Wer ist Marcel Koller? (3/3) – Spielweise und Philosophie
Nationalteam 5.Oktober.2011 Georg Sander 0
Als Spieler hatte Marcel Koller klingende Namen als Trainer – Ottmar Hitzfeld, Leo Beenhakker, Roy Hodgson. Getreu dem Motto „Von den Besten lernen“ konnte aus dem Mittelfeldspieler fast nur ein guter Trainer werden, was er auch bewiesen hat. Wie wirkt sich Kollers Geschichte als Spieler und Co-Trainer auf seine Arbeit als Chefcoach aus?
Nackte Statistiken und Namedropping von Spielern, die entwickelt wurden, reichen nicht aus, um wirklich das System eines Trainers zu erfassen. Wird vom „System“ gesprochen, beschränkt sich das allerdings nicht nur auf drei Zahlen und zwei Bindestriche, sondern auf die grundsätzliche Ausrichtung einer Mannschaft. Dazu zählt auch der Umgang mit den Spielern und den Medien. All diese Informationen ergeben ein Bild, welches sich von den Trainern, die in den letzten Jahren das Nationalteam coachten, abhebt.
Wie tickt er?
Wie bereits gestern bei der Pressekonferenz des ÖFB und später im ZIB2-Studio ersichtlich, ist Marcel Koller ruhig, zurückhaltend und wählt seine Worte beinahe vorsichtig. „Spröde“, „wenig emotional“, „arbeitsam“ und „präzise“ nannte dies die deutsche Journaillie während seiner Zeit bei Köln und Bochum. Vor allem der Start in Deutschland fiel ihm, dem in der Schweiz als Trainer alles wie von Zauberhand zu gelingen schien, schwer. In der chaotischen Domstadt wurde seine Art nicht begrüßt, erst der Pott ließ zu, dass das System Koller auch in Deutschland gelang. Hingen in der Schweiz nämlich alle an den Lippen der Choryphäe, so musste er sich in Deutschland erst Gehör verschaffen. Stundenlanges Videostudium, Besprechen taktischer Details, ausgedehnte Analysen, akribische Arbeit am Trainingsplatz – Marcel Koller lebte seine Akribie beinahe bis zur Pedanz aus, wie er auch selber zugab. „Ich gebe alles, von morgens früh bis abends spät. Ich stehe 24 Stunden parat für meinen Arbeitgeber, dann muss ich mir selbst gegenüber auch keinen Vorwurf machen“, so der Zürcher im Gespräch mit einem deutschen Medienunternehmen vor ein paar Jahren. Doch allen Klischee-haften Schweizer Attributen zum Trotz ist sich Koller dem Faktor „Fan“ bewusst, fasst die Begeisterungsfähigkeit des Publikums als wichtigen, aber nicht entscheidenden Faktor auf. Eine weitere entscheidende Facette der Trainerpersönlichkeit ist des Weiteren die Verbissenheit. Christoph Dabrowski formulierte es nach Kollers Abgang bei Bochum gegenüber spox.com so: „Marcel Koller hat mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, hervorragende Arbeit geleistet. Das muss man anerkennen und ihm dafür Respekt zollen. Durch die Misserfolge ist die Leichtigkeit abhanden gekommen.“
Wie sieht das System Koller auf dem Platz aus?
„Von einer Abwehrlinie mit vier Spielern ausgehend, lässt sich der gesamte Raum des Spielfelds am besten abdecken“, wenig überraschend klingt dieses Statement von Marcel Koller im Rundmagazin aus seiner Zeit bei Bochum. Interessanter ist die Begründung: Bei einer Breite von rund 70 Metern können vier auf einer Linie stehende Verteidiger fast das gesamte Spielfeld wie eine Mauer blockieren. Spielereien mit einer defensiven Dreierkette sind nicht zu erwarten, dies tat er im Herbst 2006 gegen Werder Bremen schon einmal, beim Stand von 0:2 in Minute 60 – das Spiel endete 0:6. Die Fünferkette ließ er ab und an spielen, entweder aus Mangel an Qualität der Außenbahnspieler oder aufgrund der zu erwartenden Feldüberlegenheit des Gegners. Ansonsten ließ er die Außenbahnspieler betont offensiv agieren, wie etwa Christian Fuchs, der sich unter Koller zu einem der besseren linken Verteidiger der deutschen Bundesliga entwickelte. Im Mittelfeld setzte der Schweizer meist auf eine „Raute“, sprich einen Sechser, zwei Außenbahnspieler und einen kreativen Spieleröffner, der zwei Stürmer vor sich hatte. Der Gegner hatte vor allem in der Schweiz und in der deutschen zweiten Liga oft wenig Zeit, den Ball zu verarbeiten, denn St. Gallen, die Grasshoppers und Bochum in Liga zwei traten dominant auf. Durch Pressing versuchten die Teams schnell in Ballbesitz zu kommen, dann rollten die Angriffe über die Flügel. Die Mannschaften erfreuten sich auch bester Fitness, viele Tore konnten in der Schlussphase der Spiele erzielt werden.
Kritik am System
Natürlich mehrten sich vor allem in den Zeiten, als es schlecht lief, die kritischen Stimmen. Mauertaktik warf vor allem die Bildzeitung dem damaligen Bochum-Trainer vor und auch die Fans waren irgendwann nicht mehr mit dem unspektakulären Ergebnisfußball einverstanden. Koller trainierte – mit Ausnahme des FC Wil – in der Schweiz immer Clubs, die dominant auftraten, sich auch aufgrund der Mittel vorne positionieren konnten. Der Nimbus, Abstiegskampf nicht zu können, haftete ihm an, er wiederlegte die Annahme aber in Bochum. Dieser Spagat, zwischen Attraktivität und Destruktivität spielen zu müssen, kann zu einem Stolperstein werden. Das österreichische Publikum kennt, wie das Kölner, nur die zwei altbekannten Gemütszustände himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt. Daheim will „man“ begeistert werden, auswärts müssen Punkte eingefahren werden, egal wie. Im Gegensatz zum wenig taktischen Hurrafußball, den das Team unter Dietmar Constantini zeitweise zeigte, muss das Publikum doch auch rechnen, in Schnittpartien Kost der Marke „Mattersburg auswärts“ präsentiert zu bekommen. Eine Frage muss gestellt werden: Wie schnell kann der Vereinstrainer Koller zum Nationaltrainer werden? Die Lehrgänge beim Team sind kürzer, die Spieler gelten nicht überall als die taktisch bewandertsten, begingen trotz weniger Vorgaben doch recht viele Fehler, wie der Schweizer bei der Pressekonferenz anmerkte. Doch die Basis, die grundsätzliche Idee, durch Pressing und Ballbesitz zum Erfolg zu kommen, eint Constantini und Koller. Unter dem neuen Trainer wird zu dem überfallsartigen Konterkick der letzten Jahre noch der Faktor „taktische Reaktion“ dazu kommen.
Der Mensch Marcel Koller will den Erfolg, genauso sehr wie die österreichische Fußballöffentlichkeit nach diesem lechzt. Kollers Auffassung von Fußball als nie endende Arbeit und stetige Entwicklung passt vom Papier her gut zum ÖFB. Ob die erwähnte Öffentlichkeit ihm allerdings die Zeit gibt, seine Ideen umzusetzen, bleibt dahingestellt.
Georg Sander, abseits.at
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Georg Sander
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