 24,9 beträgt der Altersdurchschnitt der heimischen Bundesligateams. Dieser liegt also deutlich unter dem „besten Fußballeralter“. Noch dazu sind die Vereine – abgesehen von Red Bull, doch auch da laufen mit Teigl, Hinteregger oder Hierländer einige Talente regelmäßig auf – gezwungen, möglichst viele Österreicher einzusetzen. Der Österreicher-Topf bringt Bares und wird oft und gerne vorgewendet. Mindestens zwölf Spieler, die im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft sind, müssen am Spielbericht stehen. Einsatzminuten von U22-Spielern werden verdoppelt, insgesamt geht es um rund fünf Millionen Euro. Und die Clubs setzen auch auf ihre Österreicher. Somit stimmt die Aussage eventuell für einige, eine allgemeine ist sie aber nicht.
Prohaska: Es fehlen drei, vier große Spieler!
Andreas Herzog war so ein großer Spieler. Neun Jahre seiner aktiven Zeit verbrachte er in Deutschland, eines davon bei den Bayern, den Rest bei Werder Bremen. Aber im Nachhinein gesehen ist das Raunzen sehr leicht. Emanuel Pogatetz, Martin Stranzl, Paul Scharner, Alexander Manninger – diese verdienen seit Jahren in größeren Ligen ihr Geld. Mit Sebastian Prödl, Andreas Ivanschitz, Andreas Iberstberger, Denis Berger, Marko Arnautovic, Martin Harnik, Marc Janko oder Christian Fuchs verfügt Österreich über einige Kicker, die schon länger fern ab der Heimat ihre Leistung erbringen. David Alaba, Julian Baumgartlinger, Daniel Royer, Andreas Weimann oder Veli Kavlak sind Spieler, die noch am Anfang von durchaus viel versprechenden Auslandskarrieren stehen, dazu noch einige andere. Gegen Aserbaidschan begannen gleich 10 Spieler, die nicht in Österreich kicken und mit Harnik, Pogatetz, Stranzl, Ibertsberger, Manninger, Macho oder Berger fehlten gleich einmal sieben, die auch im Ausland ihren Mann stehen. Wie sagt man so schön mit wienerischem Touch: „Es warat angerichtet“.
Schinkels: Alle Holländer lassen 4-3-3 spielen!
Ganz so einfach ist es nicht. Bei der Weltmeisterschaft 2010 ließ Bondscoach Bert van Marwijk ein 4-2-3-1 spielen, mit Nigel de Jong und Mark van Bommel auf der Doppelsechs. Durchaus ein Bruch mit der Tradition, denn de Jong und van Bommel gelten sicherlich nicht als moderne Sechser a la Bastian Schweinsteiger und auch einen dezitierten Spielmacher wie Wesley Sneijder wird im klassischen 4-3-3 vergeblich gesucht. Die Zeit des strikten taktischen Denkmusters ist auch schon länger vorbei. Ajax Amsterdam beispielsweise sucht einen neuen Weg aus dem starren Muster auszubrechen und will eine neue Philosophie entwickeln.
Letztlich bleibt natürlich eine wahre Aussage über, derer sich alle bewusst sein müssen, getätigt wurde diese von Werner Gregoritsch: „Marcel Koller ist nicht David Copperfield“
Georg Sander, abseits.at
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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