Anekdote zum Sonntag (238) – Daum steht im Weg
Sonstiges 1.September.2024 Marie Samstag
Österreichische Trainer haben in den großen Fußballligen zurzeit Konjunktur: Oliver Glasner führte Frankfurt zum EL-Sieg, ehe er Crystal Palace neues Leben einhauchte, Austria‑Urgestein Ralph Hasenhüttl trat vor einem halben Jahr Niko Kovač Nachfolge bei Wolfsburg an, Adi Hütter spielte in der abgelaufenen Saison mit Monaco lange um die französische Meisterschaft mit. Dagegen konnte man früher die rot-weiß-rote Übungsleiter bei ausländischen Topvereinen mit der Lupe suchen und auch umgekehrt führte der Weg der viel gepriesenen „Fachkräfte aus dem Ausland“ nur dann in die Alpenrepublik um – wie es Peter Pacult anlässlich der ÖFB‑Teamchefsuche prä-Koller sagte – „Urlaub zu machen“. Zwar hat sich die Bedeutung der heimischen Liga mittlerweile gesteigert, jedoch zieht der österreichische Fußball bis heute noch immer vermehrt Trainer an, die sich erst einen Namen machen müssen – wie z.B. WM-Rekordtorschütze Miroslav Klose – oder die, die denselben wieder aufzupolieren versuchen – wie Ex-WAC-Übungsleiter Robin Dutt.
Im Oktober 2002 entließ Austria-Mäzen Frank Stronach völlig überraschend Trainer Walter „Schoko“ Schachner, obwohl dieser mit den Veilchen an der Tabellenspitze stand und gerade in die nächste Europacuprunde aufgestiegen war. Doch Stronach (oder die FAK-Klubführung) ersetzte die violette Legende aus der Steiermark durch Christoph Daum, dessen vielversprechende Karriere knapp vor dem Ziel Bundestrainer von einer Kokain-Affäre unterbrochen wurde und der nun neu durchzustarten versuchte. Daum kam gemeinsam mit seinem Tormanntrainer Eike Immel von Beşiktaş Istanbul nach Wien und sprach anlässlich seines Engagements die prophetischen Worte: „Das ist sicher nicht als normal im Fußball zu bezeichnen. Das müssen wir alle erstmal verarbeiten – die Spieler, die Trainer, die Verantwortlichen.“
Als „normal“ sollte Daum die heimische Liga jedoch nie empfinden. Im Gegensatz zur deutschen Bundesliga ging es in Österreich halt eine Nummer kleiner zu, wie der Erfolgstrainer anlässlich eines Auswärtsspiels in Ried bemerken sollte: Als Daum den Rieder Rasen betrat, musste er zu seinem Erstaunen feststellen, dass es dort keine fixe Trainerbank gab, sondern nur aufklappbare Heurigenbänke am Spielfeldrand standen. Der gebürtige Sachse, der vor seiner Austria-Verpflichtung auch als Sturm-Trainer gehandelt wurde, beschloss stehen zu bleiben, damit seine Ersatzspieler vollzählig sitzen konnten und platzierte sich nur wenige Zentimeter neben diese. Das Match war erst einige Minuten alt, da spürte Daum plötzlich einen energischen Druck im Rücken. Er drehte sich um. Ein älterer Herr blickte ihn entschlossen an. Er hatte Daum mit seiner Krücke in den Rücken gestoßen und meinte nun: „Junger Mann, ich sitze schon seit dreißig Jahren hier, wenn Sie aber direkt vor mir stehen, sehe ich leider nix.“ Dass es sich bei dem vor ihm stehenden Herrn mit Schnauzbart um den gegnerischen Trainer handelte, der hier seiner Arbeit nachging, schien dem Pensionisten egal zu sein. Doch Daum blieb entspannt. In Österreich ticken die Uhren einfach anders, wurde ihm bewusst. Der FAK-Trainer schmunzelte und rückte zur Seite. Glücklicherweise verstellte er dort keinem anderen Anwesenden den Blick aufs Spielfeld.
Am Ende dieser Saison holte der deutsche Meistertrainer von 1992 mit Michi Wagner, Thomas Flögel und Co. den Teller. Im Cupfinale 2002/03 schlugen die Veilchen dann durch Tore von Janočko und Rushfeldt den FC Kärnten und machten das Double – vor 6.500 Zuschauer:innen – perfekt. Doch Christoph Daum verabschiedete sich nach diesem Spiel aus Wien. Als Grund nannte er die „Begrenztheit und Besonderheiten“ des österreichischen Fußballes. So lustig die Zwischenfälle in der heimischen Liga mitunter waren, irgendwie war die rot-weiß-rote Sportwelt nicht Daums fußballerische Kragenweite.
Marie Samstag, abseits.at
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