Koller Teamchef: Österreichs Lobbyisten reden frei von der Leber weg – aber Koller kennen sie offenbar nicht…
Nationalteam 4.Oktober.2011 Daniel Mandl 0
Der 50-jährige Schweizer Marcel Koller ist neuer Teamchef der österreichischen Nationalmannschaft. In Österreich ist Koller ein unbeschriebenes Blatt, in der Schweiz wurde er bereits im Alter von 38 Jahren zum Trainer des Jahres gewählt und wurde danach zu einem der zahlreichen Trainerexporte der Schweiz. Nachdem es keine „österreichische Lösung“ wurde, fühlt sich nun so mancher „Lobbyist“ vor den Kopf gestoßen und lässt sich zu unprofessionellen oder unüberlegten Aussagen hinreißen.
Marcel Koller als Überbegriff: Ein akribischer Arbeiter, „smart“ las man heute bereits in verschiedenen Sportmedien, ein Sachverständiger, zudem einer, der den Puls der Zeit erkannte und etwa eine offizielle Facebook-Präsenz betreibt, was man von zahlreichen österreichischen Übungsleitern nicht behaupten kann. Viele heimische Trainer reagieren auf die Koller-Verpflichtung diplomatisch, geben ehrlich zu, dass sie seine Arbeit (noch) nicht einschätzen können und man ihn deshalb arbeiten lassen sollte. Andere, nämlich die, die im Zuge der Kandidatenselektion Partei für einen anderen Trainer ergriffen, antworten zum Teil patzig und wollen schon im Voraus eine „ich hab’s euch ja gesagt“-Stimmung für die Zukunft kreieren.
„Wir haben’s immer schon gewusst“
Eine solche Stimmung zu erzeugen ist immer leicht. Wenn Koller den Erwartungen des ÖFB nicht entspricht und vielleicht schon bald wieder Geschichte ist, können seine Gegner auf ihre Aussagen des heutigen Tages verweisen und sich somit selbst als Experten, „die’s immer schon wussten“, ins Rampenlicht rücken. Ist Koller erfolgreich ist ganz Fußball-Österreich happy und die Aussagen von Herbert Prohaska oder Frenkie Schinkels werden schnell vergessen sein.
„Koller kein Name!“ – Foda aber auch nicht…
Was haben die Herren also gesagt? Frenkie Schinkels forderte als Coach Franco Foda, bezeichnete Andreas Herzog als „mehr als eine Option“. In einem Interview mit dem Onlineportal sportnet.at erklärte der Austro-Niederländer allerdings auch: „Koller, das ist kein Name! Keiner mit großer Erfahrung!“ – rollen wir die Sache mit der Erfahrung am besten bei Schinkels‘ Kandidaten auf: Franco Foda, ehemals zweifacher DFB-Nationalspieler, coacht seit 2003 den SK Sturm, wurde in der Vorsaison erstmals österreichischer Meister, holte zuvor einmal den ÖFB-Cup. Andreas Herzog war lange Co-Trainer im österreichischen Team, trainiert seit 2009 die U21-Nationalmannschaft. Der „unerfahrene“ Koller hingegen ist nicht nur fünf Jahre älter als Foda, acht älter als Herzog, sondern wurde mit St. Gallen (zum ersten Mal seit 96 Jahren!) und den Grasshoppers Zürich je einmal Schweizer Meister, arbeitete sechs Jahre lang als Trainer in Deutschland und holte als aktiver Spieler genauso viele Titel wie Herzog und Foda zusammen. Seinen ersten Job als Trainer trat er übrigens 1997 an – zu einer Zeit als sowohl Herzog und Foda noch aktive Fußballer waren.
Prohaska reagiert unüberlegt
Das Argument mit dem „Namen“ und der Erfahrung wäre damit entkräftet. Der Name Koller ist über Österreichs Grenzen hinaus trainerbezogen bekannter als die Namen Herzog oder Foda. ÖFB-Urgestein Herbert Prohaska teilt Schinkels‘ Meinung, präzisiert sie aber. Der Originalwortlaut zu Prohaskas Meinung zur Teamcheffrage:
“Es war für alle überraschend. Ich habe ein zwiespältiges Gefühl. Man weiß, dass ich eine andere Lösung bevorzugt hätte. Man muss so fair sein und abwarten, aber es ist wahrscheinlich so, dass sich der Großteil im Land eine andere Entscheidung gewünscht hätte. Koller wird sich bisher nicht groß mit dem österreichischen Fußball beschäftigt haben. Seine Aufgabe ist viel schwerer, als für einen, der die anderen kennt. Das heißt, er fängt im Prinzip bei Null an. Koller war zwei Jahre nicht im Geschäft, das heißt, dass er keine Angebote bekommen oder angenommen hat. Von der Optik her ist das nicht optimal. Er hat hauptsächlich in der Schweiz gearbeitet, in Deutschland war es durchwachsen. Als Fußballer hat er eine gute Karriere hinter sich. Können wird er’s schon. Aber es ist auch sehr, sehr wichtig, was du für eine Rückendeckung hast. Er wird ganz wenig haben und keinen Bonus, den etwa Andreas Herzog mitbringt. Herzog hat eine Riesenkarriere hinter sich und arbeitet schon sehr lange im ÖFB.“
