Als die Wiener Austria 2016 in der Europa League gegen die AS Roma im Stadio Olimpico spielte, fehlte ausgerechnet jener Spieler, der Vereinslegende beider... Anekdote zum Sonntag (232) – Rücktritt vom Rücktritt?

Als die Wiener Austria 2016 in der Europa League gegen die AS Roma im Stadio Olimpico spielte, fehlte ausgerechnet jener Spieler, der Vereinslegende beider Klubs ist: Herbert Prohaska musste von einer Teilnahme wegen einer langgeplanten New York-Reise absehen. Dabei schien das Spiel für „Schneckerl“ wie gemacht, holte er doch 1983 mit den Gelb-Roten den langersehnten scudetto; als Austrianer stemmte der gebürtige Simmeringer sieben Mal den österreichischen Meisterteller in die Luft und heimste vier nationale Cupsiege ein. Prohaska ist wohl der einzige große Kicker, der die Klubs miteinander verbindet.

Zwar verbrachte „Herberto“ nur eine Spielzeit in der „ewigen Stadt“, den Legendenstatus erarbeitete er sich aber, weil er zu jener Meistermannschaft gehörte, die den Roma-Tifosi nach 41 Jahren endlich wieder den Titel schenkte. Bis heute erinnert sich der Mittelfeldspieler an jenen Moment, als er nach der Meisterfeier in den frühen Morgenstunden todmüde mit seiner Frau ein Taxi bestieg, die Fans um ihn herum jedoch mit unerschöpflicher Energie einfach weiterfeierten. Prohaska hatte sich genau in dieses überschwängliche Lebensgefühl verschaut. Damals plante er seine Zelte für längere Zeit in Rom aufzuschlagen: Nach Ende seiner Spielerkarriere, wollte er als Jugendtrainer den Giallorossi treu bleiben. Erste Wohnungen bzw. Häuser, die zum Kauf angeboten wurden, waren besichtigt worden, seine beiden Töchter hatte er in der deutschsprachigen Schule angemeldet. Doch ausgerechnet sein Freund und Teamkamerad Falcao sorgte dafür, dass sich dieser Plan in Luft auflöste: Der Brasilianer drohte die AS Roma zu verlassen und flog zurück in die Heimat. Roma verpflichtete daraufhin einen Ersatzmann. Als Falcao – der eigentlich nur um einen besseren Vertrag gepokert hatte – dies mitbekam, kehrte er reumütig nach Italien zurück. Im Kader standen nun mit drei Ausländer mehr als in der Serie A erlaubt waren. Schweren Herzens musste Prohaska, jener Mann mit der kürzesten Vertragslaufzeit, seine Koffer packen – kein Abschied in Würde für einen verdienten Kicker. Prohaska spielte daraufhin noch sechs Jahre bei seiner Wiener Austria, ehe er die Fußballschuhe an den Nagel hängte.

Am 23. Mai 1991 feierte die Nummer 8 allerdings für 90 Minuten eine bombastische Rückkehr in der „ewigen Stadt“: 80.000 Zuschauer:innen verfolgten ein Spiel des Roma-Meisterteams von 1982/83 gegen eine Südamerika-Auswahl. Der Anlass war der Rücktritt der gelbroten Vereinslegende Bruno Conti. Für Prohaska ein großartiges Gefühl. An diesem warmen Nachmittag kamen unzählige Erinnerungen und Emotionen in ihm hoch. Der Applaus der Fans, die den Österreicher nicht vergessen hatte, war Balsam auf seine Seele und schien sein Spiel zu beflügeln. Rund zwei Jahre nach seinem Rücktritt hatte er wenig von seinem Spielwitz eingebüßt: Prohaska zauberte und spielte Pässe wie zu seiner Glanzzeit. Nicht nur deshalb feierten ihn die Roma-Fans ausgiebig.

Die Performance des Mittelfeldspielers sorgte auch auf der Ehrentribüne für Gesprächsstoff: Corrado Ferlaino, Präsident des SSC Napoli, war aus Süditalien angereist und nun ob der Leistung des österreichischen Jahrhundertfußballers hingerissen. Später – beim Ehrenbankett – wurde Ferlaino bei „Schneckerl“ persönlich vorstellig. Der Bauunternehmer, Eigentümer und Präsident des SSC Napoli war gerade auf der Suche nach einem Nachfolger für einen gewissen Diego Maradona und etwas geknickt: Mit dem argentinischen Superstar hatte er – quasi aus dem Nichts – zwei Serie A-Titel, einmal die Coppa Italia und den Uefa-Cup gewonnen, nun war Maradona aber wegen einer positiven Kokainprobe gesperrt und versteckte sich in seiner südamerikanischen Heimat. Ferlaino brauchte einen neuen Superstar und dachte damals ihn gefunden zu haben: Er gratulierte dem Ex-Roma-Profi Prohaska zunächst zu seinem tollen Spiel und fiel dann gleich mit der Tür ins Haus: „Herberto, bitte spiel für Napoli! Ich brauche einen Routinier, der meine junge Truppe führt.“ Prohaska dachte zunächst an einen Scherz und musste laut lachen. Der Napoli-Boss machte daraufhin einen verwunderten Gesichtsausdruck und fragte, was denn an dieser Bitte so witzig sei. Da begriff Prohaska, dass die Anfrage des Klubpräsidenten wohl tatsächlich ernst gemeint war. Nun riss sich der Fußballpensionist zusammen und erklärte Corrado Ferlaino, dass er seine Karriere schon vor zwei Jahren beendet hatte. Seine marode Achillessehne hatte ihm die Abschiedssaison zur Hölle gemacht; an einen Rücktritt vom Rücktritt war nicht zu denken. Prohaska erzählte mit Grauen, wie er seine Schwachstelle vor jedem Training ausgiebig vom Masseur bearbeiten hatte lassen und auch nach jeder Einheit mit schmerzverzerrtem Gesicht zurück auf die Massagebank gehumpelt war. „Meine Karriere ist einfach vorbei.“, seufzte er. Ferlaino nahm das nickend zur Kenntnis. Nach dem Jahrhundert-Coup mit Maradona waren seine Versuche den einstigen Mittelfeldregisseur zum Pensionsausstieg zu überreden zum Scheitern verurteilt.

Damals wusste der Napoli-Boss noch nicht, dass auch seine Bemühungen die Azzurri mit einem neuen Leader als Topklub zu etablieren vergeblich sein würden. Die große Zeit von Napoli war damals schon passé. 2002 kappte Ferlaino endgültig alle Verbindungen zum Verein. Der heute 93-jährige, der sich mehrfach u.a. wegen Steuerhinterziehung oder Betrügerei vor Gericht verantworten musste, hat sich nunmehr ganz aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Maradona starb 2020 und Herbert Prohaska – die lebende Austria- und Roma-Legende – ist mittlerweile schon länger TV-Experte als seine gesamte Profikarriere gedauert hat. Wie die Zeit vergeht…

Marie Samstag, abseits.at

Stefan Karger