Es gibt Dinge, die kann und will man sich nicht vorstellen. Man wäre sonst nicht mehr fähig normal weiter zu leben. Aber was heißt... Mehr als ein Herz erfassen kann, was man nie vergessen kann –  Das Leben des Norbert Lopper

Riesenrad Austria Wien_abseits.atEs gibt Dinge, die kann und will man sich nicht vorstellen. Man wäre sonst nicht mehr fähig normal weiter zu leben. Aber was heißt schon „normal“. Das ist der springende Punkt, denn, wenn man Norbert Lopper noch fragen könnte, wie er das Grauen seiner KZ-Gefangenschaft ertragen hat, hofft man jene beruhigende Antwort zu hören: Man gewöhnt sich selbst an so eine Situation irgendwie. Irgendwie wird auch Auschwitz zum Alltag. Doch man kann Norbert Lopper nicht mehr fragen. Der legendäre Klubsekretär der Wiener Austria ist im April 2015 im 96. Lebensjahr verstorben. Heuer ist es genau 60 Jahren her, dass der Wiener im Austria-Sekretariat zu arbeiten anfing und mit viel Elan und Tatkraft zu den Erfolgen der Veilchen beitrug. Die Leidenschaft für violetten Fußball teilte er mit seiner dritten Ehefrau und Sohn Pierre, der einst Peter hieß. Begonnen hat es mit dem ersten Fanklub, dem Anhängerklub der Austria, den Lopper drei Jahre vor seiner hauptberuflichen Tätigkeit für die Wiener gründete. Er wollte so die Leidenschaft vieler betuchter Fans kanalisieren: Mitglieder wie der Filmproduzent Franz Marischka, der Schauspieler Attila Hörbiger und der Autor Friedrich Torberg beglückten ihre Austria mit gut gemeinten Ratschlägen und vor allem Spenden.

Der erste Tag

1956 gehörte die Austria zwar zur Elite des europäischen Klubfußballs, wurde aber wie ein Landesligaverein geführt. Die administrative Arbeit fand in einem Hinterzimmer des Café Savoy statt, die Kampfmannschaft absolvierte ihre Heimspiele, mal am Sportklubplatz, dann wieder auf der Hohen Warte oder sogar in der Südstadt. Eine eigene Wirkungsstätte gab es nicht. In diese Desorganisation platze Norbert Lopper wie ein Tornado, der auf den rund 12 Quadratmetern Bürofläche, wütete. Er war ein liebenswerter Gschaftlhuber, der sich um alles – wirklich um alles – kümmerte: „Ich war fünfzehn, sechzehn Jahre lang ganz alleine. Ich habe das ganze Sekretariat übernehmen müssen, ich musste Spiele veranstalten, habe mich um die Spieler gekümmert. Ich war mit dem Fußball beschäftigt und hatte keine Zeit über die fürchterliche Vergangenheit nachzudenken.“ Die Vergangenheit beginnt mit Loppers Geburt am 4. Juli 1919 in Wien. Die fürchterliche Vergangenheit beginnt spätestens mit einer zweieinhalbtägigen Zugfahrt: „Auf einmal les ich dort „Konzentrationslager Auschwitz“. Hab‘ ich gedacht, „da kommst eh nimmer ausse.“

Als Norbert Lopper im Sommer 1919 zur Welt kommt, herrscht Armut und Inflation in Wien. Die Meisterschaft gewinnt Rapid, Torschützenkönig wird Josef „Pepi, der Tank“ Uridil. Das ist dem neugeborenen Norbert noch egal. Die frischgebackenen Eltern, Leo und Regine, sind stolz, fragen sich aber wie sie neben der dreijährigen Tochter Rosa noch einen Esser verköstigen sollen. Trotzdem wird die Familien noch auf insgesamt fünf Kinder anwachsen. Zuhause sind die Loppers in einer Mietskaserne in der Brigittenau. Der Vater arbeitet als Vertreter für Waren aller Art, die Mutter als Kürschnerin und Näherin. Die Ehe der Eltern bröckelt. Leo Lopper ist viel unterwegs, trinkt und seine Frau zerbricht sich den Kopf, wie sie die Kinder durchbringen soll. 1935 lassen sich die Eltern schließlich scheiden. Norbert Lopper ist ein schlechter Schüler, aber ein guter Turner und ein noch besserer Fußballer: „Wir haben mit einem Gummiball oder Fetzenball gespielt. Im Winter, wenn es kalt war, mit einem Tennisball auf der Straße. Wenn du ein Gefühl haben willst, muss der Ball auf den Gehsteig hüpfen, wenn du das oft machst, kriegst ein Gefühl für den Tennisball.“ Seine erste Erinnerung an seinen späteren Herzensverein stammt noch aus der Vorschulzeit: Er ist vier oder fünf Jahre alt, als er das Match Amateure gegen Vienna verfolgt. Die schwarz-blau gestreiften Trikots der späteren Veilchen bleiben ihm in Erinnerung.

