Schon als Zweijähriger übte Herbert Prohaska als gschneckelter Stöpsel in der Simmeringer Arbeitersiedlung Hasenleiten mit dem Ball. Diejenigen, die ihm bei den ersten Versuchen zusahen, konnten es nicht glauben, dass ein kleines Kind ein derartiges Ballgefühl besitzen konnte. Papa Prohaska ließ es sich nicht nehmen seinem Junior auf der Wiese neben der Stiege Nr. 9 die Grundtechniken beizubringen. Erst wenn Klein-Herbert so müde war, dass ihm fast die Augen zufielen, kehrten die beiden in die Zimmer-Kuchl-Wohnung im Parterre zurück. Dabei war es nicht selbstverständlich, dass sich Alfred Prohaska nach Feierabend noch so viel Zeit für seinen Sohn nahm. Den ganzen Tag lang schleppte er als Hilfsarbeiter schweres Metallgerät von A nach B, seine Frau arbeitete als Bedienerin. Der pensionierte Großvater umsorgte Berti, wie er damals gerufen wurde, wenn dieser von der Schule nachhause kam. Das karge Abendessen gönnte sich der Vater erst, wenn der kleine Berti seine Abendtoilette erledigte.
Als Volksschüler spielte Schneckerl alleine im nahen Käfig gegen ältere Buben. Zuhause quengelte er herum, dass er sich endlich in einem richtigen Verein einschreiben wollte. Vater Alfred nahm ihn mit zu Vorwärts XI, wo er sich selbst als Jugendtrainer versuchte. Der kleine Herbert war nicht der Einzige, der sich nach richtigen Meisterschaftsspielen auf dem Rasen sehnte. Zahlreiche Kinder aus der Simmering heuerten in dieser Zeit bei Vorwärts an. Für diese mussten erst Schuhe besorgt werden. Die ersten Trainingseinheiten trug Prohaska deshalb uralte Lederschuhe in Größe 41. „I hob die Schuach net dazaht!“, erinnert sich der österreichische Jahrhundertfußballer.
Es handelte sich um genagelte Schuhe mit Stahlkappeneinsatz: Herbert schoss nur mit dem Spitz. Doch das Schuhproblem sollte nicht das einzige Hindernis auf Prohaskas Weg zum Klubfußball bleiben: Erst ab dem 10. Geburtstag durfte man in der jüngsten Mannschaft kicken. Vorwärts XI beruhigte den verzweifelten Schneckerl jedoch: „Das erste Jahr spielst einfach auf einen falschen Pass.“ Sämtliche Pässe wurden durchgeblättert: Bei einem gewissen Mikolasch blieb man hängen. Der Spieler trug auf dem Passfoto eine Matrosenkappe. Gut so, denn Prohaskas Lockenpracht hatte ihn längst bekannt gemacht. Herbert lernte die Adresse des Burschen auswendig und ließ sich für die erste Partie Mikolasch‘ Pass aushändigen. Als bei der Kontrolle „Mikolasch“ gerufen wurde, meldete sich Prohaska erwartungsvoll. Doch damit hatte er nicht gerechnet: Dank seiner Zaubereien im Käfig war er längst weltberühmt in Simmering.
Der Gegner und seine Betreuer protestierten aufs Energischste: „Na, nix, du bist der G’schneckerlte aus der Hasenleiten!“ So kam es, dass Herberts Debüt für Vorwärts XI verschoben wurde. Er lag mit seinem Trikot bekleidet hinter dem Tor und verfolgte das Match. Kurze Zeit später wechselte der mittlerweile Zehnjährige zu Ostbahn XI, die zu seinem eigentlichen Jugendverein avancierten. Was aus dem „Matrosen“ Mikolasch geworden ist, ist nicht bekannt.
Marie Samstag, abseits.at
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Marie Samstag
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