Wie Karl Geyer zu seinem Spitznamen „Vogerl“ kam, wurde in dieser Serie schon erzählt. Geyer war – per autofaschistischer Selbstverordnung – „Eisenbahnerprofi“, nicht nur weil er hauptberuflich bei der ÖBB arbeitete, sondern weil er auch kein Flugzeug bestieg. Der Ur-Austrianer kam (kurioserweise) im Gründungsjahr des grün-weißen Stadtrivalen zur Welt. Geyer wurde als Sohn eines Fleischhauermeisters in Wien geboren und wuchs dort auf, wo der zwanzigste auf den zweiten Bezirk trifft. Im Augarten jagte der spätere Violette lang der Kugel nach, denn erst ab Vollendung des 14. Lebensjahrs durfte man einem Sportverein beitreten. Geyer spielte später beim SC Donaustadt ehe er als 17-jähriger einrücken musste. An der Isonzofront erlebte er jenen schrecklichen Luftkampf, der ihn dazu bewegte Flugzeuge als Transportmittel zu meiden.
Geyer arbeitete nach dem Krieg am Wiener Nordbahnhof und spielte weiter für den SC Donaustadt. Später wechselte er zum WAC. Zu Ostern 1919 reisten die Athletiker gemeinsam mit den Amateuren (der späteren Austria) zu einem Turnier nach Budapest. Die Selbstdarstellung des Akademikervereins imponierte Geyer: „Während die vornehmen Amateure im Speisesaal dinierten, öffneten wir vom WAC unsere Jausenpackerl irgendwo an Deck. In Budapest stiegen die Amateure im teuren „Royal-Hotel“ ab, wir logierten in einer düsteren Herberge. Und anhand der Rückfahrt fuhren wir per Bahn III. Klasse Schnellzug, die Amateure „überholten“ uns mit der II. Klasse Balaton-Express. Von da an wusste ich, wo ich hinwill.“ Der Außenläufer hatte Glück: Auch die Amateure zeigten sich an einer Verpflichtung interessiert und so wechselte der Spieler 1920 zu den späteren Veilchen und gab sein Debüt (mangels Freigabe) unter dem Pseudonym „Vogerl“. Acht Jahre später musste er aufgrund einer Knieverletzung seine Karriere beenden. Geyer blieb seinem geliebten Sport aber als Trainer erhalten.
1938 brachen andere Zeiten an: Karl Geyer musste sich mit dem Gedanken beschäftigen seine Heimat zu verlassen. Seine Ehefrau war jüdischer Abstammung und es kam für ihn nicht in Frage sich von ihr zu trennen. Zusammen floh man zunächst ins norwegische Bergen, wo man allerdings nicht bleiben konnte. Im April 1940 besetzte die deutsche Wehrmacht auch diesen Staat, die Geyers mussten schon während des Krieges wieder flüchten. „Vogerl“ kehrte nach Wien zurück – offiziell ohne Frau. Doch er hätte sie niemals im Stich gelassen und lebte weiterhin mit ihr zusammen. Ein Freund – ein ehemaliger Spitzenleichtathlet – hielt in der Partei die schützende Hand über den Ex-Fußballer. Wenn eine Hausdurchsuchung anstand, wurde der Ex-Kicker per Telefon gewarnt: „Vogerl, mach dein Nesterl leer und leg deine Orden an!“ Wenn dieses „Codewort“ fiel, versteckte der Austrianer seine Frau und schickte sich an seine Abzeichen aus dem Ersten Weltkrieg zu präsentieren. Vor Kriegsveteranen hatte die Gestapo Respekt. Geyer verweigerte weiterhin die von Parteifunktionären vorgeschlagene Scheidung. Aus diesem Grund konnte er offiziell keinen Posten als Trainer antreten und wurde auch als ÖBB-Mitarbeiter entlassen: Nach 21 Dienstjahren schickte man ihn in die Zwangspension. Natürlich war der Wiener trotzdem in die Leitung der Veilchen involviert: „Ich habe die Austria zwar trainiert, aber ich war nicht offiziell.“ Gottseidank überlebten die Geyers den Krieg unbeschadet und nach dem 8. Mai ’45 machte Karl offiziell dort weiter, wo er aufgehört hatte: Er wurde ÖFB-Jugendreferent, später Bundeskapitän und Teamchef. Weiterhin forcierte „Vogerl“ den einheimischen Nachwuchs und blieb seinen Prinzipien treu. Seine Austria verfolgte er zwar mit kritischen Augen („Ich habe nie verstanden, warum die Austria in den 10. Bezirk gezogen ist. Nichts gegen die Arbeiter-Familien dort, aber die „Noblen“ von der Austria in einem Arbeiterbezirk, das kann auf Dauer nicht gut gehen.“), gleichzeitig behauptete er aber: „A wie AUSTRIA. Alles Schöne fängt mit A an!“ A – wie Antifaschismus!
Marie Samstag, abseits.at
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Marie Samstag
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