Moskau ist nicht die schlechteste Stadt für Groundhopper:innen: Roter Platz, Lenin-Mausoleum und Kreml sind auch abseits des Fußballplatzes eine Reise wert. Schlachtenbummler:innen nehmen so etwas als Bonus gerne mit, ihr Team zu unterstützen steht jedoch im Vordergrund. Sie begleiten ihre Mannschaft vom hintersten Winkel bis in die schönste Stadt der Welt. Gerade der Rapid-Anhang verfügt über hartgesottene Fans, die sich nicht scheuen ihren gesamten Urlaubsanspruch dem österreichischen Rekordmeister zu opfern. Selten aber doch werden die Anhänger mit legendären Spielen für ihre Reisestrapazen entlohnt. Ein besonders einprägsamer Trip ereignete sich im Sommer vor fast 20 Jahren eben in Moskau. Ob die Sehenswürdigkeiten der russischen Hauptstadt so eindrucksvoll waren, wie die Rückreise? Zumindest die Besatzung eines AUA-Flugzeuges hat den Retourflug der Fans nicht so schnell vergessen.
Damals im August 2005 reisten rund 500 Rapidler:innen zum CL-Quali-Rückspiel gegen Lok Moskau an. Ihr Einsatz zeigte Wirkung, denn nach einem Eckball von Hofmann erzielte der Innenverteidiger Jozef Valachovič mit einem Kopfball das einzige Tor des Spieles. Rapid gewann 1:0 und hatte sich so für die Gruppenphase der Königsklasse qualifiziert. Die Fans – von denen ein Großteil aufgrund der hitzigen Temperaturen oben ohne war – waren außer Rand und Band. Im Stadion jubelte man mit den Spielern und herzte auch das damalige Präsidium. Die Party ging in den Bussen Richtung Flughafen weiter: Andy Marek, Stadionsprecher und Klubserviceleiter, musste selbstgetextete Schlager aus seiner früheren Karriere als Sänger zum Besten geben, die Grün-Weißen grölten begeistert mit. Am Moskauer Flughafen deckte sich die Anhängerschaft noch mit reichlich Wodka ein. Viele Fans hatten sich zwar ihre T-Shirts nicht wieder angezogen, dafür aber als Souvenir erstandene Uschankas – die berühmte russische Fell-Kopfbedeckung – auf, was ein lustiges Bild ergab.
Zwei Flugzeuge der AUA sollten Fans, Mannschaft, Delegation und Pressevertreter zurück nach Wien bringen. Andy Marek übernahm die Koordinierung und achtete darauf, dass jeder zum richtigen Gate marschierte. Als er schließlich als Letzter einen der Flieger betrat, empfing ihn die Stewardess am Ende der Gangway schon verzweifelt: „Herr Marek, bitte sagen Sie den Rapidfans, dass sie sich niedersetzen sollen. Wir können sonst nicht starten.“ An Bord herrschte tatsächlich Chaos. Die Lautstarken skandierten weiterhin Fangesänge, alle standen und klatschen. Die Maschine glich einem Tollhaus. Marek bemühte sich um Ruhe, doch letztendlich musste der AUA-Kapitän selbst zum Mikrofon greifen: „Liebe Fans! Gratuliere zum Aufstieg, doch nun müssen Sie sich für den Startvorgang wirklich hinsetzen, sobald die Anschnallzeichen erloschen sind, dürfen Sie wieder aufstehen.“. Sprachs und knipste den Ton aus. Marek schwante Übles, der Pilot hatte mit seinem letzten Satz die Büchse der Pandora geöffnet.
Nach wenigen Minuten saß der lautstarke Anhang – die Nüchternen hatten die Betrunkenen angeschnallt – festgegurtet im Sessel und starrte gebannt auf das erleuchtete „Anschnallzeichen“. Kaum war die Maschine auf Reiseflughöhe und der Kapitän hatte die Freigabe zum Aufstehen gegeben, ging es plötzlich „klack-klack-klack-klack“: Zig Gurte wurden auf einmal gelöst. Ein Rapidler erhob sich und brüllte: „Steht auf, wenn ihr Grüne seid!“ Prompt erhoben sich sämtliche Passagiere und fingen rhythmisch zu klatschen und zu singen an. Teile des VIP-Klubs oder Promi-Rapid-Fans – wie der spätere Verteidigungsminister Darabos – fühlten sich unwohl, denn die Stimmungskanonen verwandelten binnen weniger Minuten den Airbus in eine grüne Partyhölle. „Wir bringen das Flugzeug zum Beben!“, wurde als Motto ausgegeben. Es war unheimlich laut und wild. Marek ging zum Cockpit und erbat Einlass: „Kann etwas passieren? Hält das Flugzeug das aus?“, fragte er die beiden Piloten. Diese ließen ihn wissen, dass auch die wildesten Rapidfans ein millionenteures Flugzeug durch Hüpfen und Singen nicht zum Absturz bringen konnten, insistierten aber, dass im Landeanflug alle wieder angeschnallt sitzen mussten.
In den Gangreihen bahnte sich derweilen die erste von unzähligen Polonaisen ihren Weg durch den Flieger: „Heap, heap, heap – Rapid in der Champions League!“, skandierten die Fans und klopften im Vorbeigehen auf die Gepäckfächer. Einer von ihnen „bediente“ sich an einem offenen Schrank im Flugbegleiterbereich und schlüpfte in das rote Gewand einer AUA-Stewardess. So verkleidet forderte er die schüchternen Anhänger auf, an der Party teilzunehmen. Reichlich „Erdäpfelpago“ vulgo Wodka machte wieder die Runde und ließ die letzten Hemmungen fallen. Die Stewardessen, die sich anfangs noch bemühten, die aufgedrehten Fußballfans zu beruhigen, gaben schließlich auf, ließen die (erfolgs)trunkenen Rapidler:innen gewähren und schauten nur, dass niemand belästigt wurde.
Kurz vor dem Landeanflug nach Wien forderte Marek selbst die Fans mehrfach auf sich nun wieder brav niederzusetzen. Letztendlich musste aber der Flugkapitän persönlich damit drohen über dem Neusiedlersee zu kreisen, wenn sich die Fans nicht auf ihre Plätze begeben sollten. Nachdem der letzte Widerstand gebrochen war, sollte dasselbe Spielchen wie nach dem Aufsteigen in die russischen Wolken beginnen: Alle warteten, bis das Flugzeug sicher in Schwechat aufgesetzt hatte, dann stimmte einer an „Steht auf, wenn ihr Grüne seid!“ und die Party ging weiter.
Als die Flugzeugtüre geöffnet wurde, verließen die Anhänger singend und tanzend die Maschine. Die Besatzung war heilfroh: Heute hatten sie all ihre Sünden gebüßt. Sie tauften das Flugzeug „Con Air“ und so mancher überlegte kurzfristig seinen Job zu quittieren. Rapid in der Champions League – für alle (sogar für Unbeteiligte) ein Erlebnis.
Marie Samstag
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