Eigentlich ist es eine Schande, dass Hermann Stessl noch nie Protagonist dieser Serie war, denn immerhin wurde der gebürtige Grazer anlässlich der 100-Jahr-Feier der Wiener Austria zum violetten Jahrhundert-Trainer gekürt. Stessl begann seine Spielerkarriere als Knirps beim Grazer AK, dessen Kampfmannschaft er anschließend zwölf Jahre lang die Treue hielt. Nach einem einjährigen Engagement beim FC Dornbirn erwarb er die UEFA-A-Lizenz und begann seine Laufbahn als Trainer, die ihn u.a. nach Griechenland, Portugal oder die Schweiz führen sollte. Dreimal wurde Stessl als Austria‑Trainer verpflichtet und holte mit den Veilchen insgesamt vier Meistertitel sowie je einmal Cup und Supercup. Er führte die Wiener außerdem ins Europapokalfinale 1978 und ein Jahr später ins Europapokalhalbfinale. Die Auszeichnung als FAK-Jahrhunderttrainer ist demnach mehr als verdient; dennoch scheint der ehemalige Mittelfeldspieler keine so populäre Fußballlegende wie z.B. Austrias (und Österreichs) Jahrhundertspieler Herbert Prohaska zu sein. Auf der Straße erkannt wird Stessl meist nur in Portugal, denn auch beim FC Porto sorgte er einst für glückliche Gesichter, als der Kultverein unter seiner Schirmherrschaft Vizemeister und Supercupsieger wurde. Später beehrte der Steirer auch Lokalrivale Boavista Porto und Vitória Guimarães.
Als Trainer und als Person zeichnete Stessl seine Unaufgeregtheit auf; er war die Antithese zu einem Jürgen „Ich mag, wenn es kracht“ Klopp, der damals freilich noch lang kein Fußballcoach war. Mit seinem Stil passte der Ex-GAK-Spieler gut zur Wiener Austria und ihren Diven; Stessl wusste kapriziöse Spieler richtig zu behandeln. Überliefert ist jene Geschichte aus den 90ern, als ein FAK-Training bei wunderschönem Wetter anstand und Stessl mit seinem Co-Trainer Ferry Janotka sowie zahlreichen Hürden und Hütchen den Trainingsplatz betrat. Zsak, Ogris und Co. schwante beim Anblick ihrer Chefs und deren Zubehör Böses. Rasch einigten sich die Kicker auf eine List: Lautstark verkündete man neben den beiden Trainern, dass bei strahlendem Sonnenschein und herrlichem Rasenzustand ein intensives Trainingsmatch die richtige Vorbereitung auf das nächste Spiel sei und die Laune in der Mannschaft in unerkannte Höhen schrauben konnte. Stessl spitzte seine Ohren und meinte schließlich zu Janotka, er solle doch die Hütchen und Hürden wieder in die Kabine tragen; das übliche Aufwärmprogramm und dann ein ausgiebiges Match sei genau, was die Mannschaft brauche.
Seine ruhige und unkomplizierte Art war Stessls Erfolgsgeheimnis. Er selbst blieb sogar gelassen, wenn ihm in Stresssituationen anstrengende Fragen gestellt wurden. So teilte er als Salzburg-Trainer einem ORF-Reporter äußerst höflich mit, es sei nichts Lustig daran, ihn danach zu fragen, wann seine „Schonzeit“ nach einer Sieglosserie vorbei sei. Hermann Stessl schien begriffen zu haben, dass Fußball auch nur ein Spiel war und er den Erfolg nicht erzwingen konnte.
Auf die Idee seiner Autorität durch Schreierei mehr Gewicht zu verleihen kam der Steirer jedenfalls nie. Ebenso wusste er das lange Kabinenpredigten sinnlos waren. Einmal ließ er sich überhaupt zu einer spartanischen Pre-Match-Wortspende hinreißen: Bei einem Auswärtsspiel in Linz teilte er der versammelten Mannschaft mit: „Burschen, der Platz draußen ist super, also flach spielen und hoch gewinnen! Ferry und ich gehen inzwischen auf einen Spritzer!“ Die Austrianer grinsten, gingen aufs Feld und spielten den LASK mit 4:0 schwindlig – das Vertrauen ihres Trainers in ihre Fähigkeiten hatte sie beflügelt.
Manchmal erreicht Stessls Gelassenheit solche Höhen, dass seine Coolness von einem anderen Planeten zu stammen schien: Als es in einem Cupmatch der späten 70er-Jahre in der 85. Minute noch 0:0 stand und ein Violetter eine Riesenchance versemmelt, war die gesamte Austria-Ersatzbank dem Herzinfarkt nahe. Nur Stessl, der Stoiker, schien mit seinen Gedanken ganz wo anders zu sein. Unmittelbar nach der Aktion beugte er sich zu seinem Co-Trainer Ferdinand Smetana und meinte: „Glaubst du es ist gescheiter, ich kauf‘ mir einen Handrasenmäher oder gleich einen Mini-Traktor?“ Smetana sah ihn ungläubig an und wunderte sich, wo sein Chef mit seinen Gedanken war.
Stessls Trainer-Engagements in Wien-Favoriten endeten zweimal mit Rauswurf. Einmal kündigte er selbst und beehrte in der Saison ‘86/87 den FC Zürich. Heute erscheint es mehr als grotesk einen Meistertrainer rauszuwerfen, die Austria pflegte ihre fragwürdige Tradition des „Trainer-wechsel-dich“-Spiels aber schon seit ewigen Zeiten: 1992/93 setzte man den heute 83-jährigen just nach einer Niederlage beim damaligen Tabellenletzten vor die Türe und einigte sich auf ein vorzeitiges Vertragsende mit Ablauf der Spielzeit. Für die FAK-Verantwortlichen waren damals alle Chancen auf den Teller dahin. Der Gekündigte sah das anders: Tatsächlich kämpfte sich seine Austria zurück, besiegte Tabellenführer Salzburg auswärts mit 3:1 und stand dank eines 4:0-Schützenfestes über Erzrivale Rapid am Ende der Spielzeit als Meister fest. Zwei Jahre später heuerte Stessl in Salzburg an, wo er nach der Saison 1995/96 seine Trainerkarriere beendete.
Hermann Stessl hat nie viel Aufsehen um seine Person gemacht, war nicht so extrovertiert wie Baric oder Krankl. Seine Erfolge sprechen allerdings für sich, die Seelenruhe, die wohl dazu beitrug, dass er diese erringen konnte, machte aus ihm – wie eben erzählte Anekdoten hoffentlich zeigen – bisweilen sogar einen „lustigen Hermann“ – nur etwas ruhiger als das gleichnamige Volkssänger-Original.
Marie Samstag, abseits.at
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