Anekdote zum Sonntag (104) – Restfett
Sonstiges 26.November.2017 Marie Samstag 0
Wenn österreichische Stammtischrunden ordentlich getankt haben und das Thema Fußball aufs Tapet kommt, hört man oft Ähnliches: „Unsere Kicker! Verdienen wie die Wahnsinnigen und sind trotzdem 3-4 Klassen schlechter als die Besten.“ „Die spielen ja manchmal als ob’s noch vom Abend vorher ang’soffen sind.“, bemerkt meistens derjenige, dessen Promillewert den Durchschnitt am Bankl deutlich hebt. Alkohol hat in Österreich kulturell bedingt einen besonderen Stellenwert. Dass der (übermäßige) Genuss harter Getränke für Spitzensport nicht unbedingt förderlich ist, ist selbstverständlich. Trotzdem erzählt man sich zahlreiche Geschichten und Legenden über Fußballer und Alkohol: Angefangen von Heißsporn Andi Ogris, der sich bei einem Cup-Match auswärts bei einem unterklassigen Klub in der Pause ungeniert einen G‘spritzen bestellt haben soll, bis zu Stürmerkollege Roman Wallner, der damals als Rapid-Hoffnung nicht nur übergewichtig sondern sogar einmal alkoholisiert bei einem Training erschien, hört man zahlreiche Geschichten deren Wahrheitsgehalt oft schwer zu überprüfen ist. Aber wie sagte schon Sigmund Freud: „Es gibt ebenso wenig hundertprozentige Wahrheit wie hundertprozentigen Alkohol.“
Didi Constantini erlebte als Spieler bei Innsbruck eine Geschichte, die ihn lange Zeit das Thema „Alkohol und Fußball“ ernster nehmen ließ. Der spätere Nationaltrainer musste am eigenen Leib die Realisierung des Sprichwortes „Erstens kommt es anders. Und zweitens als man denkt.“ erfahren. 1976 spielte der gebürtige Innsbrucker bei seinem Heimatverein Wacker. An einem der letzten Tage vor der Winterpause begann es in Österreich zu schneien, als habe Frau Holle wegen eines Herzinfarktes ihre gesamte Bettwäsche aus dem Fenster fallen lassen. Die Kampfmannschaft von Wacker saß nach dem Abschlusstraining vor einem Auswärtsmatch gegen Kapfenberg in ihrem Stammbeisl zusammen und aß zu Abend. Didi sah aus dem Fenster und traute seinen Augen nicht: Binnen weniger Minuten hatte sich die Straße in ein Winterwonderland der Extraklasse verwandelt. Märchenhaft weiß war alles eingeschneit. Der Schneefall hörte allerdings partout nicht auf und Constantini forderte einen Kollegen auf, doch einmal nachzusehen, wie hoch der Schnee schon liege. Der Spieler kam wieder und meinte, dass ihm der Niederschlag schon über die Knöchel reiche. Es schneite munter weiter und bei der nächsten Probe stand dem Spieler das gefrorene Wasser schon bis zu den Knien. Constantini wusste: Bei so einem miesen Wetter würde in der Obersteiermark morgen kein Fußballspiel stattfinden. Im Radio hörten die Spieler, dass es überall in Österreich wegen der Schneemassen zu Verkehrsproblemen käme. Constantini gab die Marschroute vor: „Dann bleib’n wir da!“, beschloss er kurzerhand. Tatsächlich hatte keiner der Spieler Lust sich durch die Schneehölle seinen Weg nachhause zu bahnen.
Man legte also eine verfrühte Weihnachtsfeier ein, rief die Frau oder Freundin an um Bescheid zu geben, dass man sich einen Männerabend gönne und schon wurde intensiv weiter geplaudert und Schmäh geführt. Aufgrund der Tatsache, dass morgen keiner fit zu sein brauchte, konnte man es auch zünftig angehen lassen: Die Spieler orderten reichlich alkoholische Getränke sowie fette Speisen. Man gönnt sich ja sonst nix. So zechten die Tiroler über die Sperrstunde hinaus bis zur geplanten Busabfahrt durch. Pflichtbewusst schickte sich in den Morgenstunden Constantini an, zum Treffpunkt zu gehen um sicherzustellen, dass man den Weg nach Kapfenberg so oder so nicht zurücklegen könne. Dort angekommen folge allerdings die böse Überraschung: Trainer Pfister wunderte sich, warum der Abwehrspieler allein kam und verlor auf dessen zaghaften Bericht, man habe die Nacht durchgemacht, beinahe die Nerven: Der Straßenräumungsdienst sowie die Kapfenberger Stadionverwaltung hatte die Nacht nicht wie die Kicker bei Jagatee und Schweinsbraten, sondern mit Schneeschaufeln verbracht. Nun waren die Autobahn und der ortsansässige Platz leergefegt, das Schneegestöber selbst hatte sich schon knapp nach Mitternacht gelegt. Der Abhaltung des Spieles sowie der Anreise stand also nichts entgegen. Constantini wurde blass: Damit hatte er nicht gerechnet. Er stieg in das Wacker-Gefährt ein und nahm sicherheitshalber einige Sitze hinter Pfister Platz. Der Mannschaftsbus sammelte schließlich die restalkoholisierte Bande, die genauso ungläubig wie Constantini schaute, ein und kutschierte sie in die Steiermark.
Die ganze Fahrt lang schliefen die Spieler wie Tote durch, trotzdem fühlte sich kaum einer in der Lage heute ein Fußballspiel zu bestreiten. Wie durch ein Wunder schienen in der Kälte allerdings die Lebensgeister neu zu erwachen. Das wütende Flackern in Pfister Augen trieb jedem Schwarz-Grünen die Gänsehaut über den Rücken und mahnte ihn sich heute besonders ins Zeug zu legen. Mit allerletzter Kraft spulten die Kicker ihre Kilometer ab und warfen sich jedem Ball entgegen. Sie sollten belohnt werden: Hansi Pirkner, einer der am Vorabend besonders tüchtig ins Glas geschaut hatte, erzielte tatsächlich den 1:0-Siegtreffer. Erleichtert bestieg die Mannschaft mit dem kollektiven Hangover den Bus heimwärts und schnarchte bald erneut dem Ziel entgegen. Vorne gönnte sich Fritz Pfister zufrieden ein Siegerbier. Prost!
Marie Samstag, abseits.at
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Marie Samstag
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