Vom Regionalligakicker zum Leistungsträger zum Ergänzungsspieler… der Fall Ümit K.
Nationalteam 7.Januar.2012 Archimedes 0
Wie immer gibt es am Ende eines Jahres die so genannten Gewinner und Verlierer der vergangenen zwölf Monate. Im Rückblick des Jahres 2011 gibt es leider auch wieder einige österreichische Kicker auf der Seite der Verlierer. Einer von ihnen ist Ümit Korkmaz.
Ein Stern geht auf
Wir schreiben den 8. Juni 2008. Ein sonniger Tag, dem ganz Österreich seit Jahren entgegenfiebert. Die rot-weiß-roten Kicker unter der Regie von Teamchef Josef Hickersberger absolvieren das erste EM-Endrundenspiel einer österreichischen Nationalmannschaft. Der Co-Gastgeber gerät nach nur vier Minuten durch einen Elfmeter von Luka Modric in Rückstand, doch Österreich bäumt sich auf und stemmt sich gegen die Niederlage. Es gelingt aber kein Treffer, die Minuten verrinnen. Nach einer Stunde reagiert Hickersberger – und sorgt für Gänsehaut pur. 50.000 lassen zugleich einen U(e)rschrei los. „Üüüüüüüüüüü!“. Was war passiert? Ein 22-jähriger Flügelflitzer betrat soeben das Feld. Ein junger Mann, der zwei Jahre zuvor noch in der Regionalliga seine Schuhe schnürte. Ümit Korkmaz, frischgebackener Meister mit Rapid und Publikumsliebling, soll das Ruder für Österreich herumreissen. Und Korkmaz zeigt auf. Immer wieder bringt er die Kroaten mit seinen Tempodribblings in Verlegenheit, immer wieder sorgt er für Gefahr. Doch es bleibt beim 0:1, Österreich verliert sein Auftaktspiel und holt in den anderen beiden Partien zusammen nur einen Punkt. Einer konnte mit der EM trotzdem vollauf zufrieden sein: Ümit Korkmaz. Nach seinem tollen Auftritt gegen die Kroaten gab er gegen Polen eine weitere Talentprobe ab, beim 0:1 gegen Deutschland durfte er wieder 90 Minuten EM-Luft genießen.
Ein verhängnisvoller Wechsel
Direkt nach dem Turnier wechselt Korkmaz für etwa drei Millionen Euro von Rapid zu Eintracht Frankfurt. Der damalige Trainer Friedhelm Funkel war angetan von Korkmaz´ Auftritten bei Rapid und der EM und bezeichnete ihn als absoluten Wunschspieler. Perfekte Voraussetzungen also für die nächste Phase einer Karriere, die bis dahin nicht besser laufen konnte. Doch erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. Bereits in der ersten Trainingswoche bei der Eintracht, Korkmaz hatte nach der EM gerade einmal zwei Wochen Urlaub, hört man plötzlich einen Schrei über das gesamte Frankfurter Trainingsgelände. Er kommt von Ümit Korkmaz, dessen Mittelfußknochen Sekunden zuvor gebrochen war. Der erste schwere Schlag in der Entwicklung des Flügelflitzers. Es folgen vier Monate voller Schmerz, Verzweiflung und Ärger. Im Oktober 2008 strahlt Korkmaz bis über beide Ohren, als ihm die Ärzte grünes Licht für den Wiedereinstieg ins Training geben. Doch die Begeisterung verfliegt schnell. Ein Knacks, und Korkmaz weiß sofort, was passiert ist. Also wieder zurück vom geliebten Rasen ins verhasste Spital, wieder monatelange Physiotherapie und Aufbautraining. Korkmaz sollte ab diesem Zeitpunkt die nächsten Jahre nie über mehr als ein paar Monate fit sein. Allein im Jahr 2009 folgten fünf weitere Verletzungen (darunter Finger- und Zehenbrüche, Zerrungen und Kapselrisse).
