In seinem sportlichen Testament appellierte „Wödmasta“ Ernst Happel einst an die innere Beziehung der Fans zum österreichischen Nationalteam. Eine mentale Verbundenheit, die als Fundament... "Wir müssen stolz sein auf die Nationalmannschaft" – was 19 Jahre später aus Happels letztem Appell wurde…

In seinem sportlichen Testament appellierte „Wödmasta“ Ernst Happel einst an die innere Beziehung der Fans zum österreichischen Nationalteam. Eine mentale Verbundenheit, die als Fundament für ein erfolgreiches ÖFB-Team herhalten sollte. In den Jahren nach Happels Tod verschrieb sich die österreichische Bevölkerung, sowie jeder einzelne Spieler, diesem Appell.

Heute, 19 Jahre später, ist alles anders. Fast ironisch liest sich der Kreis, der sich aktuell schließt. Happels letztes Länderspiel als Teamchef gewann Österreich in Wien gegen Israel mit 5:2, kurz vor der Teamzusammenkunft zum freundschaftlichen Länderspiel gegen Deutschland in Nürnberg erlag Happel 66jährig seinem Krebsleiden. Sein Assistent und Schüler Didi Constantini führte das Nationalteam im darauffolgenden Spiel gegen Deutschland 37jährig zu einem 0:0. Kurz davor verlas der Tiroler Happels sportliches Testament, in dem der erfolgreichste Trainer Österreichs unter anderem verlesen ließ: „Wir müssen stolz sein auf die Nationalmannschaft, eine innere Beziehung haben, sonst wird’s nichts. Sagt das allen.“

Deftigere Niederlage erwünscht

Vorleser Constantini steht nun mit dem österreichischen Nationalteam am Rande des sportlichen Abgrunds, während zwei seiner Spieler Anfang der Neunzigerjahre bereits als mögliche Nachfolger für den Teamchefposten gehandelt werden: Andreas Herzog als U21-Teamtrainer aus logischen Gründen, Toni Polster hingegen brachte sich selbst ins Spiel. Happels Aufruf zum Stolz gegenüber der Nationalmannschaft wich in den letzten Jahren jedoch einem ausgeprägten Zweckpessimismus – als Deutschland in Gelsenkirchen mit 4:2 in Front lag, wünschten sich nicht wenige Fans eine noch deftigere Niederlage.

71% für mehr Gegentore

Die Fans im Austrian Soccer Board, Österreichs größtem Fußballforum, wurden nach dem Spiel in Deutschland gefragt, ob sie sich etwa um die 80.Minute eher gewünscht hätten, dass Österreich die Niederlage in gesunden Grenzen halten kann, oder, dass Deutschland weitere Treffer erzielt, um die Herren in der Führungsebene des ÖFB damit aufzuwecken. Das Ergebnis sollte alarmierend für den ÖFB sein: 71% der Fans wünschten sich „Entwicklungshilfe“ vom DFB-Team – in Form von zwei oder mehr weiteren Toren, um durch ein möglichst horrendes Ergebnis ein Umdenken im ÖFB zu bewirken. Nur 29% der Fans wünschten sich ein glimpfliches Ende und eine nicht allzu hohe Niederlage. Diese Umfrage machte freilich nur deshalb Sinn, weil man – anders als beim 4:4 in Belgien – in der Veltins-Arena Auf Schalke nie das Gefühl bekam, dass Österreich eine realistische Chance auf Punkte hat.

Sensation – oder keine Chance auf Ausreden!

Diese Einstellung hat aber nicht unbedingt etwas mit Mangel an Patriotismus zu tun. Jeder Fan will das Beste fürs Nationalteam und es spricht für sich, wenn fast drei Viertel aller Fans der Meinung sind, dass eine schallende Ohrfeige in Form von einem halben Dutzend Gegentoren gegen den traditionellen Erzrivalen aus Deutschland, das Beste ist, um das Team mittel- und langfristig wieder auf eine geradlinigere Bahn zu lenken. Hätte man die Fans vor dem Spiel um ihre Meinung gefragt, wäre die Antwort gewesen, dass zwei Szenarien „zufriedenstellend“ wären: Entweder dem ÖFB-Team gelingt ein Punktegewinn und damit eine Sensation in Gelsenkirchen – oder es gibt eine Niederlage, für die es keine Ausreden geben kann…

„Wir sind Österreich“-Gefühl anders als vor 20 Jahren

Der Wunsch nach einem neuen Teamchef ist jedoch nicht der einzige Grund für diese Art von Selbstzerstörungswille. Auch die Strukturen innerhalb des ÖFB und eine Mannschaft, die schon seit Jahren weder Gesicht noch Selbstvertrauen hat, tragen dazu bei, dass das Nationalteam nicht nur in den Köpfen der Menschen, sondern auch sportlich Spiel für Spiel unwichtiger wird. Einst wünschten sich die Fans den Rücktritt von ÖFB-Präsident Friedrich Stickler, der sich nie derselben Sprache bemühte wie die Fußballfans und aus Prinzip die sportlich Verantwortlichen nie kritisierte, sondern alles schön redete, bis Medien, Spieler und Trainerteam damit zufrieden waren, dass Österreich beim einmaligen Ereignis einer Heim-Europameisterschaft nur einen Punkt in der Gruppenphase einheimste. Das „Wir sind Österreich“-Gefühl erhielt im Vergleich zu den ambitionierten Neunzigern einen negativen Touch. Das Nationalteam versuchte über eine Krise hinweg zu tauchen, indem man nicht etwa auf kämpferische Art und Weise Besserung gelobte, sondern sich absichtlich klein redete, um „nachher“ weniger enttäuscht zu sein. Was aber speziell die jüngeren Fußballfans nicht wissen ist, dass Österreich eine wunderbare Fußballtradition besitzt, einst zu den besten Nationen der Welt oder zumindest Europas zählte. Rasante Aufstiege kleinerer Fußballnationen in den letzten Jahren und Jahrzehnten zeigen, dass es zumindest theoretisch wieder dorthin gehen kann – aber in Österreich wurden die Ansprüche bewusst heruntergeschraubt, anstatt den Aufwand zu erhöhen.

Ist das Team wie eine Beziehung zwischen zwei Menschen?

Vielleicht sollte man Happels letzten sportlichen Wunsch nicht als innere Beziehung interpretieren – sondern wie die Beziehung zwischen zwei Menschen. Constantini geht morgen in sein wohl letztes Heimspiel als ÖFB-Teamtrainer und die letzten Jahre zeigten eindeutig, dass er für diesen Job nicht (mehr) der richtige Mann ist. Sein Nachfolger sollte jedoch kein Trainer sein, den man sich „halt nimmt“, weil er leicht zu haben ist oder das Prädikat „brauchbar“ mit sich trägt. Es sollte „der Richtige“ sein, ein echter Top-Mann, einer, um den uns andere Verbände beneiden würden. Und wenn dann wieder einmal etwas nicht passt, dann kann man das ruhig offen ansprechen und nicht immer kuschen, was auch in einer Liebesbeziehung alles nur verkompliziert. Würde man dies im ÖFB bewerkstelligen, deckt man bereits zwei Eckpfeiler eines erfolgreichen Teams – und metaphorisch gesprochen in einer Beziehung – ab: Einen sehr guten Mann und Ehrlichkeit, die sittliche Eigenschaft auch unangenehme Dinge offen anzusprechen.

Daniel Mandl, abseits.at

Daniel Mandl Chefredakteur

Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen

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