Abseits.at schickte zwei Redakteure aus, um mit dem obersten Fußballehrer des Landes über Taktik, Laufwege und Spieleraufgaben zu sprechen. Heraus kam eine hoch interessante... Zu Besuch beim Teamchef: Ein Einblick in die Welt des Marcel K.

Abseits.at schickte zwei Redakteure aus, um mit dem obersten Fußballehrer des Landes über Taktik, Laufwege und Spieleraufgaben zu sprechen. Heraus kam eine hoch interessante Unterhaltung, in der wir viel über taktische Feinheiten, aber auch über Marcel Koller gelernt haben.

Morgenstund‘ hat Gold im Mund

Es ist zehn Uhr vormittags, als wir uns auf den Weg in Richtung Ernst-Happel-Stadion machen. Wir haben um elf Uhr einen Termin bei Marcel Koller. Einen Teamchef lässt man nicht warten, und der Verkehr mag auch nicht unterschätzt sein. Und tatsächlich, aufgrund eines verspäteten Abbiegemanövers schaffen wir es gerade noch, zur vereinbarten Zeit im Finalstadion der EM 2008 aufzutauchen. Der Weg über den Parkplatz zum Stadion ist zwar kurz, aber trotzdem bitterkalt. Als wir im zweiten Stock eintreffen, sind wir zwar beide außer Atem, aber froh, wieder im Warmen zu sein. Bevor wir mit unserem Vorhaben starten können, werden wir von einer netten Dame in den Konferenzraum geleitet – das Angebot eines Kaffees wird dankend abgelehnt. Wir wollen uns ganz auf das Gespräch konzentrieren. Wie oft bekommt man schon die Chance, mit dem Teamchef persönlich über Taktik zu philosophieren? Ein paar Augenblicke später stehen wir ihm auch schon gegenüber. Müde sieht er aus, der Teamchef. Müde und übernächtigt. Mit morgendlich tiefer Stimme begrüßt uns Koller, der mit schwarzer Hose und einem dunklen Pullover bekleidet ist. Elegant, aber nicht übertrieben wirkt die Garderobe des Teamchefs.

Fragen über Fragen

Wir haben Fragen mitgebracht. Viele Fragen. Und jede Menge Neugier. Unser Interview soll aber nicht das klassische Frage-Antwort-Spiel sein, wie man es aus diversen Medien kennt. Wir wollen von Marcel Koller auch nicht wissen, wie sein Haustier heißt oder ob er einen Glücksbringer hat. Wir wollen über Taktik reden. Trotzdem tasten wir uns vorsichtig heran und beginnen mit etwas allgemeineren Themen. Schnell merkt man, dass Koller Fragen dieser Art in den letzten Wochen und Monaten bereits dutzendfach beantworten musste. Trotzdem antwortet der sympathische Schweizer auf jede Frage ausführlich und geht auch auf unsere seltenen Einwürfe ein. Koller spricht klar und deutlich – trotzdem versichert er sich immer wieder mit Blicken, ob wir ihm folgen können. Über Systeme wird gesprochen, über Laufwege, Fehler und Rochaden.

„Ich will gewinnen“

Auf die perfekte Siegesformel angesprochen, führt Koller zuerst aus, welche Vorgaben er seinen Spielern gibt und was er von jedem einzelnen von ihnen erwartet. Freifahrtsscheine gibt es nicht, das bloße Bemühen ist nicht lobenswert, sondern selbstverständlich. Am Ende seines Monologs stellt der 51-Jährige klar, was seine Zielsetzung ist: „Ich will gewinnen. Ich will immer gewinnen!“ Wir wissen nicht genau warum, aber wir sind sofort angesteckt von diesem Enthusiasmus. Da sitzt uns ein Mann gegenüber, der sein bislang einziges Länderspiel mit der österreichischen Nationalmannschaft verloren hat – und trotzdem haben wir ein verdammt gutes Gefühl, als wir seinen Ausführungen lauschen. Denselben Siegeswillen, den er ausstrahlt, erwartet er auch von seinen Spielern. Zieht einer nicht mit, „bleibt er zu Hause“. Der Teamchef stellt klar, dass er kein Problem damit hat, die Mannschaft vor einzelne Spieler zu stellen.

Mittendrin statt nur dabei

Und dann passiert es. Der bis dahin müde und ausgelaugt wirkende Koller wacht plötzlich auf. Wir fragen ihn nach dem System. Wird man immer mit einer Viererkette hinten spielen, sogar gegen die Färöer oder Kasachstan? Sind gegen solche Gegner auch drei Stürmer denkbar? Plötzlich richtet er sich auf, und beginnt lauter und schneller zu sprechen. Man merkt, dass wir einen Nerv getroffen haben. Koller erklärt, wägt ab, fragt nach, gestikuliert und springt schlussendlich auf. Der Flipchart neben dem Konferenztisch ist sein Ziel. Plötzlich beginnt Koller, uns Systeme und Laufwege aufzuzeichnen und zu erklären. Er stellt uns auf die Probe. „Wenn ich hier drei Verteidiger habe, was müssen die dann mitbringen, damit ich so ein System spielen kann?“ Autsch. Er hat das Frage-Antwort-Spiel einfach umgedreht, jetzt stehen wir auf dem Prüfstand. Wir versuchen, all unser taktisches Verständnis zusammenzukratzen und beginnen, Kriterien aufzuzählen. Koller lobt uns. Plötzlich ist der Konferenzraum die Kabine, Koller scheint uns auf das nächste Spiel einzuschwören. „Da musst du mitgehen, das geht nicht, dass du den hier einfach so ziehen lässt“ – immer wieder zieht er den gedachten Laufweg mit dem Stift nach. Erst als Koller den Stift niederlegt und wir uns gegenseitig einen ebenso überraschten wie beeindruckten Blick zuwerfen, sehen wir, dass wir immer noch in unseren Hemden stecken, und nicht die roten Trikots der Nationalmannschaft tragen. Koller setzt sich wieder und erklärt weiter. Einige Minuten später greift er wieder zum Stift, um seine Ausführungen zu präzisieren.

Klare Ansagen

Koller scheint zu wissen, was er will. Er gibt klare Antworten. Manchmal belehrt er uns, manchmal ernten wir anerkennende Blicke, wenn wir nach taktischen Raffinessen im Spiel fragen. Als Marcel Koller gerade voll in seinem Element ist, läuft die Zeit davon. Nur noch zwei Fragen dürfen wir stellen. Dabei war er gerade jetzt so impulsiv – nichts war mehr zu sehen von der anfänglich augenscheinlichen Müdigkeit des Nationaltrainers. Bevor wir uns verabschieden, reißt Koller die Zetteln mit seinen Ausführungen vom Flipchart. „Das ist mein Plan für Brasilien, den brauch ich noch“ lacht er. Sprachs, und verschwand in sein Büro, um die tatsächlichen Pläne für die kommende Zeit zu schmieden.

Das dreiteilige abseits.at-Interview Marcel Koller kommt in den nächsten drei Tagen online!

Archimedes, abseits.at

Archimedes

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