Zwei Wochen lang residierte das ÖFB-Team 1982 im luxuriösen Hotel Marsol im spanischen Fischerdorf Candas nahe Gijon. Obwohl die Rot-Weiß-Roten bei dieser WM-Endrunde nur knapp den Halbfinaleinzug verpassten, blieb der Wettbewerb vor allem wegen des Nichtangriffspakts von Gijón in schlechter Erinnerung. Als Konsequenz des peinlichen Kicks gegen Deutschland finden die letzten Gruppenspiele jedes internationalen Turniers seither immer gleichzeitig statt. Weltmeister der vierwöchigen Endrunde wurde damals übrigens Italien.
Die spanischen Organisatoren erwiesen sich als hervorragende Gastgeber. 32 luxuriöse Doppelzimmer waren ausschließlich für die Mannschaft und Delegierten des ÖFB reserviert. Im Hotelrestaurant auf dem Dach kochte Chefkoch Georg Pesek Spezialitäten aus der Heimat, in der hauseigenen Disko erklangen „Donauwalzer“ und „Radetzkymarsch“. Im Pub im Erdgeschoss baute die Presse Scheinwerfer und Kameras auf um die Spieler nach den Matches zu interviewen. Die Spanier lebten in Angst vor der Bedrohung durch die baskische Terrororganisation ETA und hatten für sämtliche Mannschaften des Turniers Soldaten abkommandiert, die die Sicherheit der Teilnehmer gewährleisten sollten. Auch im Hotel Marsol waren Militärs mit Maschinenpistole im Anschlag auf jedem Gang zu finden. Kein Fremder konnte in den 4. Stock, wo die Mannschaft kampierte, gelangen. Die Organisatoren mahnten Rapidler Hans Krankl zur besonderen Vorsicht: Aufgrund seiner Barcelona-Vergangenheit könnte er – wie Quini – Entführungsopfer der baskischen Separatisten werden. Barca-Stürmer Quini war ein Jahr zuvor für 24 Tage in der Gewalt dreier Männer gewesen, die aus Geldnot den besten Angreifer der spanischen Meisterschaft gefangen hielten.
Johann K. war also gewarnt, hatte aber nicht wirklich Sorge, dass ihm etwas passieren würde. Krankl teilte sich das Zimmer mit Herbert „Funki“ Feurer, seinem Teamkollegen bei Rapid. Eines Nachts wurden die beiden Grün-Weißen durch „Hilfe! Hilfe! Des bin i ja net!“-Rufe unsanft geweckt. Krankl war sofort hellwach und schaltet blitzschnell: Da waren Terroristen gerade dabei einen Kollegen zu entführen, den sie mit ihm verwechselten. Er sprang auf, rüttelte an Feurers Schulter und stolperte in Richtung Zimmertür, die er mit zwei Handgriffen versperrte. Gemeinsam mit Feurer wieselte der Wiener ins Badezimmer und verbarrikadierte sich in dem gefliesten Raum. Das Geschrei am Gang verstummte, doch die beiden Spieler verharrten eingezwängt zwischen Badewanne und Klo. Nach einigen Minuten wollte Krankl „Funki“ auf den Gang schicken um nach dem Rechten zu sehen, doch dieser weigerte sich standhaft: Wenn dann solle Hanseee nationale selber sehen, ob die Luft rein sei. Der dreifache Familienvater fasste sich schließlich ein Herz und schlich auf Zehenspitzen zur Türe. Langsam öffnete er diese und spähte auf den leeren Gang: Es war keine Menschenseele zu sehen. Hans wagte es schließlich sogar einen Stock tiefer zu gehen und musste mit Verwunderung feststellen, dass sich niemand – nicht einmal ein Wachposten – am Korridor befand. Diese Tatsache war etwas beunruhigend für den Ex-Legionär. Krankl kehrte ins Zimmer zurück und versperrte die Tür erneut. Gemeinsam beschlossen die Rapidler diese auch noch mit einem schweren Fauteuil zu blockieren. Sicher ist sicher. Nach unruhigen Stunden Schlaf war es Zeit für das mannschaftsinterne Frühstück. Die beiden Rapidler erzählten ihren Kollegen von den wunderlichen Ereignissen der vergangenen Nacht und versuchten – im wahrsten Sinne des Wortes – Licht ins Dunkel zu bringen. Des Rätsels Lösung wusste schließlich Krankls Sturmkollege Max Hagmayr. Der Oberösterreicher lachte und meinte, dass er wahrscheinlich der Schreihals vom Hotelgang gewesen sei: Der heutige Fußballberater litt an chronischem Somnambulismus. Er war Schlafwandler und neigte des Nächtens zu ausgiebigen Spaziergängen inklusive Selbstgesprächen. Hagmayr hatte sogar schon seinen Zimmerpartner Klaus Lindenberger schlafvernebelt gewürgt. Der vermeintliche Kidnapversuch war also ein „harmloser“ Zwischenfall des herumgeisternden Hagmayrs.
Für Krankl und Feurer blieb diese nächtliche Störung allerdings nicht die einzige. Wenige Tage später klopfte es weit nach Mitternacht an der Tür. „Wer da?“, rief Krankl in Bundesheer-Manier. Von draußen tönte Othmar Luczenskys – seines Zeichens Präsident des Wiener Fußballverbandes – Stimme: „Geht’s Burschen, auf meinem Zimmer geht die Brause net, kann ich mich bei euch duschen?“
Marie Samstag, abseits.at
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