Am zweiten Spieltag der EM-Qualifikation empfing die österreichische Nationalmannschaft den Gast aus Estland zum Duell um drei Punkte. Dabei wollten die Österreicher nach dem... Analyse: Österreich müht sich gegen Estland zum Sieg

Am zweiten Spieltag der EM-Qualifikation empfing die österreichische Nationalmannschaft den Gast aus Estland zum Duell um drei Punkte. Dabei wollten die Österreicher nach dem klaren Sieg gegen Aserbaidschan direkt mit dem nächsten Erfolg nachlegen und die nächsten wichtigen Punkte einfahren. Doch Vorsicht sollte vor dem Gegner geboten sein, präsentieren sich die Esten doch in den letzten Spielen sehr ordentlich und verloren recht wenige Spiele.

Abwechslungsreicher Beginn dank hoher Dynamik

Im Vergleich zum Spiel gegen Aserbaidschan musste Teamchef Ralf Rangnick auf drei Positionen die Mannschaft umbauen. In der Innenverteidigung ersetzte etwas überraschend Daniluc den Routinier Trauner, Posch rutsche als Rechtsverteidiger ins Team und im Mittelfeld ersetzte Köln-Legionär Ljubicic den angeschlagenen Kapitän Sabitzer.

Das ergab daher auch jene systematische Anordnung, die man auch nach gut 20 Minuten gegen Aserbaidschan zu sehen bekam – nämlich eine 4-3-3/4-3-1-2 Mischformation, welche von der Positionierung von Wimmer und Baumgartner abhing und recht flexibel interpretiert wurde. Der Gast aus Estland legte dagegen den Fokus mehr auf die defensive Kompaktheit, weshalb man auch mit einem 5-3-2 im Gepäck angereist kam. Viele bekannte Namen waren hier nicht zu finden in der Formation, weshalb die Esten vordergründig über das Kollektiv kommen und hier gefährlich werden.

In der Anfangsphase zeigten die Gäste dabei auch prompt, dass man sie nicht unterschätzen sollte. Der Schweizer Thomas Häberli brachte in seiner Amtszeit als Teamchef von Estland einiges an Struktur in das Team und das Team wirkt bei den Auftritten gut organisiert. Das demonstrierte man auch gegen Österreich, wo man von Beginn weg mutig auftrat. Man presste den Gastgeber sogar situativ höher an und aus dem 5-3-2 wurde ein 3-1-4-2, wo man recht weit in die gegnerische Hälfte vorrückte.

Dadurch wurde es den Österreichern schwergemacht spielerische Lösungen zu finden und in Ruhe das Spiel aufzubauen. Auch nach Ballverlust setzte man sofort nach und ging ins Gegenpressing, um das Spielgerät wiederzuerobern. Die Esten zeigten also viele moderne Ansätze in ihrem Spiel und wirkten bereits nach den ersten Minuten gruppentaktisch wesentlich reifer und weiter, als es der letzte Gegner Aserbaidschan war.

Allerdings war dies ein zweischneidiges Schwert, denn mit dieser Spielanlage verlangte man von den estnischen Spielern einiges ab. Dementsprechend schlichen sich auch hier und da mal Fehler ein, die bestraft hätten werden können. So etwa nach bereits zwei Spielminuten, als der Torhüter auf Höhe der Mittellinie Patrick Wimmer anschoss und dieser aufs leere Tor zog, allerdings aus keinem einfachen Winkel das Tor dann verfehlte.

Das wäre natürlich ein Traumstart gewesen und hätte den Österreichern Auftrieb gegeben. Doch auch danach machten die Gastgeber weiterhin Druck und spielten aggressiv nach vorne. Immer wieder eroberte man in der gegnerischen Hälfte aufgrund des starken Pressings die Bälle und versuchte dann mit Tempo vor das Tor zu kommen. So kam man auch zu einigen Chancen, die man jedoch nicht verwerten konnte.

