Die erfahrenste Innenverteidigung Europas und eine neue Hoffnung im Angriff: Das ist der Kader von Russland
Nationalteam 13.November.2014 Alexander Semeliker 2
Am Samstag empfängt das österreichische Nationalteam im Rahmen der Qualifikation für die EM 2016 in Frankreich die Auswahl aus Russland – eine richtungsweisende Partie. Die Russen stehen nach einem 1:1 gegen Moldawien etwas unter Druck, könnten aber mit einem Sieg in Wien den Druck in Richtung Österreich verschieben.
Nachdem man in den letzten beiden Qualifikationen jeweils auf die deutsche Nationalmannschaft traf, reagierten die ÖFB-Fans durchaus erfreut als Russland aus Topf eins zugelost wurde. Die Sbornaja gilt als WM-Teilnehmer zwar nicht als Jausengegner, dennoch sehen viele die Chance, sie zumindest im Heimspiel zu schlagen. Große Namen findet man bei den Russen nämlich nicht, sie sind vielmehr eine Kollektiv-Mannschaft. abseits.at stellt den Kader im Detail vor.
Der Torhüter
Das Tor des russischen Teams hütet mit Igor Akinfeev (28) ein routinierter Schlussmann von internationalem Format. Seit seiner Jugend spielt er schon bei ZSKA Moskau, seit fast zehn Jahren ist er Stammkeeper im Nationalteam. Seine Stärken liegen vor allem in den klassischen Disziplinen, dem Herauslaufen und auf der Linie. An und für sich besticht Ankifeev durch eine hohe Konstanz, jedoch leistete er sich bei der abgelaufenen WM den einen oder anderen groben Fehler.
Der Ersatzmann für den 75-fachen Internationalen ist mit Yuri Lodygin ein ähnlicher Tormanntyp. Der 24-Jährige, der in der U21 noch für Griechenland, dem Land seiner Mutter, spielte, steht bei Zenit St. Petersburg unter Vertrag, ist jedoch weniger konstant und ist bei hohen Bällen bzw. Flanken gegebenenfalls ein Unsicherheitsfaktor. Die Nummer drei ist Artem Rebrov (30), der trotz seines Alters aber noch kein Länderspiel am Buckel hat.
Die Innenverteidigung
In der Innenverteidigung agiert ein perfekt eingespieltes Duo, denn Sergei Ignashevich (35) und Vasili Berezutski (32) spielen schon seit über zehn Jahren Seite an Seite – einerseits im Nationalteam, andererseits im Verein bei ZSKA. Probleme bekommen die beiden naturgemäß dann, wenn das Spiel Tempo aufnimmt und sie weiträumig agieren müssen. Dem gegenüber steht ein hohes Spielverständnis bzw. Stellungsspiel. Mit einer Körpergröße von 1,86m bzw. 1,89m sind sie gemessen an den Innenverteidiger-Standards zwar nicht übermäßig groß, dennoch ist den beiden physisch kaum zuzusetzen, was sich auch anhand der Statistik zeigt. Ignashevich gewinnt in der russischen Liga 67% seiner Luftzweikämpfe, Berezutski sogar 86%.
Dahinter in der Hierarchie kommen zwei Akteure, die auch auf den Außenbahnen aushelfen können, die aber in Sachen Erfahrung nicht mal ansatzweise an das gesetzte Duo rankommen. Vladimir Granat (27) von Dynamo Moskau bestritt erst acht Länderspiele für die Russen und kann Ignashevich und Berezutski hinsichtlich Zweikampfstärke nicht das Wasser reichen. Der zweite Ersatzmann ist der 25-jährige Andrey Semenov von Terek Grozny. Dieser hat zwar überzeugende Luftzweikampfwerte, dafür Schwächen im Passspiel und quasi keine internationale Erfahrung.
Die Außenverteidigung
Rechts hinten fehlt Fabio Capello mit Igor Smolnikov der nominelle Starter, weshalb diese Zone in Wien eine mögliche Bruchstelle sein könnte. Gegen Moldawien spielte Sergey Parshivlyuk – eines seiner erst zwei Länderspiele. Der 25-Jährige, der seit seiner Kindheit bei Spartak Moskau kickt, ist ein offensiv ausgerichteter Außenverteidiger, der allerdings mit seinen Vorstößen relativ lange im zweiten Drittel wartet. Er hinterläuft jedoch nicht nur in hohem Tempo, sondern dribbelt auch gerne diagonal Richtung Strafraum, rückt ein und übernimmt mehr oder weniger gestalterische Aufgaben.
Auf der linken Seite spielt Parshivlyuks Mannschaftskollege Dmitri Kombarov (27), ebenfalls ein dynamischer Außenverteidiger, der im Verein auch im Mittelfeld zum Zug kommt. Seine Stärken hat er dementsprechend in der Offensive: er dribbelt und hinterläuft oft, bereitet regelmäßig Torchancen vor – wenngleich er in puncto Technik einige Luft nach oben hat. Andererseits ist er im Zweikampfverhalten nicht immer sicher, muss oft zu Fouls greifen.