Anderer Trainer, andere Vorzeichen
Als Korkmaz im Jänner 2010 wieder einigermaßen fit ist, ist sein Förderer, Friedhelm Funkel, schon weg. Eine schwierige Situation für den Austro-Türken. Mit Michael Skibbe kommt ein neuer Trainer nach Frankfurt, der seine eigenen Vorstellungen hat – ob jemand der Wunschspieler des ehemaligen Trainers war oder nicht, zählt nicht länger. Korkmaz hat außerdem mit dem Vorurteil zu kämpfen, sein Körper wäre ohnehin für den Profisport ungeeignet. Skibbe bevorzugt andere Spieler als Korkmaz, und gibt dem heute 26-Jährigen nur wenige Chancen, sich zu präsentieren. Ein einziges Spiel darf er in der gesamten Saison über 90 Minuten absolvieren, ansonsten wird er acht Mal ein- und neun Mal ausgewechselt. Die bescheidene Ausbeute von zwei Toren und drei Assists trägt auch nicht dazu bei, dass Skibbe Korkmaz mehr Vertrauen entgegen bringt.
Ein Schritt zurück, keiner nach vorne
Im darauffolgenden Jahr – Korkmaz verliert nach einer Prellung wieder einmal zehn Tage der Vorbereitung – absolviert Korkmaz noch zwei Partien in der Bundesliga für Frankfurt, bevor man ihn in die zweite Liga zu Bochum abschiebt. Darüber ist Korkmaz in dem Moment aber gar nicht so unglücklich – denn in Bochum ist zu dieser Zeit Friedhelm Funkel Trainer. Zwölf Spiele, drei Tore, zwei Assists – eine starke Bilanz, die Ümit wieder hoffen lässt. Trotzdem steht am Ende der Verbleib in Deutschlands zweiter Leistungsstufe. Die Relegation geht gegen Gladbach knapp verloren. Korkmaz kehrt wieder zur Eintracht zurück, wo inzwischen Armin Veh das Trainerzepter schwingt. In nur acht von 19 Spielen kommt Korkmaz zum Einsatz, im Schnitt darf der ehemalige Rising Star nur 25 Minuten pro Spiel sein Können zeigen. Zumindest gelingen ihm in der kurzen Einsatzzeit ein Tor und ein Assist für den derzeitigen Tabellendritten der 2. Bundesliga.
Gerüchte über eine Heimkehr
Von den mageren Einsatzzeiten und der ewig andauernden Pleiten-, Pech- und Pannenserie genährt, halten sich derzeit hartnäckig Gerüchte über eine Heimkehr von Korkmaz nach Wien zu Rapid. Alles Schwachsinn, wenn man den offiziellen Wortmeldungen der Beteiligten Glauben schenken darf. Doch für einen Spieler, der vor mehr als drei Jahren als hoffnungsvoller Leistungsträger bei der Europameisterschaft zum Ergänzungsspieler in der zweiten Liga mutiert ist, gibt es nicht viele Möglichkeiten.
Eine Bilanz des Grauens
Elf mittelschwere bis schwere Verletzungen in knapp zwei Jahren – so liest sich die Leidensgeschichte des Ümit K. in Zahlen. Kein Zufall, wie viele behaupten. Und es scheint wirklich so, als ob man Korkmaz´ Körper zu viel in zu kurzer Zeit zugemutet habe. Von Österreichs Regionalliga Ost zur EM und in die deutsche Bundesliga in etwas mehr als zwei Jahren – und das in den meisten Jahren mit wenig bzw. gar keinem Urlaub. Der Körper reagierte mit Verletzungen, und einmal in der Negativspirale gefangen, ist es umso schwerer, ihr wieder zu entfliehen. Durch die vielen Blessuren scheint Korkmaz auch viele seiner Vorzüge eingebüßt zu haben. Die Schnelligkeit, seine Explosivität und sein Mut im Spiel haben unter den Geschehnissen der letzten Jahre massiv gelitten. Bleibt nur zu hoffen, dass wir Korkmaz in einem Jahr wieder zu den Gewinnern des Jahres zählen dürfen – verdient hätte es sich der sympathische Mann mit der Nummer 11 mit Sicherheit.
Archimedes, abseits.at
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