„Erste Runde Krankenschein, dann die Oma tot, Überstunden nehmen wir zur Not.“, singen die BVB-Fans, wenn sie mit ihrem Herzensklub europäisch spielen. Die verstorbene... Anekdote zum Sonntag (100) –  Fredis tote Oma

„Erste Runde Krankenschein, dann die Oma tot, Überstunden nehmen wir zur Not.“, singen die BVB-Fans, wenn sie mit ihrem Herzensklub europäisch spielen. Die verstorbene Großmutter ist eine passende Ausrede für jeden Zweck. Ein österreichischer Kicker begann gar seine Karriere praktisch mit dieser Notlüge: Es handelt sich um Alfred Riedl. Riedl wurde in Österreich zweimal Meister und Cupsieger, kickte später als Legionär und wurde 1975 drittbester Torschütze Europas. Danach führte ihn seine Trainerlaufbahn über Kottingbrunn und das Nationalteam bis nach Saudi-Arabien, Ägypten, Palästina und Liechtenstein. Trotzdem gehört Riedl, der einst ein Topstürmer auf links war, nicht zu den Polsters, Hickersbergers oder Prohaskas der heimischen Fußballprominenz, sondern führt eher ein Schattendasein.

Geboren wurde Riedl im beschaulichen Blumau im Bezirk Baden. Seit einigen Jahren gehören jedoch heiße Temperaturen, Sate-Spieße und hinduistische Tempel zu seinem Alltag: Der ehemalige Austria- und GAK-Angreifer coacht mittlerweile zum dritten Mal die indonesische Nationalmannschaft. Als Jungspund hätte er sich ein solches Leben nicht träumen lassen, selbst die Tatsache, einmal mit dem Fußballspielen Geld zu verdienen, war für Alfred unvorstellbar. Der 16-jährige pendelte einst zwischen seinem Heimatort, dem Fußballplatz in Teesdorf und der HTL Wiener Neustadt. Riedl wollte zu dieser Zeit Architekt werden. In seiner Freizeit spielte er jedoch groß auf und schoss in der letzten Landesligastufe Tor um Tor. Das war Josef „Pepi“ Argauer nicht verborgen geblieben. Argauer arbeitete damals als Talentscout für die Wiener Veilchen und hatte einen guten Riecher für hoffnungsvolle Spieler. Rasch war ihm klar, welches Potenzial in dem Niederösterreicher steckte und er wollte ihn unbedingt zur Austria locken. Die Zeit drängte jedoch, denn bald schloss das Transferfenster.

Argauer griff also zu einer Finte: Er rief in der HTL an und verlangte „in einer dringenden Familienangelegenheit“ den Schüler Alfred Riedl zu sprechen. Am Telefon erklärte er dem verdutzten Fredi, dessen Großmütter beide schon das Zeitliche gesegnet hatten, er solle, dem Herrn Professor das Märchen von der plötzlich verstorbenen Oma vorgaukeln und so rasch wie möglich nachhause flitzen. Fredi lieferte vor der Schulsekretärin einen oscarreifen Heulkrampf ab und wurde mit Beileidsbekundungen entlassen. Der Schüler hatte Argauers Stimme am Telefon selbstverständlich wiedererkannt: Vor wenigen Tagen war jener Herr mit breitkrempigem Hut und Trenchcoat vor der kleinen Arbeiterwohnung der Riedls erschienen. Es war Sonntagmorgen und Mutter Riedl hatte gerade das Wäschewaschen beendet und in der kleinen Küche Kleidungsstücke zum Trocknen aufgehängt. Alfred wachte im selben Raum vor einer Tasse Kakao langsam auf, sein Vater war gerade unterwegs.

Argauer bahnte sich den Weg durch die gestärkten Wäscheberge und setzte sich zu dem verschlafenen Burschen. „Ich hab‘ gehört, was mir Fußball alles bringen würde, wenn ich nur Austrianer werden würde und überhaupt und außerdem.“, erinnert sich Riedl an das Gespräch mit dem damaligen FAK-Angestellten. Beim Gehen – nachdem sich Argauer wieder an den frischgewaschenen Kleidungsstücken vorbeigezwängt hatte – drückte der Wiener anlässlich des Abschiedsgrußes der arglosen Hausfrau 18.000 Schilling bar in die Hand. So viel Geld hatte kein Riedl je verdient. Alfreds Eltern waren mit dieser Aktion eingekocht und gaben ihren Segen zur Fußballkarriere ihres Sohnes. Jetzt – fast eine Woche nach „Pepis“ Spontanbesuch in Blumau – musste man hurtig den Vertrag unterschreiben, sonst war es zu spät. Eine (gutgemeinte) Hürde stellte sich Riedl jedoch noch in den Weg: Während Alfred mit dem Bus nachhause fuhr, fragte sein Klassenvorstand im Sekretariat nach, wo denn der Riedl stecke. Er roch den Braten und wollte den Buben vor einer falschen Entscheidung bewahren. Auf seinem Heimweg machte der Herr Professor einen Umweg nach Blumau und erwischte tatsächlich die ganze Familie mit dem späteren Erfinder des Hallenturniers auf der Straße. Er stieg aus und versuchte den vifen Schüler doch noch zu einem Verbleib in der Höheren Technischen Lehranstalt zu bewegen: Ein abgeschlossenes Studium sei doch viel sicherer als eine Sportlerkarriere, die jederzeit unfreiwillig beendet werden könnte, meinte der Herr Lehrer. Doch seine Bemühungen fruchteten nicht. Riedls Entscheidung stand fest: Er wollte Profifußballer und nicht mehr Architekt werden. Fünf Jahre lang spielte er bei den Veilchen, ehe er nach Belgien und von dort nach Frankreich wechselte. In Mödling beendete er schließlich seine aktive Laufbahn und arbeitete sich langsam als Trainer hoch. Scheinbar haben die toten Großmütter ihren Segen gegeben.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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