Sein Markenzeichen und der daraus abgeleitet Spitzname waren ihm lange Zeit unangenehm, denn als junger Mann träumte er von langen Federn, die bis zu den Schultern reichen sollten. Alles Träumen half nichts: Schneckerln bleiben nun mal Schneckerln und so blieb auch der Schneckerl der Schneckerl. Nach einer Kinovorstellung von Woodstock – The Movie war der junge Herbert Prohaska jedoch ein bisschen versöhnt. Jemand aus seinem Simmeringer Freundeskreis kam auf die Idee die Haarpracht des Nachwuchskickers mit jener des Gitarrengottes Jimi Hendrix zu vergleichen. So wurde Schneckerl oder Berti – wie damals die meisten sagten – zum weißen Hendrix aus der Hasenleiten. Einzig mit dem Gitarrespielen hatte er nicht viel am Hut. Die Zeiten, als Prohaska sich brutalen Haarglättungsmethoden unterzogen hatte, waren somit vorbei. Mit Schaudern erinnerte er sich an jenen Tag zurück, als ihm der Stammfigaro eine zu aggressive Tinktur in die Mähne massiert hatte: Blutüberströmt und mit Tränen in den Augen war der Wiener damals im Frisierstuhl gesessen.
Rock’n’roll, Hippie-Attitude, Zottelhaar, psychedelische Sinneserweiterungen, Hare Krishna, Hermann Hesse, Flower Power zogen von den USA aus um die Jugendlichen der zivilisierten Welt zu erobern. Prohaska, dessen Leben von Kindesbeinen an dem Fußball verschrieben war, war – wie viele – hauptsächlich von der Musik angezogen: The Who, Janis Joplin, Deep Purple, Led Zeppelin und sein Haar-Double Jimi Hendrix hatten es ihm angetan. Jugendfreund Sepperl hatte die Idee: „Wir gründen eine Band!“. Sepperl persönlich übernahm die Rhythmus-Gitarre, ein gewisser Willi – nur 150 cm groß, dafür aber mit hüftlangem Haupthaar gesegnet – sang, Schneckerl bekam den Bass zugesprochen. Im erweiterten Freundeskreis fanden sich auch bald Lead-Gitarrist und Schlagzeuger. Der spätere Profi-Fußballer hatte vom Musizieren natürlich nicht den Hauch einer Ahnung, wurde aber von seinen Mitstreitern beruhigt: „Das ist kinderleicht.“ Vater Alfred zeigte sich großzügig: Der Hilfsarbeiter leaste seinem Buben eine Bassgitarre und stotterte monatlich den stattlichen Betrag von 150 Schilling dafür ab. Der 15-jährige Herbert stand an einer Kreuzung in seinem Leben: Sein ganzes bisheriges Leben hatte dem Fußball gehört, überall war ihm großes Talent attestiert worden. Jetzt hatte er aber nur eine Leidenschaft: Rockmusik. Zwar spürte er deutlich, dass er begabtere Füße als Hände hatte, das war jedoch in der Stromgitarrenatmosphäre nicht wirklich wichtig. Eine Zeit lang ließ Prohaska also das Training bei Ostbahn XI schleifen.
Die noch unbenannte Combo traf sich zum Zupfen und Klimpern im Beserlpark und später im Pfarrkeller von Kaiserebersdorf. Der Bassist musste allerdings bald merken, dass sein Talent weit hinter jenem seiner begabteren Mitmusiker lag: Mühevoll reihte er auswendiggelernte Griffe mehr oder weniger treffsicher aneinander. Da kam es schon einmal zu einem heftigen Wickel zwischen Herbert und dem Sologitarristen oder dem taktgebenden Schlagzeuger. Trotzdem stellte die Band einen Gig auf die Beine: Im Festsaal der Simmeringer Heim-Schule sollte es zum ersten Auftritt kommen. Zuvor stimmten die Mitglieder über einen Bandnamen ab: Die Wahl fiel auf Electric Army. Für 20 Schilling Eintritt lauschte man selten harmonischen Eigenkompositionen der Burschen sowie –naturgemäß- originellen Coverversionen der aktuellsten Hits. Der Auftritt geriet zum vollen Erfolg, tatsächlich war bald eine rauschende Party im Gang und Prohaska und Co. wurde ganz warm ums Herz, als sie merkten, dass ihre Musik ankam.
Für den mäßig begabten Bassisten war die Premiere jedoch gleichzeitig die Abschiedsvorstellung als Musiker: Sein Verstärker war nur geliehen gewesen und musste zurückgegeben werden. Ein Ersatz war aufgrund der Geldknappheit nicht zu beschaffen. Prohaska stand mit Elektrobass aber ohne Verstärker da und musste schließlich seine Musikkarriere beenden. Die Electric Army war nicht unglücklich, dass ihnen ihr lausiger Bassgitarrist abhandengekommen war: Als sie Ersatz für ihn gefunden hatten, wurde sogar eine Plattenaufnahme in Angriff genommen. Die weitere Musikkarriere verlief jedoch im Sande. Der unglückliche Prohaska besann sich auf sein anderes Hobby: Nachdem er den Beweis hatte, dass es geeignetere Zupfer gab als ihn, setzte sein Stammklub alles daran den Berti aus der Hasenleiten zurück aufs Feld zu holen. Prohaska zögerte, kehrte aber schließlich doch zurück und fühlte sich bald wie der Fisch im Wasser. Der weiße Jimi Hendrix besann sich wieder aufs Kicken: Die Fußball- und die Musikwelt dankt es ihm bis heute.
Marie Samstag, abseits.at
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