Anekdote zum Sonntag (240) – Ein Strike zum Einstand
Sonstiges 15.September.2024 Marie Samstag
Die Tendenz des SK Rapid ab den 80ern vermehrt Spieler aus Osteuropäer zu verpflichten, brachte den Hütteldorfern – insbesondere bei manchen Fans ihres Stadtrivalen – die Schmähbezeichnung „FC Jugo“ ein. Gewisse Teile der grün-weißen Anhängerschaft quittierten dies mit geschmacklosen Verweisen auf die jüdische Identität der Austria, die vor dem Hintergrund des Holocausts an Widerlichkeit nicht zu überbieten ist. Man/frau kann heute nur hoffen, dass nach dem Aussterben des kollektiven Fan-Rassismus bzw. -Antisemitismus irgendwann auch homophobe Schlachtgesänge auf Österreichs Tribünen Tabu sein werden.
Ein Jugoslawe, der bereits 1963 vom österreichischen Rekordmeister umworben wurde, war der Stürmer Aleksandar Ivoš. Ivoš, der 1931 im heutigen Serbien geboren wurde, wechselte auch tatsächlich nach Wien, unterschrieb jedoch nicht bei Rapid, sondern beim 1. SC Simmering. Der Angreifer machte aus den Gründen für diesen Transfer keinen Hehl: „Mein Motiv war finanziell. Wenn man bei einem kleinen Verein im Ausland spielt, möchte man viel Geld verdienen.“ Ivoš hatte zuvor in der ersten und zweiten Liga seiner Heimat gekickt und avancierte nun zum Top-Verdiener des Traditionsvereins aus dem elften Wiener Gemeindebezirk. Simmering spielte damals in der höchsten Spielklasse und war – nicht nur aufgrund des Qualtinger-Zitats „Simmering – Kapfenberg, das nenn‘ ich Brutalität.“ – ein Kultklub. Fans und Kollegen mochte den 1,70 Meter großen Angreifer, der auf dem Feld stets alles gab. Für Peter Pumm, Gustl Starek und Co. war es kein Problem, dass Ivoš als Legionär mehr kassierte als sie; sie bemühten sich ihn zu integrieren.
Einmal ging die gesamte Simmeringer-Mannschaft in den Prater, wo es eine brandneue Bowlinghalle gab. „Xandi“ – wie man Ivoš im Team nannte – behauptete auf Nachfrage, er habe auch schon in seiner Heimat die mit dem Kegeln verwandte amerikanische Sportart ausprobiert. In Wahrheit war dem Kicker die Kugelschieberei jedoch völlig unbekannt. Als er an der Reihe war nahm Aleksander also mit mulmigem Gefühl den Ball auf. Kurz stutzte er, als er die zwei Löcher für seine Finger entdeckte. „Hoffentlich kappe ich mir die Finger nicht ab.“, dachte er und schob vorsichtig Daumen sowie Mittel- und Ringfinger in die Öffnung. Als er nichts Scharfes ertastete, fühlte er Erleichterung und packte ordentlich zu. Nun versuchte es „Xandi“ seinen Kollegen gleich zu tun: Er trat nach vorne und warf die Kugel mit Schwung die Bahn hinunter. Und tatsächlich: Wie durch ein Wunder erledigte der Neo-Bowler alle zehn Pins auf einmal – Strike! Seine Teamkollegen jubelten! Ivoš Herz machte einen Hüpfer; doch schnell wurde ihm bewusst, dass er trotz dieses Erfolges seine Tarnung aufrechterhalten musste: Ihm war klar, dass er diesen „Tausend-Gulden-Wurf“ nicht nochmals hinbekommen würde. Spätestens beim nächsten Versuch wäre seinen Mitspielern angesichts seiner wenig erprobten Technik klar, dass er vom Bowlen keine Ahnung hatte. Also griff sich Ivoš mit schmerzverzerrtem Gesicht an die Schulter. Simmering‑Trainer Horejs erkundigte sich, ob alles in Ordnung sei; darauf meinte „Xandi“: „Ja, Trainer. Aber wissen Sie, ich hatte einmal eine Schulterverletzung. Vielleicht wäre es gut, wenn ich nicht kegeln würde.“ Horejs nickte verständnisvoll. Aleksandar Ivoš setzte sich mit klopfendem Herzen zu seinen Kollegen, die ihn zu seinem Volltreffer beglückwünschten. Noch lange Zeit erzählten sich die Simmeringer-Kicker, dass ihr „Xandi“ bei seinem Einstand einen glatten Strike erzielt hatte. Ivoš klärte sie über die kuriosen Umstände nie auf.
Als Simmering am Ende der Saison 1963/64 absteigen musste, zog Aleksandar Ivoš weiter nach Belgien, wo er bei Beringen kickte. Dort beendete er nach drei Saisonen seine aktive Karriere und kehrte in seine Heimat zurück. Bis zu seinem Pensionsantritt lebte er in Novi Sad und arbeitete als Fußballfunktionär. Der dreifache jugoslawischen Nationalspieler starb am 24. Dezember 2020 im Alter von 89 Jahren. Über seine kurze Spielerkarriere in Wien sagte er einmal knapp: „Ich verbrachte ein wunderschönes Jahr in Österreich.“ Zu diesem schönen Jahr gehörte wahrscheinlich auch die Erinnerung an jenen „lucky strike“, der er beim ersten Bowlingspiel seines Lebens erzielt hatte. Ein Volltreffer!
Marie Samstag, abseits.at
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