Die beste fand man nach einem Elfmeter vor, als man im Vorfeld mit einer tollen Kombination sich von hinten bis in den Strafraum kombinierte und Stürmer Gregoritsch gefoult wurde. Den fälligen Elfmeter setzte der Angreifer jedoch an die Latte, weshalb es beim 0:0 blieb. Doch auch die Esten setzten immer wieder Akzente nach vorne und versuchen die Intensität von Österreich zu kontern, weshalb eben ein abwechslungsreiches und dynamisches Spielgeschehen entstand. Speziell der Angreifer Sappinen war als Umschaltspieler immer wieder gefährlich und konnte im Konter seine Dynamik ausspielen. Dennoch kam die Führung der Esten etwas überraschend, fiel diese doch in einer guten Phase der Österreicher, wo man das Gefühl hatte, es würde nicht mehr lange bis zum 1:0 dauern.

Doch nach einem Freistoß nahe der Mittelauflage, verloren die Österreicher trotz klarer Überzahl zwei Kopfballduelle, stand der umtriebige Sappinen plötzlich völlig frei und traf mit einem satten Schuss zum 1:0 für Estland.

Wenig Durchschlagskraft im letzten Drittel

Die Österreicher versuchten sich davon nicht beirren zu lassen und weiter nach vorne zu spielen. Allerdings wurde es nun schwieriger, da sich die Esten mit der Führung im Rücken natürlich nun etwas zurückzogen und die die Gastgeber kommen ließen. Nun wurde das 5-3-2 zu einer defensiven Festung und alle zehn Feldspieler verteidigten leidenschaftlich das Tor. Die Stürmer standen hier teilweise schon 30 Meter vor dem eigenen Tor und waren de facto die ersten Verteidiger. Das bedeutete für die Österreicher, dass man Geduld aufbringen musste, um diese Menschenmauer zu durchbrechen. Diese fehlte allerdings in einigen Fällen und man agierte speziell im letzten Drittel viel zu überhastet. Man versuchte hier speziell über die beiden zentralen Mittelfeldspieler Seiwald und Laimer nach vorne zu kommen und sich über die Halbräume nach vorne zu kombinieren und recht direkt und aggressiv zu agieren.

Doch hier nahm man teilweise zu hohes Risiko, weshalb der Rhythmus immer wieder gestört und durch Ballverluste unterbrochen wurde. Ein weiteres Problem war der hohe Zentrumsfokus des Teams und das man kaum über die Flügelzonen versuchte anzugreifen beziehungsweise zu Durchbrüchen zu kommen. Das war vor allem deshalb problematisch, da sich Estland mit ihrem 5-3-2 Block massiv ins Zentrum zusammenzog und de facto acht Mann nur in dieser Zone zur Verfügung hatte. Dementsprechend herrschte auch reger Betrieb in dieser Region und es waren kaum offene Räume vorhanden. Daher fand man auch bis zum Ende des ersten Durchgangs kaum Möglichkeiten mehr vor, da man sich immer wieder an diesem „Zentrumsblock“ des Gegners die Zähne ausbiss und hängen blieb. So ging es mit einem 0:1-Rückstand in die Halbzeitpause.

Rangnick überrascht mit Adaption

Mit dem zweiten Abschnitt des ersten Durchgangs konnte Teamchef Ralf Rangnick nicht zufrieden sein. Und das mündete auch letztlich darin, dass zur Pause ein Doppelwechsel vollzogen wurde und mit Kapitän Alaba und Adamu zwei frische Kräfte ins Spiel kamen. Am interessantesten war hier die Tatsache, dass man mit der Hereinnahme des zweiten Stürmers Adamu, auch das System anpasste. Aus dem 4-3-3 wurde nun ein klares 4-Raute-2, was eine sehr überraschende Entscheidung war. Wie erwähnt gab es durch Zentrum für die Österreicher kaum ein Durchkommen und der Gegner hatte hier eine massive Präsenz aufgebaut. Doch statt die Freiräume auf die Flügelzonen anzuvisieren oder zu versuchen, die Esten auseinanderzuziehen und aus dem Zentrum zu locken, wollte man förmlich mit dem Kopf durch die Wand und das Durchkommen weiterhin erzwingen.

Dementsprechend sah dann auch das Spielgeschehen aus und das gesamte Konstrukt wirkte sehr fahrig und zum Teil kopflos. Vor allem aus dem Aufbau heraus gab es kaum einmal Sequenzen, wo man versuchte den Gegner in Bewegung zu bringen und mal in die Breite zu passen. Es wurde stattdessen ständig versucht den ersten Pass vertikal zu spielen. Doch wenn der Gegner in der eigenen Hälfte formiert ist und in seiner Position steht, fällt es ihm hier natürlich auch leichter, sofort Zugriff zu erlangen und am Gegner dran zu sein.

Dementsprechend wirkte es ständig so, als würden die Esten an den Österreichern kleben und können diese weder in Ruhe den Ball annehmen, geschweige denn mal zum Tor aufdrehen. Das war allerdings wie erwähnt zum Teil hausgemacht und hätten die Österreicher mit mehr Ruhe und Geduld lösen können, indem man die Ketten von Estland in Bewegung gebracht hätte – durch Auslösen der Verschiebebewegungen.

Daher war die zweite Halbzeit de facto auch kein optischer Leckerbissen und hauptsächlich von Duellen um den ersten und zweiten Ball geprägt. Immer wieder blieben die Österreicher in den dichten Reihen des Gegners hängen und so stockte das Offensivspiel, weshalb Chancen Mangelware waren. Hier muss man natürlich auch Estland ein Kompliment aussprechen, die das im Rahmen ihrer Möglichkeiten sehr gut machten und gruppentaktisch diszipliniert agierten.

Bis zur 68. Minute hielt dann auch dieser Defensivverbund, ehe Österreich mit etwas Ballglück hinter das Mittelfeld und in den Zwischenlinienraum kam und nach einem abgeblockten Schuss der Ball zum eingewechselten Kainz kam, der mit einem satten Abschluss zum 1:1 traf.

Mit Fortdauer wurde immer öfter die Brechstange bei den Gastgebern ausgepackt und lange Bälle in die Spitze auf die Zielspieler Gregoritsch und Adamu gespielt, um hier auf den zweiten Ball zu gehen. Spätestens mit der Hereinnahme von Onisiwo hatte man de facto sogar konstant fünf (!) Angreifer in der letzten Linie, um hier für ausreichend Präsenz zu sorgen und den Gegner unter Druck zu setzen.

Dieser Plan ging dann auch tatsächlich auf und kurz vor Schluss erzielte man das umjubelte 2:1 durch Gregoritsch. Die Ironie war hier sicherlich, dass man es über die Flügel und nach einer Flanke tat, wo man dank der hohen Strafraumpräsenz Gregoritsch freigespielt bekam, dessen Schuss dank Mithilfe der Esten im Kasten landete. Damit belohnten sich die Österreicher doch noch für den investierten Aufwand und es blieb letztlich auch beim knappen Erfolg.

Fazit

Zusammengefasst kann man konstatieren, dass der Sieg der Österreicher sicherlich verdient, wenn auch aufgrund des späten Zeitpunkts doch etwas glücklich war. Im Vergleich zum Spiel gegen Aserbaidschan tat man sich allerdings wesentlich schwerer und fand nicht die richtigen Mittel, um die kompakten Esten knacken und konstant unter Druck setzen zu können. Zwar sprechen die statistischen Werte klar für die Gastgeber, allerdings stockte der Motor in vielen Phasen des Spiels und man wollte das Durchkommen oftmals erzwingen und einfach mit dem Kopf durch die Wand gehen.

Hier hätte es mehr Ruhe und Balance im Spiel gebraucht, um die Esten in Bewegung zu bringen und dadurch Räume zu kreieren. Allerdings darf man natürlich auch nicht vergessen, dass den Österreichern einige wichtige Akteure fehlten und dadurch etwas die Linie im Spiel fehlte. Das sollte sich in den nächsten Lehrgängen sicherlich wieder bessern, wenn die verletzten Schlüsselspieler wieder in die Mannschaft rücken. Letztendlich zählen aber vordergründig die Punkte und mit sechs Zählern hat man einen tollen Start in die Qualifikation zur Europameisterschaft hingelegt.

Dalibor Babic