Zwei Gegentore für's Fußballlehrbuch – wieso Österreich in Deutschland vorgeführt wurde…
Nationalteam 4.September.2011 Daniel Mandl 0
Österreich wurde beim 2:6 in Deutschland in vielerlei Hinsicht vorgeführt – wir gehen in diesem Artikel genauer auf die taktischen Fehler bei den Gegentoren drei und vier ein. Zwar waren nicht nur diese beiden Gegentore vermeidbar, aber speziell die Treffer von Podolski und Özil stellten den Mangel an Defensivinitiative offen zur Schau.
Die 28.Minute: Holger Badstuber startet den Spielaufbau vor dem eigenen Sechzehner und zeigt sich sehr bald über die Schneise verwundert, die das österreichische Mittelfeld ihm eröffnet. Bis zu seinem ersten Pass kann Badstuber in Joggingtempo etwa 35 Meter zurücklegen, bewegt sich danach weiter in den Raum. Zwischen Badstubers erstem Ballkontakt und Podolskis erfolgreichen Abschluss vergingen nur 19 Sekunden, in denen kein ÖFB-Teamspieler den Ball berührte. Auch der Gegner wurde nicht berührt…
Acht Spieler potentiell aktiv, nur zwei passiv
Das Auffällige am dritten Gegentor: Bis auf die beiden Spieler auf der rechten Seite, Royer und Fuchs, waren alle Akteure des ÖFB-Teams im Stande diesen Angriff mit einfachen Adaptionen an ihrem eigenen und gemeinsamen Spiel zu unterbinden (wobei Pogatetz mit Abstrichen genannt werden muss). Dies wird im folgenden Taktikboard verdeutlicht (zum Vergrößern anklicken):
1. Fehler: Harnik attackiert den durchbrechenden Badstuber nicht, deutet nur an ihn attackieren zu wollen, wovon sich Badstuber nicht beeindrucken lässt.
2. Fehler: Arnautovic versucht die Mitte zunächst zuzumachen, setzt Badstuber unter Druck, sollte als Angreifer den Verteidiger in Rückwärtsbewegung jedoch auch in weiterer Folge übernehmen. Arnautovic ändert jedoch schnell seine Meinung und attackiert den kurzzeitig ballführenden Kroos, während Badstuber in seinem Rücken in den freien Raum läuft.
3. Fehler: Baumgartlinger verliert im Mittelfeld einen entscheidenden Zweikampf gegen Kroos, der ihn ohne Mühe umkurvt und dann wieder Badstuber einsetzt.
4. Fehler: Obwohl er nur etwa fünf Meter von ebendiesem Zweikampf entfernt ist, versucht Dag nicht hinter den Ball zu kommen. Er hätte in dieser Szene eine Schlüsselfigur sein können, denn wäre er rechtzeitig hinter den Ball gekommen, wäre später der direkte Passweg zwischen Badstuber und Podolski abgeschnitten gewesen.
5. Fehler: Klein lässt sich mit einem einfachen Doppelpass ausspielen, lässt sich durch das Kreuzen von Badstuber und Podolski völlig aus der Fassung bringen. Auch bedingt dadurch, dass Badstuber von den österreichischen Mittelfeldspielern quasi nicht behindert wird und Klein somit überfordert agiert.
6. Fehler: Schiemer rückt demnach aus der Innenverteidigung um Badstuber zu attackieren. Badstuber spielt jedoch einen guten, kurzen Querpass auf Podolski, der abschließen kann, weil niemand Schiemers Position in der Innenverteidigung einnahm. Alaba wäre bereits auf einer Feldposition gewesen, die dies möglich gemacht hätte, auch Klein bewegte sich falsch, stand zwischen zwei Deutschen und konnte Podolski somit nicht mehr am Abschluss hindern.
7. Fehler: Pogatetz agiert defensiv zu stark gegnerorientiert, klebt an Miroslav Klose. Hätte Pogatetz ballorientiert verteidigt, wäre die Angriffsseite der Deutschen kompakter zugestellt gewesen, was Badstuber und Podolski nicht nur unmittelbar am Torabschluss gehindert, sondern auch einen Pass auf Klose unwahrscheinlich gemacht hätte. Deutschland hätte das Spiel vermutlich „umdrehen“ müssen, um es neu aufzubauen.