Weitere Alternativen für die beiden Außenverteidigerpositionen sind Evgeny Makeev (25) rechts und Georgi Schennikov (23) links, die mit einem bzw. fünf Spielen jedoch ebenfalls über kaum Länderspielerfahrung verfügen. Makeev ist ein variabel einsetzbarer Defensivspieler, agiert bei Spartak sowohl rechts als auch links in der Viererkette und in der Innenverteidigung. Schennikov ist ein eher konservativ ausgerichteter Akteur, der bei ZSKA eher für die Balance zuständig ist.
Das zentrale Mittelfeld
Im Mittelfeld darf man mit einer Doppelsechs rechnen. Ein Fixpunkt Capellos ist dabei Denis Glushakov von Spartak Moskau. Der 27-Jährige ist in erster Linie für die defensive Stabilität zuständig, agiert dabei aber nicht als klassischer Abräumer, sondern spielt recht sauber und verhält sich in Zweikämpfen klug. Mit seinem Herausrücken verzögert er geschickt Angriffe des Gegners oder unterbricht sie. Am Ball ist er jedoch zuweilen anfällig, hat in der Liga eine Passquote von nicht einmal 77%. Das hat zur Folge, dass er in Kombinationen kaum eingebunden wird.
Neben Glushakov setzte Capello meist auf Viktor Fayzulin (28) als Balancespieler, der viele Aufgaben auf einmal übernehmen muss – angesichts seiner Vielseitigkeit jedoch ein eher kleines Problem. Der Zenit-Akteur besticht mit einem großen Aktionsradius, einem sehr soliden Passspiel und einem gutem Tackling. Er pendelt oft vertikal nach vorne, ist aber so schnell, dass er im defensiven Umschaltspiel meist in die richtige Position kommt. Fayzulin fällt aufgrund seiner unscheinbaren Spielweise vor allem offensiv zwar kaum auf, ist aber ein wichtiger Spieler für die Russen.
Während die Sbornaja wie dargelegt in der Abwehr kaum erfahrene Spieler auf der Bank zur Verfügung hat, ist das im Mittelfeld anders. In Roman Shirokov gibt es einen Spieler, der das Box-to-Box-Spiel in früheren Jahren blendend beherrschte und auch als Zehner eingesetzt werden kann. Beim 33-Jährigen merkt man aber, dass sich seine Karriere dem Ende entgegenneigt. Bei Zenit, wo er lange Zeit eine wichtige Stütze war, war für ihn kein Platz mehr, weshalb er zunächst an den FK Krasnodar ausgeliehen wurde im Sommer ablösefrei zu Spartak wechselte. Zudem musste er wegen einer Achillessehnenoperation heuer schon länger pausieren.
Parallelen dazu findet man bei Igor Denisov (30), der mittlerweile Zenit ebenfalls verlassen hat und aktuell bei Dynamo Moskau unter Vertrag steht. Denisov besticht nach wie vor durch ein exzellentes Passspiel, mit dem er den Rhythmus bestimmen kann und Ruhe in das Spiel seiner Mannschaft bringen kann. Als Capello 2012 das Amt des russischen Teamchefs übernahm wurde Denisov prompt zum Kapitän ernannt, spielte in jüngsten Planungen aber kaum eine Rolle. Bei der WM war er nur Wechselspieler, absolvierte seitdem keine Minute im Teamdress mehr.
Dafür sah man in der Qualifikation ein neues, jüngeres Gesicht im zentralen Mittelfeld: Magomed Ozdoev. Der 22-Jährige spielt bei Rubin Kazan und feierte im September sein Länderspieldebüt. Ozdoev ist trotz seiner Jugend und Unerfahrenheit ein Spieler, der sich im zweiten Drittel viel bewegt und oft den Ball fordert. Defensiv hat er zwar Mängel im Stellungsspiel, ist allerdings im individuellen Zweikampfverhalten durchaus zuverlässig. In der Liga erobert er beispielsweise 4,6 Bälle pro Spiel und gewinnt 59% seiner Luftzweikämpfe.
Die Flügelspieler
Auf den äußeren Positionen im Mittelfeld neigt Capello zu Rotationen. Die meisten Einsätze hat dabei Aleksandr Samedov, der auch in Brasilien Stammspieler am rechten Flügel war. Samedov ist ein sehr zielgerichteter Spieler, der eher als Rechtsaußen zu bezeichnen ist. Er spielt recht breit, hält den Ball lange, ist ein guter Vorbereiter und schlägt gefährliche Flanken. Selbst ist er jedoch kaum torgefährlich: in 22 Einsätzen traf er dreimal – zweimal davon gegen Luxemburg.
