Pep Guardiola und die Suche nach der passenden Balance gegen Real Madrid
Fußball in Österreich 29.April.2014 Rene Maric 0
Heute treffen Real Madrid und Bayern München im Rückspiel des CL-Halbfinales aufeinander. Die Madrilenen konnten sich im Hinspiel mit einer auf das Umschaltspiel orientierten Taktik einen 1:0-Sieg sichern und haben somit beste Karten auf einen Einzug ins Finale. La Decima rückt näher – Bayerns Titelverteidigung scheint in weite Ferne geraten zu sein.
Insbesondere wegen des fehlenden Auswärtstors und natürlich der enormen Fähigkeiten Reals in der Strafraumverteidigung und im Konterspiel scheint es trotz Bayerns hoher kollektiver und individueller Stärke fast an ein Wunder zu grenzen, wenn die Münchner ins Finale einziehen. Doch Guardiola und auch viele seiner Schlüsselspieler wie Lahm oder Robben zeigten sich nach dem verlorenen Hinspiel durchaus zufrieden mit ihrer Leistung und optimistisch für das Rückspiel. Wieso?
Starke 15 Minuten und dann der Bruch
Man könnte durchaus sagen, dass die Bayern ihre allerbeste Phase zu jenem Zeitpunkt im Hinspiel hatten, als sie den meisten Ballbesitz ihr Eigen nennen durften. In der Anfangsviertelstunde hatte der deutsche Meister über 80%(!) Ballbesitz, ließ keinen einzigen Abschluss zu und kam selbst immerhin auf drei Abschlüsse sowie ein paar vielversprechende Staffelungen. Einige wenige Konterversuche Reals gingen im Gegenpressing und der durch den Ballbesitz erzeugten lokalen Kompaktheiten unter. Doch es sollte ein Mangel im Gegenpressing und ein hervorragend gespielter Konter Reals sein, der das Spiel in der 15. Minute kippte.
Wirkte Real vor dem Treffer eher gezwungenermaßen so tief, so schienen sie danach taktikpsychologisch diese Ausrichtung durchaus passend zu empfinden. Die Aufstellung und taktische Ausrichtung waren hierbei ebenfalls überaus wichtig.
Real im 4-4-2 statt asymmetrischen 4-1-4-1
Über weite Strecken dieser Saison spielte Real wie im ersten Vorbericht erwähnt mit einem 4-1-4-1, in welchen Angel Di Maria auf der linken Achter-Position immer wieder auf die Seite schob und das Loch des vorne bleibenden, zockenden Cristiano Ronaldo auffüllte. Man pendelte dadurch zwischen einem 4-1-4-1, einem 4-3-3, einem 4-1-3-2 und einem 4-4-1-1/4-4-2. In den letzten Wochen veränderte sich das System allerdings; im Clásico spielte Bale mit Benzema als klare hängende Spitze, im Hinspiel war es dann Cristiano, der in seiner defensiven Grundposition ein eindeutig zentraler Spieler war. Er stellte manchmal Boateng zu oder ließ sich ins zentraloffensive Mittelfeld fallen, um die Räume zu verdichten. Diese erhöhte Kompaktheit hilft Real defensiv und im Umschaltspiel, ohne auf der Seite instabil zu sein.
Mit Bales Rückkehr nach seiner Erkältung ist die Gefahr im Umschaltspiel nochmals ungleich größer. Der weiße Bolt Gareth Bale auf dem Flügel, Cristiano Ronaldo als pendelnder hängender Stürmer, Karim Benzema als verkappter Spielgestalter und Zielspieler in der ersten Phase des Umschaltspiels, Di Maria als kreativste Arbeitsbiene der Welt auf links und Modric als Pressingresistenzmaschine im Zentrum können auch das beste Gegenpressing und das kompakteste Team der Welt nach Ballverlusten auseinandernehmen und sind gleichzeitig enorm stark im Defensivspiel.
Deswegen wird entscheidend, wie sich Bayern im eigenen Offensivspiel staffelt.
Guardiola sucht die Balance – wie besetzt man die strafraumnahen Räume?
In der Pressekonferenz betonte der katalanische Erfolgstrainer Pep Guardiola immer wieder selbst die Frage, dass er sich überlegen müsse, mit welcher „Balance“ man angreifen würde. Dabei ist – auch in Anbetracht späterer Antworten – gemeint, wie viele Spieler er in welchen Zonen wie einsetzen würde. Nutzt er wieder ein 4-2-3-1? Geht Schweinsteiger stärker als „Zehner“ nach vorne und besetzt mit Mandzukic die Sturmmitte? Wie werden die Flügel abgesichert und von wem?
Eine offensive Möglichkeit wäre natürlich ein 4-1-4-1 mit zwei Achtern. Das Spielermaterial mit Kroos, Schweinsteiger und Lahm könnte hierbei gleich bleiben, die offensiven Räume wären dann allerdings mit einem Spieler mehr besetzt. Grundsätzlich könnte es wegen der Enge ganz vorne allerdings eine personelle Veränderung geben.
Eine Option wäre Mario Götze, der in engen Räumen dank seiner Dribbelstärke und Dynamik sehr gut aufgehoben ist. Er auf der Zehn oder gar als falsche Neun mit Thomas Müller als Partner wäre eine Möglichkeit, um viel Druck zu erzeugen, während Schweinsteiger und beispielsweise Lahm auf der Doppelsechs im Wechsel aufrücken oder sich auf die Absicherung konzentrieren können. Müller als Rechtsaußen mit Götze und Robben als „doppelte falsche Neun“ wäre womöglich als spielerisches Gegenmittel ebenfalls passend gegen die Defensivkompaktheit der Madrilenen.
