Anekdote zum Sonntag (64) – Schaum vorm Mund
Sonstiges 19.Februar.2017 Marie Samstag 0
Als die Austria von der Magna-Familie zwangsadoptiert wurde, Herr Mateschitz sich Salzburg einverleibte und Rapid Wien gerade den (bisher) vorletzten Meistertitel der Klubgeschichte geholt hatte, ja, in diesem Zeitkonstrukt, stand das 274. Wiener Derby auf der Programm. Die Sommerpause war vorbei, die Rapidler hatten den Meistersekt längst biomechanisch zu Wasser werden lassen und die Saison 2005/2006 war erst wenige Partien alt.
Seit 2001 hatten die Hütteldorfer keinen vollen Erfolg mehr gegen den Stadtrivalen erreicht. Selbst im Meisterjahr verlor man das Cupfinale ebenso wie das letzte Frühjahrsderby. Steffen Hofmann erinnert sich an jenen 26. Mai 2005: „Da denke ich gar nicht an den Titel, wenn ich mich daran erinnere. Da weiß ich nur mehr, dass es total still am Platz war.“ Was war passiert? In der 36. Minute erzielte Sigurd Rushfeldt mit einem Volley-Schuss das einzige Tor des Spiels. Hofmann selbst traf nach der Pause per Freistoß nur die Latte. Zehn Minuten vor Ende lieferte sich SCR-Stürmer Lawaree ein Laufduell mit Papac. Der Belgier verschaffte sich durch einen Stoß gegen die Nummer 5 der Austria einen unfairen Vorteil, der auch postwendend durch einen Pfiff sanktioniert wurde, die Spielsituation lief jedoch weiter. Der Angreifer hechtete dem Ball nach, als der herausspringende Didulica ihn mit dem Knie brutal niederstreckte.
Der Stürmer ging sofort zu Boden und rührte sich nicht mehr. Die Aktion des australischen Schlussmannes sah nicht nur im Fernsehen brutal aus „Wir san jo net im Kindergarten“, empörte sich dennoch ein FAK-Betreuer. Der Austria-Tormann war zwar in Richtung Ball gesprungen, ein Zusammenstoß mit dem blonden Rapidler war jedoch vorhersehbar. Der Stürmer war schwer gezeichnet: Das rechte Auge schwoll sofort zu und sein Nasenbeinbruch war mit freiem Auge zu erkennen. Die Meisterparty der Rapidler wurde so nicht nur durch die 0:1-Niederlage verdorben. „Ein bitterer Beigeschmack.“, sagte Didulicas Gegenüber, Rapid-Goalie Payer. Tatsächlich merkte man bei der Tellerübergabe aber nichts mehr von dem Zwischenfall. Die Rapid-Fans bedachten Austria-Mäzen und Bundesligapräsident Stronach mit einem lauten Pfeifkonzert, danach reckte Hofmann die begehrte Scheibe in den Himmel. Mitten in den Feierlichkeiten vibrierte das Handy des Kapitäns: „Ich spiele im Cupfinale mit einer Gesichtsmaske!“ Absender: Axel Lawaree. Wenige Tage später trafen Rapid und die Austria im Cupfinale also erneut aufeinander und die Grün-Weißen hatten die Chance auf Rache sowie auf das erste Double seit ewigen Zeiten. Der Maskenmann wurde tatsächlich in der 70. Minute eingewechselt, doch auch er konnte die 1:3-Niederlage nicht verhindern: Die Austria feierte innerhalb weniger Tage den zweiten Derbysieg und holte sich den Pokal.
Nun gehörten beide Titel schon wieder der Vergangenheit an und die Präsidenten der rivalisierenden Vereine wollten das 274. Derby mit einer Wette zu beginnen: Wer verliert, der zapft! Rudi Edlinger bekam den Vorschlag von einer Journalistin unterbreitet: Der siegreiche Klubchef müsse dem anderen ein Bier zapfen. Edlinger handelte zusätzlich aus, dass im Falle eines Rémis die forsche Reporterin beiden Herren ein kühles Blondes einschenken müsse. Sie willigte ein. Zum Schluss hatte jedoch der Ex-Finanzminister das bessere Ende für sich: Rapid siegte mit 3:1 und beerdigte den 17 Spiele andauernden Derbyfluch. Helge Payer frohlockte ironisch: „Juhu, schade dass ich jetzt den Blödsinn vom Fluch nicht mehr lesen darf.“ Trainer Hickersberger gab etwas zu Protokoll, das jedem Statistiker die Nackenhaare zu Berge stehen lässt: „Wenn im Casino 17x schwarz kommt, ist es ratsam beim nächsten Mal das gesamte Vermögen auf Rot zu setzen.“ Ähm, lieber nicht. Das Spiel selbst lief in umgekehrten Rollen so ähnlich wie im Juni ab: Nach fünf Minuten führte die Austria, dann jedoch erzielte Hlinka den Ausgleich. Valachovic nahm Hofmann beim Elfer den Ball einfach ab und brachte Rapid in Führung. Der Kapitän bekam jedoch auch noch sein Tor und setzte in der 89. Minute den Schlusspunkt zum 3:1.
Stronach war verärgert. „Nur ein Stürmer?!“, hinterfragte er Peter Stögers – Kollege Schinkels war erkrankt – Aufstellung vor den ORF-Mikrofonen. Es half nichts. Der Milliardär musste seine Ehrenschulden begleichen. Unter den schadenfrohen Blicken zahlreicher Grün-Weißer versuchte sich der Austro-Kanadier in der VIP-Area als Braumeister. Er schaffte es den Becher zu füllen und stellte ihn seinem Kollegen hin. Edlinger genehmigte sich einen Schluck. Pfui! „Es war nur Schaum drin.“, stellte er später (er)nüchtern(d) fest. So kam es, dass beide Präsidenten am Ende des Tages Schaum vorm Mund hatten: Der eine aus Zorn über die bittere Niederlage, der andere in Form von verdichteten Bierbestandteilen. Wie immer hatte der Unternehmer aber das letzte Wort. Er orakelte: „Bei der Austria darf man verlieren, sofern man Meister wird.“ Wie recht er damit hatte, konnte er damals noch nicht erahnen.
Marie Samstag, abseits.at
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