Natürlich geht es in einer solchen Aktion sehr schnell und das richtige Verteidigen gegen eine so explosiv anstürmende Mannschaft erfordert ein großes Maß an Konzentration – aber dennoch wäre das Tor zu verhindern gewesen, wenn die ÖFB-Elf geschlossen simple Grundsätze des Zonenfußballs angewandt hätte. Zu Beginn des Spielaufbaus standen die auf der Längsachse am weitesten voneinander entfernten ÖFB-Kicker (Dag und Schiemer) etwa 40 Meter voneinander entfernt – zwischen den beiden waren fünf weitere Österreicher, insgesamt also sieben Spieler, die nur drei am Angriff beteiligte Deutsche attackieren konnten. Zum Zeitpunkt von Badstubers letztem Ballkontakt vor Podolskis Treffer waren nur noch zwei Österreicher mit aktivem Verteidigen beschäftigt – das komplette ausgespielte Mittelfeld trabte zehn Meter vor dem eigenen Sechzehnmeterraum umher und niemand fühlte sich bemüßigt noch einmal hinter den Ball zu kommen oder dem Gegner das Leben schwer zu machen. Deutschland erzielte ein schönes Tor, in dem nur drei Spieler clever sowohl mit als auch ohne Ball arbeiteten – Österreich kassierte ein Tor auf Schülerliga-Niveau, weil nicht sieben oder acht Leute gemeinsam verteidigten, sondern jeder für sich.
Gegentor aus 4 gegen 2 Überzahlsituation
Beim vierten Gegentor durch Mesut Özil wurde Österreich durch einen im Grunde unplanmäßigen Konter kalt erwischt. Nur achtzig Sekunden nach Beginn der zweiten Halbzeit führte Österreich einen Freistoß aus, der hoch vor das Tor der DFB-Auswahl gebracht wurde. Nach einer kleinen Kopfballstafette, putzt Miroslav Klose am eigenen Strafraum den Ball aus, bugsiert ihn weit nach vorne. Nun kassiert Österreich trotz einer 4 gegen 2 – Überzahl das 1:4.
Thomas Müller verlängert Kloses Befreiungsschlag per Kopf und findet Mesut Özil. Müller kommt dabei frei zum Kopfball, weil er der einzige Akteur ist, der sich zum Ball orientiert. Um Müller herum stehen Alaba, Klein und Dag, die den WM-Torschützenkönig allesamt nicht am Kopfball hindern.
Es folgt ein Laufduell zwischen Mesut Özil und Christian Fuchs, in dem Fuchs positionsbedingt gute Karten hatte. Fuchs muss Özil nicht mal aktiv attackieren, sondern ihm nur die direkte Achse zum Tor abschneiden. Dies kann Fuchs entweder machen, indem er Özil energisch und mit entsprechendem Körpereinsatz zur Seite abdrängt und ihn zum Abdrehen zwingt, oder aber indem er sich nicht zum Gegner, sondern zum Ball orientiert. In diesem Fall hätte er nicht den direkten Körperkontakt mit Özil suchen dürfen, sondern den Raum zumachen müssen, den Özil danach – auch durch einen weiteren Tormannfehler begünstigt – zum direkten Torschuss nützte.
So agierte Fuchs:
So hätte er mehr Erfolg gehabt:
Gegen die Türkei gilt es nun derartige Anfängerfehler abzustellen, was jedoch nicht von einem Tag auf den anderen gemacht werden kann. Immerhin gibt es im Team schon seit langer Zeit zu große taktische Verfehlungen, die in den nächsten Monaten und Jahren harte Arbeit auf dem gruppentaktischen Gebiet erfordern. Die Türkei hat mit Guus Hiddink einen Trainerfuchs auf der Bank – er wird wissen, wie man diese verunsicherte österreichische Nationalmannschaft knacken kann. Hinzu kommt, dass die Türkei gewinnen muss, vielleicht am Ende sogar das bessere Torverhältnis über Platz 2 und 3 entscheidet. Mit den traditionsgemäß impulsiven, lautstarken türkischen Fans im Nacken, wird es uns die Hiddink-Elf im Prater wohl ähnlich schwer machen, wie zuletzt Deutschland in Gelsenkirchen…
Hier nochmal die Highlights der 2:6-Niederlage gegen Deutschland, zum besseren Nachvollziehen dieser taktischen Analyse:
Daniel Mandl, abseits.at
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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