Als Waldemar Graciano 1962 in Wien-Schwechat landete, staunte Austrias Sektionsleiter Pepi Argauer nicht schlecht: Dieser 1,66 Meter kleine und 66 kg leichte Angreifer sollte... Anekdote zum Sonntag (170) – Scheiß-Begrüßung

Als Waldemar Graciano 1962 in Wien-Schwechat landete, staunte Austrias Sektionsleiter Pepi Argauer nicht schlecht: Dieser 1,66 Meter kleine und 66 kg leichte Angreifer sollte auf dem Platz ein Krokodil (portugiesisch: „Jacaré“) sein? Argauer hatte sich den ersten farbigen Spieler, der in der österreichischen Liga auflaufen sollte, anders vorgestellt, doch Jacaré sollte ihn (und alle anderen Zweifler) eines Besseren belehren: Der Stürmer aus São Paulo passte mit seiner exquisiten Technik hervorragend nach Wien‑Favoriten und holte in seinen vier Jahren bei den Veilchen zweimal den Cup und einmal die Meisterschaft. Jacaré, dessen Spitzname nicht von seiner Spielweise, sondern von der Tatsache, dass die kaputten Schuhe seiner Kindheit einst an das aufreißende Maul eines Reptils erinnert hatten, war bald ein echter Publikumsliebling: Vor allem weil er mit dem Wiener Schmäh bald pas de deux tanzte, was ihm noch mehr Sympathien bei den Fans bescherte. Überliefert ist beispielsweise sein kongenialer Sager, als die Zahlungsschwierigkeiten des FAK vor einem TV-Interview bekannt wurden: „Heut bin i Doppel-Neger!“, stellte er in die Kamera fest. Oder als der Zuckerhutkicker meinte, der Nationalsport in seiner Heimat sei Volleyball. Die erstaunte Nachfrage des Reporters quittierte der Angreifer damit, dass Fußball in Brasilien eben Religion sei.

Der legendäre Legionär beantragte noch während seiner aktiven Zeit die österreichische Staatsbürgerschaft. Ende der 60er-Jahre spielte er noch für die Vienna und Innsbruck. Danach heiratete er eine Tirolerin und betrieb ein Schallplattengeschäft. Sporadisch, aber erfolgreich (zwei Meistertitel mit den Veilchen als Co von Erich Hof) versuchte er sich als Trainer. Am 6. Dezember 2010 verstarb der erste dunkelhäutige Fußballer der österreichischen Liga in seiner Wahlheimat, nachdem er elf Jahre lang wegen eines Schlaganfalls an den Rollstuhl gefesselt war. Seine Austria hat und hatte Jacaré nicht vergessen.

Jacarés Integration – insbesondere in den österreichischen Humor – kann also nicht angezweifelt werden, der Einstieg des Feintechnikers in diesen Bereich erfolgte jedoch auf Initiative eines Herrn, der es ebenfalls faustdick hinter den Ohren hatte: Horst Nemec. Der dreifache österreichische Torschützenkönig war nicht nur eine Waffe im Strafraum, sondern schoss auch schneller als Lucky Luke Späße aus der Hüfte. Das „Riesenbaby“, wie man Nemec aufgrund seiner breiten Schultern, strammen Waden und 100 kg Lebendgewicht nannte, spielte mit Jacaré – seinem körperlichen Gegenteil – nicht nur zusammen bei der Austria, sondern auch noch beim Vienna FC. Jene Geschichte hat sich jedoch in der Anfangszeit ihrer Zusammenarbeit in der FAK-Kabine zugetragen:

Austria-Geschäftsführer Joschi Walter schickte sich an die Mannschaft vor dem ersten Heimspiel der Saison 1962/63 mit einer kurzen Ansprache herzlich zu begrüßten. Jacaré, der seit April in Wien lebte, verfügte noch nicht über sonderlich gute Deutschkenntnisse. Nemec nahm seinen Kollegen zur Seite und trichterte ihm ein, dass er nach dem Händedruck Walters Folgendes zum Besten geben müsse: „Und du, geh‘ scheiss’n!“ Das sei eine rot-weiß-rote Redewendung, die als Sportlergruß diene. Ob der Brasilianer Nemec Plan durchschaute und sich absichtlich einen Welpengesichtsausdruck aufsetzte, obwohl er ahnte dem Offiziellen nun ein paar Fäkalien entgegenzuschleudern? Wir werden es nie wissen. Es kam, wie es kommen musste: Walter begrüßte nach seiner Rede jeden Kicker per Handschlag und einigen freundlichen Worten. Als der „neue“ Legionär an der Reihe war, erwiderte dieser jedoch auf Walters Floskel – für die gesamte Kabine – hörbar mit „Und du, geh‘ scheiss’n!“ Nemec lachte sich ins Fäustchen, als er den konsternierten Blick des violetten Geschäftsführers sah. Doch Joschi war nicht auf der Nudelsuppe daher geschwommen, er ahnte, wer Jacarés Einflüsterer gewesen war. Walter fixierte den Sturmtank und knurrte: „Horstl, das war sicher deine Idee! Na warte!“ Der Stürmer, den Karl Schlechta einmal als „Pferd von einem Mann“, bezeichnete wieherte (!) daraufhin los und auch die übrigen Anwesenden konnten ihr Lachen nicht mehr zurückhalten. Jacaré hatte bei seinen Teamkameraden jedenfalls einen Stein im Brett: Humor verbindet.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag