Kommentar: Zu Toni Polsters Kritik an Marcel Koller
KommentarNationalteam 27.Juni.2016 Markus Bariszlovich 2
Von 1982 bis in Jahr 2000 war Toni Polster Nationalspieler Österreichs, seine Verdienste im Trikot der Nationalmannschaft sind mannigfaltig. Mit 95 Länderspielen hat er nur acht weniger als Rapid-Größe Andreas Herzog. Die Austria-Legende ist jedoch der Rekord-Torschütze des ÖFB-Teams mit 44 Treffern. Heute ist Toni Polster Trainer der Wiener Viktoria und Kolumnist des täglich erscheinenden Boulevardblatts „Österreich“. In seiner Kolumne vom 26.6.2016, welche auf dem Online-Auftritt vorher genannten Blattes erschien, lastete er Marcel Koller die Schuld am Ausscheiden der österreichischen Nationalmannschaft an. Ein fakten-checkender Kommentar.
Koller und Polster – keine Liebesgeschichte
Toni Polster äußert sich bereits zum wiederholten Male kritisch zu Marcel Koller, sein gutes Recht. Polster sah die Bestellung Kollers negativ. In der mittlerweile legendär gewordenen Talk-Runde im ORF antwortete er auf die Frage, des Moderators Oliver Polzer, wie die Leute in der Kantine auf Kollers Anstellung reagieren würden wie folgt:
„Die Leute halten das für eine total unglückliche Entscheidung, sind total enttäuscht und frustriert, zum Teil und ich kann das auch nachvollziehen, denn ich glaube nicht dass das eine glückliche Entscheidung war.“
Im Schweizer „Blick“ schrieb er 2013, als er und der Verleger des Blattes für welches er seine Kolumne verfasst einen Abgang Marcel Kollers prophezeiten: „Wir sollten uns jetzt sofort auf die Suche nach einem Nachfolger machen. Ich wünsche mir, dass wieder ein Österreicher die Mannschaft übernimmt.“ Schon am 30.10.2013 fand er jedoch wieder versöhnliche Worte für den doch nicht abgewanderten Schweizer: „Unsere Chance, die Qualifikation für die EURO 2016 in Frankreich zu schaffen, ist extrem groß. Ich bin der Meinung: Koller wird das packen. Die Entwicklung ist sicher positiv.“
Polsters Meinung war die letzten Jahre nicht wirklich konstant was den plötzlich in der Kritik stehenden Koller betrifft. Diese dürfte sich aber zum positiven entwickelt haben, hat er doch mit Heinz aus Wien den EURO-Song „Das neue Wunderteam“ aufgenommen. Oder?
Tonis Eleven
In Polster „Wort zum Sonntag“ werden elf Thesen aufgestellt, welche belegen sollen, warum das ÖFB-Team bei der EURO in Frankreich schlecht abgeschnitten hat. Diese sind zwar nicht so profund wie die von Martin Luther, jedoch trotzdem untersuchenswert.
These 1, falsches Trainingslager
Polster moniert, dass das Trainingslager in der Schweiz amateurmäßig abgelaufen sei und bezieht sich dabei insbesondere auf „Bergsteigen und Klettern“.
Es ist doch davon auszugehen, dass „Bergsteigen und Klettern“ nur einen kleinen Teil des Trainingslagers darstellten und aus Teambuilding-Einheit gedacht war. Um die Stimmung im Team aufzulockern, sicherlich nicht die schlechteste Idee.
These 2, Testspiel-Auswahl unprofessionell
Die Austria-Legende bekrittelt, dass zuerst gegen Malta und danach erst gegen die Niederlande gespielt worden war. Laut ihm sei es besser mit einem Sieg zur EURO zufahren, als mit einer Niederlage.
Es mag etwas dran sein, dass es für das Selbstvertrauen einer Mannschaft besser wäre, mit einem Erfolgserlebnis zu einem Turnier anzureisen, jedoch war eine Niederlage nicht vorprogrammiert. Es finden sich trotzdem Beispiele bei dieser EURO, um dies zu widerlegen. Ungarn verlor das letzte Testspiel gegen Deutschland und gewann dann überraschend Gruppe F. Spanien verlor gegen Georgien mit 0:1. Das eklatanteste Beispiel dürfte aber der 3:0-Sieg der Schweden über Wales sein. Die Waliser belegten am Ende der Gruppenphase Platz eins in Gruppe B, während Schweden sang- und klanglos Letzter in Gruppe E wurde. Natürlich kann das Ergebnis des letzten Tests die Stimmung in der Mannschaft entscheidend beeinflussen, es gibt jedoch Beweise, die diese These zumindest nicht stützen.