Die Aussage “Koller wird sich bisher nicht groß mit dem österreichischen Fußball beschäftigt haben“ ist einerseits eine Vermutung, andererseits im modernen Fußball kein treffliches Argument mehr. Viele Trainer, die ihr Land verließen, um ein fremdes Nationalteam zu betreuen, wussten vor ihrem Amtsantritt nichts über den Fußball, geschweige denn die Gepflogenheiten und die Kultur an ihrer neuen Wirkungsstätte. Dies gilt nicht nur für „gestandene“ Trainer wie Giovanni Trapattoni (Irland) oder Berti Vogts (Aserbaidschan), sondern auch für verhältnismäßig unbekannte Trainer wie Luiz Fernández (Israel), Holger Osieck (Australien), Bob Bradley (Ägypten) oder Goran Stevanovic (Ghana). Es geht nicht mehr nur darum, wie hoch das fußballerische Allgemeinwissen angesiedelt ist, sondern auch wie man eine neue Herausforderung annimmt. Marcel Koller wird in seiner Funktion als österreichischer Teamtrainer punktgenau daran arbeiten, dass er die Spieler schnell kennenlernt und ihm kein interessanter Akteur durch die Finger rutscht. Außerdem ist es nicht nur ein Nachteil, dass der Schweizer nicht jeden Kicker in und auswendig kennt – so fangen einige Spieler wieder bei Null an, was dem Konkurrenzkampf innerhalb des Teams förderlich ist. Eben wie Prohaska sagt: “Seine Aufgabe ist viel schwerer, als für einen, der die anderen kennt. Das heißt, er fängt im Prinzip bei Null an.“ – schwer ist die Aufgabe natürlich, sie wäre auch für Herzog und Co. nicht leicht gewesen. Aber man darf jetzt nicht Fehler begehen und einen Trainer prophylaktisch anzählen, weil ER bei Null beginnt. Es sollte eher um die Spieler gehen – und dass die nach den Misserfolgen der letzten Monate und Jahre bei Null beginnen (zumindest was ihr Standing beim Teamchef betrifft) ist wahrlich kein Nachteil für unser Nationalteam.
„Durchwachsen“ – aber fast sechs Jahre durchgehend in Deutschland…
Weiter sagt Prohaska: „Er hat hauptsächlich in der Schweiz gearbeitet, in Deutschland war es durchwachsen.“ … was schlichtweg falsch ist. Koller arbeitete sechs Jahre in der Schweiz und nur ein paar Monate kürzer in Deutschland. Dabei wurde er zweimal Schweizer Meister, führte den VfL Bochum auf Anhieb von der zweiten in die erste deutsche Bundesliga, wurde eine Saison darauf mit ebendiesem Klub Achter, was der drittbesten Platzierung in der Vereinsgeschichte entsprach. Bevor er in Bochum anheuerte stieg Koller zwar mit dem 1. FC Köln ab, „entdeckte“ dafür aber einen gewissen Lukas Podolski. „Durchwachsen“ sieht dennoch definitiv anders aus.
„Riesenkarriere“, aber als Trainer noch nirgends
“Herzog hat eine Riesenkarriere hinter sich und arbeitet schon sehr lange im ÖFB.“ – ja, Andreas Herzog kann auf eine erfolgreiche Karriere zurückblicken, wurde deutscher Meister und gewann den UEFA-Cup. Trotzdem dürfen deshalb Kollers Erfolge als Spieler, nämlich sieben Schweizer Meisterschaften und fünf Cup-Siege, nicht geringgeschätzt werden. Die „Riesenkarriere“ ist also kein Argument, denn die hatte Koller genauso – nur, dass er nicht in der deutschen Bundesliga spielte, sondern „nur“ über 500 Pflichtspiele für die Grasshoppers Zürich. Herzog arbeitet übrigens seit 2005 im ÖFB, hat erst seit zwei Jahren eine „eigene“ Mannschaft, ist seit insgesamt sechs Jahren im Verband beschäftigt. Koller hingegen trainierte über vier Jahre lang deutsche Bundesligaklubs, wurde nach seinem Amtsantritt auf Anhieb Zweitligameister. Das sollte man sich vor Augen halten, wenn Prohaska seine Skepsis zu Protokoll gibt: “Koller war zwei Jahre nicht im Geschäft, das heißt, dass er keine Angebote bekommen oder angenommen hat. Von der Optik her ist das nicht optimal.“ – anders betrachtet: Herzog ist meilenweit von einem Deutschland-Engagement entfernt und Ex-Mitkandidat Franco Foda ist weiterhin Sturm-Trainer, obwohl er seit Jahren immer wieder gepusht wird, wenn es darum geht, einen neuen Trainer für einen Klub im Nachbarland zu finden. Von der Optik her ist das nicht optimal…
Zeit geben!
Egal was Koller in den nächsten Wochen tun wird: Die festgefahrenen Trainermeinungen der einheimischen Lobbyisten und Meinungsmacher werden sich nicht ändern. Erfolgreich kann Marcel Koller aber nur sein, wenn man ihm dieselbe faire Chance gibt, die Didi Constantini viel zu lange zu verwerten versuchte. Wer schon jetzt auf den neuen Teamchef einschlägt, agiert entweder unüberlegt oder lässt den Neid aus seiner Seele sprechen.
Daniel Mandl, abseits.at
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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