Im dritten und letzten Teil des abseits.at-Interviews mit Nationalteamtrainer Marcel Koller erklärt der Schweizer die Wichtigkeit von taktischer Flexibilität, zeigt schonungslos Abwehrfehler auf und... „Ich will gewinnen und muss fürs nächste Spiel die beste Lösung finden!“  – Marcel Koller im großen abseits.at-Interview (3/3)

Im dritten und letzten Teil des abseits.at-Interviews mit Nationalteamtrainer Marcel Koller erklärt der Schweizer die Wichtigkeit von taktischer Flexibilität, zeigt schonungslos Abwehrfehler auf und denkt über Dreierketten nach. Dass Österreich nach Brasilien fährt, soll darüber hinaus kein Zufall sein.

 

Jose Mourinho ließ seitenlange Dossiers über die Gegner anlegen, schneidet seine Taktik wie einen Mailänder Anzug. Andere Trainer sagen „Wir schauen nur auf uns.“ Inwieweit sollte man – allgemein – auf den Gegner eingehen?

Für mich persönlich ist es wichtig, auch alles über den Gegner zu wissen. Die Infos müssen gefiltert werden. Da müssen die Spieler auch Spiele schauen. Du kannst nicht alles und jeden kennen, auch wenn wir versuchen, alles über den Gegner herauszufinden. Für mich ist der Fuß wichtig, beispielsweise ob links oder rechts. Dann kann man eine Seite zustellen. Dann muss er den Schwächeren nehmen. Da habe ich einen Vorteil. Ist der Gegner schnell, muss ich ihn also gleich bei der Ballannahme attackieren oder ihn auf mich zukommen lassen. Zwei, drei, vier Dinge, die überragend sind, muss man dem eigenen Spieler vermitteln. Für mich ist wichtig, alles zu wissen. Auf der gegnerischen Ersatzbank sollten keine Spieler sein, von denen man nicht weiß, ob das ein Stürmer oder Verteidiger ist. Das kann entscheidend sein. Kommt da ein 2-Meter-Mann rein und wir wissen nicht, was er ist, macht der uns das Tor. Da muss man flexibel sein und reagieren.

 

Das heißt, Sie kennen auch die Bank der Färöer Inseln?

Das muss man wissen, aber es gibt halt auch Länder, da ist es schwierig, alles zu erfahren. Man darf sich nicht überraschen lassen.

 

Ist das 4-2-3-1 in Stein gemeißelt? Ist eine Dreierkette denkbar? Oder drei Stürmer?

Da muss man flexibel sein. Wie gesagt, es ist wichtig Sicherheit zu bekommen und meine Ideen zu verstehen. Beim Nationalteam dauert das. Da wollen wir mal ein System spielen. Es kommt auf die Situation drauf an. Vielleicht muss man im Spiel etwas ändern.

 

Das heißt, unser System wird in den Spielen, in denen wir gegen Kasachstan und Färöer Favorit sind, das gleiche sein, wie gegen Schweden und Irland, wo wir ebenbürtig sind und auch gegen Deutschland?

Das ist unser System und das heißt Grundordnung in den Positionen. Wir stellen uns auf. Wenn wir vorne sind, kann man ja verschieben:

© Sander. Offensives Verschieben

Die hinten können dann nicht rausspielen, wenn wir uns so bewegen. Das heißt, der Torwart muss den Ball lang spielen. Wir haben gute Kopfballspieler im Mittelfeld und dann müssen wir uns den zweiten Ball holen.

© Sander. Torwart zum Abschlag zwingen und 2. Ball erobern.

Das System bleibt dabei immer gleich. Das mit dem Hinterlaufen hat gegen die Ukraine nicht geklappt. Wenn der rechte Außenverteidiger mit seinem Gegenspieler mitgeht, sind wir kompakt und es passiert nichts. Das ist an sich einfach:

© Sander. Außenverteidiger lief nicht mit dem Gegner  mit, Innenverteidiger verschob nicht. Lösung: Mitgehen und  blockieren.