These 3, Teamquartier in der Pampa
Laut Toni Polster wäre Paris die bessere Wahl gewesen, da sich in Mallemort „Fuchs und Hase gute Nacht sagen“ würden. In der Kolumne wird außerdem angemerkt, dass die Standortwahl falsch war, da Mallemort zu weit von den Spielorten des ÖFB-Teams entfernt ist.
Die Standortwahl war geographisch gesehen sicher nicht die beste, aber auch auf keinen Fall die falsche. Das Quartier wurde bereits vor der Auslosung ausgewählt. Mallemort befindet sich in unmittelbarer Nähe zu Marseille und ist auch nicht allzu weit von Nizza, Saint-Étienne, Lyon und Toulouse entfernt. Wäre die Auslosung anders verlaufen, hätte man in einer oder mehrerer dieser Städte im Verlauf des Turniers gespielt. Mallemort war allerdings schon einmal Basecamp für ein Team bei einem großen Turnier in Frankreich. 1998 verweilten Superstars wie Thierry Henry, Fabien Barthez und Liliam Thuram im südfranzösischen Ort. Die französische Nationalmannschaft wurde bei diesem Turnier Weltmeister, trotz eines Trips nach Saint-Denis für das Gruppenspiel gegen Saudi-Arabien. 1998 residierte die ÖFB-Elf nahe Saint-Étienne – gebracht hat’s trotzdem nichts.
These 4, Überheblichkeit des ÖFB
Polster meint, dass Trainer und Sportdirektor die Situation bei der EURO falsch eingeschätzt haben.
Ich denke, dass jemand, der von der EURO einen Song mit dem Titel „Das neue Wunderteam“, in Anlehnung an die Nationalmannschaft, welche bei selbigem Turnier in der Gruppe letztplatziert ausscheidet, aufnimmt, nicht über Fehleinschätzungen anderer mutmaßen sollte.
These 5, David Alaba „enteiert“
Der ehemalige Coach der Admira bemängelte, dass der Superstar des FC Bayern München zweimal falsch eingesetzt wurde. Noch dazu der wörtlich „Rüffel“ bezüglich Snapchats.
Ich werde nicht einmal so tun als ob ich wüsste was „enteiert“ bedeuten soll. Fakt ist jedoch, dass David Alaba im Spiel gegen Portugal und in der ersten Halbzeit gegen Island nicht auf seiner stärksten Position eingesetzt wurde.
These 6, Taktik und Aufstellung zum Wundern
Toni Polster meint, dass man in einem Entscheidungsspiel nicht experimentieren solle.
Die Umstellungen im Spiel gegen Island waren beileibe nicht großartig, denn es schien so, als würde das Team von Marcel Koller nie wirklich in die Gänge kommen. Das Experiment war aber sicherlich nicht an der Niederlage schuld. Island ging nach einer einstudierten Einwurfsituation in Führung, daran war sicherlich nicht die Dreierkette schuld, sondern Probleme in der Deckung des Torschützen. Abgesehen davon hatte Österreich die Chance durch einen Elfmeter noch vor der Pause auszugleichen. Die Umstellungen auf das bewährte System nach der Pause, haben aber das österreichische Spiel beflügelt und führte zum zwischenzeitlichen Ausgleich. Ob das Spiel jedoch gewonnen worden wäre, hätte das ÖFB-Team von Anfang an so gespielt, sei dahingestellt. Wir werden es nie erfahren. Hätte jedoch das Nationalteam auf Grund des experimentellen Systems das Spiel gewonnen, wäre Koller wohl endgültig eine Statue vors Ernst-Happel-Stadion gestellt worden.
These 7, vorgetäuschte heile Welt
Toni Polster ist von der Moral in der Mannschaft nicht überzeugt und beschrieb, dass nicht „alles eitel Wonne in der Truppe“ war.
Ich möchte mir dazu kein Urteil anmaßen, da ich offensichtlich weder Teil der Mannschaft bin, noch dies aus der Entfernung beurteilen kann. Ob Polster dies jedoch kann, will ich auch nicht beurteilen müssen.
