Anekdote zum Sonntag (73) – Der Puppenspieler
Sonstiges 23.April.2017 Marie Samstag 0
Peter Pacult hat einst über Rituale gesagt: „An und für sich gibt es bei mir eine gewisse Reihenfolge des Anziehens. Aber das ist schon so durcheinander, dass ich nicht mehr weiß, was mir am Meisten Glück gebracht hat.“ Die meisten Fußballer haben ihre Ticks: Rechter Schienbeinschoner vor dem linken, beten, bekreuzigen, als Letzter auf den Platz gehen und so weiter. Der damalige U-21-Trainer Paul Gludowatz ließ seine Trainingshose vor jedem Österreich-Match bei der WM in Kanada in Dreck wälzen. Rapid-Stürmer Christian Stumpf pflegte vor wichtigen Partien heimlich am Klo zu rauchen. George Best fand gar Zeit für ein Schäferstündchen mit seinem jeweiligen Glücksbringer. Dass der Aberglaube mitunter bizarre Ausmaße annehmen kann, konnte man besonders in den 80ern und 90ern beobachten, als erwachsene Profisportler totunglücklich waren, wenn das Maskottchen nicht am richtigen Ort lag. Die Torräume mutierten damals zum Friedhof der Kuscheltiere. Seinen Ursprung nahm das Phänomen aber nicht in der neueren Vergangenheit, sondern bereits während der Expansionswelle des kontinentaleuropäischen Fußballes.
In der Saison 1926/1927 stand ein junger Mann namens Heinrich Lebensaft (auch Saft genannt) für die Wiener Austria zwischen den Pfosten. Lebensaft hatte seine Karriere beim SpC Rudolfshügel begonnen und war 1925 zu den Amateuren gewechselt, die sich kurz darauf in Austria umbenannten und Meister wurden. Seine Leistung gegen die Hakoah hatte die Amateure auf den damals 19-jährigen Wiener aufmerksam werden lassen. „Das Meisterstück Safts war die Abwehr des von Wagner geschossenen Elfmeterballes.“, urteilte das Wiener Sporttagblatt unter der Zwischenüberschrift: „Ein Künstler in seinem Fach“. Der junge Tormann war jedoch sehr abergläubisch und suchte nach einem Maskottchen um sich am Platz wohler zu fühlen. Als er einem Eishockeymatch des österreichischen Nationalteams beiwohnte, kam er auf eine Idee: Der Torhüter der Österreicher, ein Mann namens Weiß, nahm bei einem Europameisterschaftsspiel einen Stoffkater mit aufs Eis, den er auf sein kleines Tor platzierte. Nach jeder Parade streichelte Weiß zum Gaudium des Publikums das Stofftier, das er „Felix“ getauft hatte. Lebenssaft beschloss es ihm nachzumachen: Vor dem ersten Cupmatch der Saison 1926/1927 erschien er mit einer kleinen Puppe, die er in ein violettes Trikot gekleidet hatte, auf dem Spielfeld. Er legte das Pupperl in die linke Torecke und es brachte ihm – seiner Meinung nach – tatsächlich Glück: Die Austria stieg problemlos Runde für Runde auf und konnte im Achtelfinale die Polizei-Sportvereinigung mit 7:4 schlagen. Das Match war so einseitig, dass die Zeitung fast ausschließlich über Safts eigenwilligen Glücksbringer berichtete. Im Endspiel am 28. Mai 1927 wartete der Stadtrivale Rapid auf der Hohen Warte. Lebenssaft platzierte sein Pupperl wie immer im Torraum und atmete tief durch. Doch die Glückssträhne sollte reißen. Bereits in Minute 8 gingen die Hütteldorfer durch Weselik in Führung. Luef und Kirbes machten noch in der zweiten Hälfte alles klar, danach verwalteten die Wiener ihren Vorsprung. Austrias Wiese verschoss kurz nach der Pause einen Elfer und die Violetten schlichen nach Abpfiff mit hängenden Köpfen vom Feld. Damit war die Sache mit den hexerischen Fähigkeiten der Puppe für Lebenssaft erledigt. Sie tauchte nie wieder auf.
Marie Samstag, abseits.at
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