Herbert Prohaska erzählte einmal, dass das Erfolgsgeheimnis der Wiener Austria in den späten 70ern als man vier Meistertitel holte unter anderem darin bestand, dass die Mannschaft einen guten Zusammenhalt pflegte: „Wir sind Essen gegangen und mit den Frauen ins Theater. Nach dem Training auf dem WAC-Platz haben sich zehn Spieler zusammengesetzt, ein Seidl Bier getrunken und Schmäh geführt. Jeden Tag. Wenn wir Vormittags- und Nachmittagstraining hatten, sind wir zu zwanzigst am Praterstern ins Kino gegangen. Wir sind sogar zusammen in den Urlaub gefahren.“
Heute ist so ein Umgang in den Spitzenteams der Fußballwelt kaum vorstellbar: Spieler kommen und gehen, eine Integration der Kicker, die aus aller Welt stammen, ist kaum möglich. Die Freizeit verbringt grundsätzlich jeder für sich, wenn es auch obligatorische Mannschaftsabende gibt. Zu Prohaskas aktiver Zeit bemühte man sich oft etwas gemeinsam zu unternehmen; der Terminus „Teambuilding“ war dabei noch unbekannt. Einmal organisierten „Schneckerl“, Daxbacher, Obermayer und Robert Sara einen Kurztrip zur Burgruine Lockenhaus, den der violette Zeugwart nicht so schnell vergessen sollte.
Die Burg Lockenhaus wurde 1242 als „Castrum Leuca“ erstmals urkundlich erwähnt; angeblich soll sie einst vom Orden der Templer erbaut worden sein. Die Anlage im mittleren Burgenland hatte über Jahrhunderte unterschiedliche aristokratische Eigentümer und ist heute für Besucher zugänglich. Ende der 70er buchten Prohaska und Co. für ihre Austria-Mannschaft nicht nur eine Führung durch die Ruine, sondern auch ein zünftiges Ritteressen in den Räumlichkeiten der Burg: Wie vor Jahrhunderten sollte der Abend mit Lautenmusik, Braten am Spieß, in historischen Kostümen an einer langen Tafel ausklingen. Auch die riesigen Ritterkrüge füllte man zu diesem Zweck reichlich mit Wein und Bier. Die Veilchen feierten ein – im wahrsten Sinne des Wortes – rauschendes Fest: Besonders Zeugwart Gustl Pohl füllte seinen Becher oft nach, weswegen er kurz nach Besteigen des Teambusses, der die Mannschaft zurück ins Hotel brachte, einbüselte und laut zu schnarchen begann.
Zurück im Hotel hatte der trinkfeste Kern der Austrianer noch immer nicht genug und ging auf einen allerletzten Drink in die hauseigene Bar. Die ersten Biere kreisten bereits, als Zeugwart Pohl um die Ecke gewankt kam. Mit schwerer Zunge verlangte Gustl der Dieb möge nun endlich die „seinen“ zurückgeben. Die Kicker verstanden nicht. „Wer hat’f gnumma?“, fragte Pohl aufgeregt in die Runde. Die Austrianer wussten nicht, wovon er redete. Endlich fragte einer zurück: „Wer hat was genommen, Gustl? Wovon sprichst du?“ „Meine Tähnt, meine Dritt‘n.“, zuzelte Pohl. Nun war alles klar: Der Zeugwart verständigte sich nicht nur wegen seines erhöhten Alkoholspiegels undeutlich, sondern auch weil ihm seine Zahnprothese abhandengekommen war. Die Meisterkicker mussten schmunzeln. Tatsächlich hätte es niemand – selbst der größte Spaßvogel unter ihnen – gewagt, dem eingeschlafenen Zeugwart im Bus das Gebiss aus der Papalatur zu stehlen: Diese Art des Mundraubes war Tabu. Ehrlicherweise beteuerten Prohaska und Co. mit der Sache nichts zu tun zu haben. Gustl jedoch fühlte sich betrogen. Unglücklich schüttelte er den Kopf und raunzte, dass ihn eine neue Prothese ein Vermögen kosten würde.
Am nächsten Morgen bestieg die FAK-Mannschaft den Bus, um sich nach Wien zurückkutschieren zu lassen. Mit todtrauriger Miene und zerknautschtem Gesicht betrat Gustl das Fahrzeug; der Ausflug nach Lockenhaus hatte ihm nicht nur einen Mordsdrum-Kater beschert, sondern auch ein ganzes Gebiss gekostet. Als er sich jedoch seinem Platz näherte, knirschte es plötzlich hörbar: Der Zeugwart fühlte, dass er auf etwas getreten war. Er hob den Fuß und erblickte sein schmerzlich vermisstes Gebiss! Seine Beißerchen mussten ihm bei der Rückfahrt von Lockenhaus während des Schlafens aus dem offenen Mund gerutscht sein und hatten auf dem Boden des Busses „übernachtet“. Rasch blickte sich Gustl nach links und rechts um: Als er sicher war, dass ihn niemand beobachtete, hob er die Keramik-Zähne auf, wischte sie an seiner Hose ab und schob sich seine „Dritten“ zurück in den Mund. Mit einem Lächeln auf den Lippen setzte sich der FAK-Angestellte auf seinen Platz und tat so, als wäre nichts geschehen. Seinen Beinamen „Ritter Ohne-Zahn“ behielt er im internen Jargon der Mannschaft zwar noch einige Zeit bei, das war Gustl aber egal: Hauptsache, er konnte wieder deutlich Schmähführen.
Marie Samstag, abseits.at
Marie Samstag
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