Links gibt dürfte es ein Duell um den Startplatz geben. Ein Anwärter ist Oleg Shatov, 24-jähriger Offensivmann von Zenit – ein aus taktischer Sicht durchaus interessanter Akteur. Shatov ist technisch zwar gut, setzt aber nicht auf spektakuläre Dribblings, sondern bewegt sich sehr gut. Er ist zudem jemand, der aus dem Zentrum kommt und seine beste Position wohl als pendelnder Achter in einem 4-3-3 hat. Zuweilen fehlt ihm jedoch die Konsequenz im Spiel gegen den Ball.
Der zweite Kandidat ist der einzige Legionär im Kader, nämlich Denis Cheryshev. Der 23-Jährige gehört Real Madrid, spielt aktuell auf Leihbasis bei Villareal und war davor bei Sevilla. Seine Stärken liegen im technischen Bereich, jedoch ist er keiner, der zu übertriebenen Dribblings neigt. Er nutzt sie vielmehr um gemeinsam mit seiner Dynamik bei Diagonalläufen und Einrückbewegungen Zug zum Tor zu entwickeln. Darüber hinaus ist er ein guter Zweikämpfer, der auch nach hinten arbeitet.
Weitere Optionen für die Flügel sind auf der rechten Seite Aleksey Ionov (25), der wie Samdov sehr breit und geradlinig agiert, sowie der 23-jährige Makism Kannunikov von Rubin Kazan links. Während Ionov ein durchaus starker „Finisher“ ist – für seine fünf Saisontore benötigte er nur 15 Schüsse – hat Kannunikov im Abschluss noch Luft nach oben. Im Nationalteam konnten jedoch beide noch nicht über einen Treffer jubeln.
Das offensive Mittelfeld
Die größte Torgefahr aus dem Mittelfeld geht von der nominellen Zehnerposition aus, wo es mit Aleksandr Kokorin wohl den Spieler gibt, auf den die Österreicher am besten aufpassen sollten. Der 23-Jährige traf für Dynamo Moskau in der laufenden Saison in zwölf Ligaspielen sechsmal. Im Verein spielt er meistens als Solospitze in einer 4-2-3-1- bzw. 4-3-3-Grundformation. Im Nationalteam agiert er eher als hängende Spitze und wurde von Capello auch schon am Flügel eingesetzt.
Er bewegt sich im Aufbau horizontal zwischen den Linien und geht dann explosiv in die Tiefe, wenn der Ball in höheren Zonen ist. Im Gesamtpaket ist Kokorin ohne weiteres als kompletter Stürmer zu bezeichnen. Er ist körperlich robust, verfügt über einen guten Abschluss, eine solide Schnelligkeit, zwar kein außergewöhnliches, aber für den Gegner durchaus gefährliches Passspiel und findet in vielen Momenten die passende Lösung.
Der Aufschwung Kokorins ist einhergehend mit der Stagnation eines als Spielers, der vor zwei Jahren als eines der größten Talente Europas gehandelt wurde: Alan Dzagoev (24). Bei der EM 2012 war er in einer tristen russischen Mannschaft der Russen ein Lichtblick, erzielte drei Turniertreffer. Den großen Durchbruch hat der ZSKA-Akteur bisher aber nicht geschafft. Dzagoev hat einerseits Probleme, seine sehr guten Analgen im technischen Bereich, konstant umzusetzen und passt auch nicht hundertprozentig zum Konzept Capellos. Vor allem die Defensivarbeit lässt er phasenweise schleifen. Andererseits ist er immer für den einen oder anderen offensiven Überraschungsmoment gut.
Der Angriff
Im Angriff des russischen Teams hing in den letzten Jahren viel an Aleksandr Kerzhakov (31). Der Zenit-Stürmer ist mit 28 Länderspieltoren nicht nur der beste Torschütze des aktuellen Kaders, sondern auch der beste der Geschichte seit dem Zerfall der Sowjetunion. Kerzhakov verrichtet viel Laufarbeit, zieht Räume frei, verfügt über eine solide Technik und einen guten Schuss. Dass der 86-fache Teamspieler ein ausgewiesenes Schlitzohr ist, erscheint aufgrund seiner großen Erfahrung selbstverständlich.
Das Gegenstück zu Kerzhakov ist der baumlange Artem Dzyuba (26) – mit 1,96m der mit Abstand größte Spieler des durchschnittlich großen russischen Kaders. Fünf Länderspiele zeugen zwar nicht von großer Erfahrung, jedoch dürfte ein Startelfeinsatz in Wien nicht ganz unwahrscheinlich sein. Mit zwei Toren ist er immerhin der beste Torschütze in der EM-Qualifikation bisher. Obwohl seine Statur ein anderes Verhalten suggeriert, ist Dzyuba ein Stürmer, der sich viel bewegt und auch eins-gegen-eins-Duelle nicht scheut. Am meisten wird aber naturgemäß seine Physis genutzt, dank der er viele Ablagen für seine Mitspieler bereitstellt.
Alexander Semeliker, abseits.at
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