Das darf nicht passieren. Wenn das geschieht, haben wir das Spiel schon verloren.

 

„Von einer Abwehrlinie mit vier Spielern ausgehend, lässt sich der gesamte Raum des Spielfelds am besten abdecken” – Das sagte Marcel Koller als Bochum-Trainer. Einmal haben Sie in einem Spiel eine Dreierkette spielen lassen. Nun gehen manche Trainer davon weg, mit der Viererkette zu spielen. Wie beurteilen Sie die Entwicklung der letzten Jahre? [Anm.: 14.10.2006 – Bochum – Werder 0:6. Nach dem 0:2 – eigene Angaben – durch Schulz in der 60.Minute Dreierkette]

Nein, das werden wir nicht tun. Damals waren wir hinten und haben aufgemacht. Das kann schon mal sein, aber ich möchte mit vier beginnen. Im Spiel muss man dann flexibel sein. Der Spieler links muss auch nach vorne kommen, der rechts auch. Da hab ich dann auch drei hinten. Die vier bleiben ja nicht hinten. Wenn ich aber nur mit drei beginne und fünf im Mittelfeld habe, dann spielen diese ganz anders. Nur drei Verteidiger machen große Räume auf. Die müssen weite Wege gehen. Ich will persönlich die Viererkette. Ansonsten muss man sich fragen, ob man die Typen hat, die eine Dreierkette spielen können. Der in der Mitte muss groß und kopfballstark sein, die auf den Außen schnell, eine gute Wahrnehmung haben und das Spiel eröffnen können. Wenn das passt, dann geht das. Gegen einen Stürmer oder zwei geht das.

© Sander. Vor- und Nachteile einer Dreierkette

Sind mehr Spieler da, werden die Löcher größer. Hat man die Spieler, kann man sich das überlegen. Ich weiß nicht, ob wir diese haben. Das hängt auch vom Gegner ab. Muss ich hinten nicht so absichern, reichen auch zwei Verteidiger. Dann spielen wir mit ständigem Druck. Wichtig ist, dass wir flexibel sein. Ich will gewinnen und muss fürs nächste Spiel die beste Lösung finden. Von der Grundordnung komme ich zur Taktik. Wie sieht es beim Gegner aus? Das ist die Kunst. Passt es, kann ich das Spiel richtig lesen.

 

Sie haben die WM-Qualifikation zum Ziel – beim ersten Aufeinandertreffen mit den Spielern packten sie einen Motivationstrick mit einem brasilianischen Teamdress aus. Wird man so was öfter von ihnen sehen?

Nein, denn ich dachte, dass das intern bleibt (lacht). Wir haben eigentlich gesagt, dass das unter uns bleibt. Aber das kommt spontan.

 

Was braucht es, dass Österreich zur WM 2014 kommt? Glück?

Wichtig wird sein, dass wir jeden Gegner einzeln bearbeiten, auch mental, nicht an Eventualitäten zu schauen. Das erste ist im September gegen Deutschland, das ist das wichtigste. Wir wissen das Ergebnis nicht. Aber im Oktober kommen dann zwei Spiele gegen Kasachstan und das dort ist das Wichtigste. Wir müssen Schritt für Schritt weitergehen, dürfen uns nicht von außen beeinflussen lassen. Je mehr man Sicherheit hat, je mehr man das Spiel spürt, gute Ergebnisse holt, desto besser ist es. Aber es soll kein Zufall sein. Du kannst nicht alles planen, aber es gibt Vorgehensweisen, die man mitgibt. Schlussendlich liegt die Wahrheit am Platz. Versprechen kann man eh nix. Derzeit sind wir am vierten Platz, wollen aber die Euphorie und Leidenschaft mitnehmen.

Die zwei Flipchart-Bögen rollte Marcel Koller nach dem Interview ein und meinte scherzhaft, er müsse den Plan für Brasilien mitnehmen…

Das Interview führten Georg Sander und Archimedes, abseits.at

Georg Sander

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