Andererseits könnte man sich verstärkt auf hohe Bälle und eine andere Art der Strafraumpenetration bemühen. Mandzukic und Pizarro (oder Müller oder eventuell eben abermals Schweinsteiger als vertikaler Zehner) wären dann Alternativen für ein mögliches 4-4-1-1/4-4-2 oder gar für ein extrem offensives 4-1-3-2. Allerdings sprach Guardiola in der Pressekonferenz auch von „anderen Waffen“, die man einsetzen könnte; sollten damit nicht Pizarro, mehr taktische Fouls oder eine tiefere Ausrichtung gemeint sein, könnte Bayern womöglich mit einer besonderen Option aufwarten.
Könnte eine Dreierkette eine Option sein?
Eine unrealistische, aber auf dem Papier interessante Aufstellung wäre ein 3-2-2-3/3-2-3-2 bei den Bayern. Dieses könnte beispielsweise aus einer Dreierkette aus Alaba, Dante und Boateng bestückt sein, wo die Halbverteidigerpositionen sehr spielstark und schnell aufgestellt wären. Dante als Libero ist mit seiner Kopfballstärke und seiner Spielintelligenz ebenfalls eine interessante Besetzung. Davor könnten Lahm und Martinez als Doppelsechs weite Räume sichern, was sie beide hervorragend beherrschen.
Ziel wäre es die Angriffe mit Lahm und Martinez sowie einem starken, zentrumsorientierten Gegenpressing direkt abzufangen oder Bale, Di Maria und Cristiano auf den Seiten zu isolieren, sie zu stellen, die Angriffe zu verzögern und dann mit mehreren Spielern draufzugehen. Versuchen die Madrilenen direkte Flügeldurchbrüche, dann gäbe es mit Boateng und Alaba zumindest zwei der schnellsten Bayernspieler als direkte Gegenspieler mit einem Dreieck aus spielintelligenter Unterstützung.
Vorne könnte man dann die fünf freien Positionen sehr offensiv besetzen, ein Fünfeck aus dem spielstarken Routinier Pizarro oder dem enorm luftzweikampfstarken Mandzukic als Speerspitze, dem beweglichen Müller mit dem spielstarken Götze dahinter und den beiden Flügelstürmern Robben und Ribéry auf den Seiten wäre eine Option. Oder es könnten eben Kroos und Schweinsteiger als „Doppelacht“ in hohen Zonen und körperlich robustere Absicherung für die offensiven Akteure dienen.
Im Aufbauspiel oder auch gegen den Ball im normalen Pressing könnte man mit Lahm sogar immer wieder bei Bedarf auf eine reguläre Viererkette umstellen, Lahm hätte dann eigentlich nur eine Rolle als hineinkippender Außenverteidiger inne, während Alaba tiefer spielen müsste.
Jedoch ist fraglich, ob man sich gegen Real des Mittels des Hinterlaufens der Flügelspieler entledigen möchte. Es ist eher zu erwarten, dass Alaba und Lahm auf den Seiten klarer flügelorientiert agieren und immer wieder hinter- wie vorderlaufen, Martinez entweder als Sechser oder als Innenverteidiger spielt und eher ein klassisches 3-4-3 erzeugt wird. Bei tiefem Spiel der Madrilenen könnte es auch ein 2-1-4-3 werden; dann wären Kroos oder Schweinsteiger vermutlich die bevorzugten Sechseroptionen Guardiolas, während man Martinez‘ Dynamik als Innenverteidiger nutzen könnte.
Allerdings liegt genau hier die Krux für die „Balance“ der Bayern.
Könnte ein rhythmisches Pressing Reals Bayern den Garaus machen?
Die genaue Spielerwahl der Bayern hängt natürlich auch davon ab, wie genau sich Real aufstellt. Ein extremer Fokus auf Spielstärke in der Personalwahl könnte für Probleme sorgen, wenn Real sich wirklich nur auf das Kontern versteift. Spielt Martinez als alleinige Sechs und Kroos mit Schweinsteiger als Doppelsechs, dann wäre die Umstellung auf ein hohes Mittelfeldpressing mit viel Passivität und großer Kompaktheit in der Mitte unter Umständen fatal. Eine Manndeckung auf Modric, womöglich von Martinez oder Lahm, könnte durch dessen variables Herauskippen und Veränderung der Bewegungsmuster kontraproduktiv werden.
Darum wäre ein variables Pressing, welches auch Thomas Tuchel schon gegen Bayern (fast) erfolgreich praktizieren ließ, eine gute Idee, um die unterschiedlichen Spielertypen der Münchner sowie die vielen, schnellen Anpassungen Guardiolas im Spielverlauf vor Probleme zu stellen. Zwischen sehr tiefer und strafraumorientierter Verteidigung, einem hohen Angriffspressing und einem passiven Mittelfeldpressing zu wechseln könnte für große Instabilität bei den Bayern und ein mögliches Auswärtstor der Madrilenen sorgen; stellen sie sich dann so effektiv wie im Hinspiel hinten rein, dann wäre der Drops wohl gelutscht.
René Maric, www.abseits.at
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