These 8, Kaderauswahl nicht optimal
Der ehemalige Italien-, Deutschland- und Spanien-Legionär kritisiert Kollers Kaderzusammenstellung und unterstellt dem Teamchef Rubin Okotie nur aus Dankbarkeit mitgenommen zu haben.
Es ist wahrlich kein Geheimnis, dass Marcel Koller einen Stamm an Spielern hat und seinen Schützlingen lange die Stange hält. Bis jetzt hatte er mit dieser Linie jedoch immer Erfolg. Robert Almer saß in Hannover nur auf der Bank. Koller setzte, trotz mangelnder Spielpraxis, auf Almer als Stammtorhüter. Almer zahlte das in ihn gesetzte Vertrauen stets auf dem Feld zurück, so auch in Frankreich. Auch Kapitän Christian Fuchs und Marc Janko erlebten bei Schalke beziehungsweise Trabzonspor nicht immer schöne Zeiten. Beide waren jedoch in der Nationalmannschaft Stammspieler. Hätte Koller einen anderen Stürmer als Okotie nach Frankreich mitnehmen können? Kaum… die unverständlich Zuhausegebliebenen sind eher Flügelspieler wie Kainz oder Onisiwo.
These 9, unnötiges Mitternachtsessen
Der stets in der Öffentlichkeit stehende Polster bekrittelt, dass Spieler nach einem Sponsorentermin im Anschluss an das Spiel gegen Portugal erst um sechs Uhr morgens ins Bett konnten.
Wie diese Termine das Team beeinflusst haben, lässt sich meines Erachtens nicht beurteilen. Gute Außendarstellung sieht jedoch anders aus.
Thema 10, totale Abschottung
Polster beklagt, als eines der Symptome der Abschottung, dass der Golfplatz neben dem Hotel nicht verwendet wurde.
In der vorigen These war Polster besorgt, dass das Team nicht zur Ruhe kommen könne, daher sollte ihn die Abschottung nicht weiter stören. Abgesehen davon haben Alaba und Co. seit 22.Juni genug Gelegenheit golfen zu gehen.
These 11, Marcel Koller überschätzt
Der WM-Teilnehmer von 1990 und 1998 beklagt, dass der Teamchef seine Mannschaft nicht zum richtigen Zeitpunkt in Form bringen konnte.
Mittlerweile sollte es für niemanden eine Überraschung sein, dass Polster Marcel Koller als Schuldigen für diese miese EURO auserkoren hat, daher ist diese These nicht weiter überraschend. Es ist kein Geheimnis, dass viele Spieler nicht ihre besten Leistungen abrufen konnten. Weshalb dies jedoch Kollers Schuld gewesen sein soll, wird maximal damit abgetan, dass die Mannschaft nicht gut vorbereitet worden war. Dabei war vieles bei dieser EURO der Auftaktniederlage gegen Ungarn geschuldet. Das Spiel gegen unsere Nachbarn war nicht gut. Dies lag jedoch nicht nur an der ÖFB-Elf, sondern auch an couragiert aufspielenden Magyaren, die ihre Chancen eiskalt nutzten.
Die Spielweise gegen Portugal war dann dem Umstand des verloren Spiels in Runde eins geschuldet. In diesem Spiel war die oberste Maxime die Null zu halten. Dies gelang, wenn auch mit Müh und Not. Dass man gegen Island gewinnen musste war allen klar, auch Koller. Dieser Umstand bewog ihn dazu sein Experiment zu wagen. Am Ende hat es einfach nicht gereicht. Nicht auszudenken, wie diese EURO für das ÖFB-Team verlaufen wäre, hätte David Alaba in Minute drei gegen Ungarn ins Tor, statt nur die Stange, getroffen. Darüber sich den Kopf zu zerbrechen ist allerdings müßig.
Verstehen Sie mich nicht falsch, es gibt definitiv Gründe Marcel Koller zu kritisieren, manche legitimer als andere. Ihm jedoch die Hauptschuld am Abschneiden des Teams bei der EURO anzulasten, erachte ich als falsch und kontraproduktiv. Vielleicht beglückt uns die Nationalmannschaft mit einer erfolgreichen Qualifikation für die FIFA Weltmeisterschaft 2018 in Russland. Toni Polster kann zu diesem Ereignis dann das Lied zum „Neuen neuen Wunderteam“ aufnehmen. Ob der Erfolg dann jedoch in die Agenda einiger in der Fußball-Öffentlichkeit stehender Herrschaften passt, ist ungewiss.
Markus Bariszlovich
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Markus Bariszlovich
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