Der vierzehnjährige Norbert geht bei einem Installateur in die Lehre, der ihn schikaniert und quält. Der Chef ist zum Antisemiten mutiert, seit ihn seine jüdische Frau verlassen hat. Er nutzt jede Gelegenheit um sich an Norbert abzureagieren. Als Loppers Fußballkarriere beginnt gibt es in Deutschland inzwischen einen nationalsozialistischen Reichskanzler und in Österreich den Austrofaschismus. In der Bäuerlegasse gleich neben seinem Wohnhaus ist „Wilhelm Hackers Gastwirtschaft“ untergebracht, dort hat der Fußballverein Sparta seinen Stammsitz. Über eine Nachbarfamilie rutscht Lopper in die Reserve der Spartaner, ein halbes Jahr später spielt er schon in der Ersten von „Britannia“. Schließlich klopft die Hakoah, der jüdische Sportverein, der in der Krieau beheimatet ist, an und holt Lopper an Bord. Die Hakoah hat ihre besten Zeiten schon hinter sich, pendelt konstant zwischen erster und zweiter Spielklasse und ist trotzdem eine Topadresse für den begabten Wiener. Er spielt regelmäßig in der Jugendmannschaft und muss erleben, wie eine gegnerische Fanhorde zu einem Haufen zynischer Antisemiten mutiert, wenn es gegen den jüdischen Sportverein geht. „Das war man gewohnt.“, erklärt er die rassistischen Schmähungen, „die gab‘s dauernd. Man hat sie gar nicht mehr wahrgenommen.“

Im März 1938 geht Norbert Lopper nach dem Training mit einem Freund ins Kino am Nestroyplatz. Plötzlich wird der Film unterbrochen: Militärfahrzeuge der deutschen Wehrmacht fahren durch die Straßen. „Sieg Heil!“, brüllen die, die von Stund‘ an, keine Österreicher mehr sein wollen. Jetzt geht es ganz schnell: Jeden Tag wird das Alltagsleben der jüdischen Bevölkerung mehr eingeschränkt. Die Hakoah wird schon wenige Tage nach dem Anschluss zerschlagen, die Austria unter Kuratel gestellt. Lopper verliert seinen geliebten Sport. Seine Mutter nimmt schließlich das Heft in die Hand: Sie trägt ihrem ältesten Sohn auf einen Fluchtweg zu suchen. Norbert ist das recht. Sein Verein ist längst verboten, Arbeit hat er auch keine mehr. Vom Wiener Westbahnhof weg, fährt er über Aachen nach Brüssel, wo die Familie Verwandte hat. Er, der kein Wort Französisch spricht, hält dem Taxifahrer einfach einen Zettel mit einer Adresse hin. Ende Oktober hat es die ganze Familie ins (noch) sichere Belgien geschafft. Das jüdische Hilfskomitee unterstützt sie mit 35 Francs pro Kopf monatlich. Mutter Regine findet zusätzlich Arbeit als Kürschnerin. Norbert spielt für den Brüsseler Verein „Étoile“ und bekommt zehn Francs pro Partie. Später kickt er zusätzlich auch für Maccabi. In einem Café lernt er Rebecca Cige, eine geflohene Jüdin aus Berlin, kennen. Sie heiraten im Oktober 1940, als die Deutschen schon in Belgien einmarschiert sind. Viele Juden fliehen weiter nach Frankreich. Lopper kommt in ein Sammellager in Saint Cyprien an der Mittelmeerküste. Er flüchtet, besticht den Wärter mit einer Packung Zigaretten und fährt inkognito nach Brüssel zurück: „So blöd war ich, niemand hat uns gewarnt. Es war schon halb Frankreich von den Deutschen besetzt.“

Nummer 61983

Als Norbert Lopper nach dem Krieg das Archiv des KZ aufsucht, erfährt er die traurigen Umstände, wie seine Angehörigen starben. Seine Frau wurde im Oktober 1942 vergast, Cousin Berti mit Frau, Cousin Edi und Cousine Paula wurden ebenfalls ermordet. Norbert Loppers fast dreijähriger Überlebenskampf beginnt im August 1942 mit der Ankunft in Auschwitz. Ein gesunder, erwachsener Mann überlebt die Zwangsarbeit, die körperliche Gewalt und die Mangelernährung im Durchschnitt vier bis sechs Wochen lang. Im November wähnt sich Lopper schon am Ende seiner Kräfte, da hat er Glück. Ein Kapo (Häftling in führender Position) macht sich in lautem Wienerisch bemerkbar. Der Ex-Fußballer wittert seine Chance: „Kennan Sie was für mi tuan?“ Der Kapo nickt. Er, ein Wiener Sinti namens Jakob, holt Lopper ins Kanada-Kommando und rettet so wahrscheinlich sein Leben. Das Kanada-Kommando, dessen Namen sich von jenem Land herleitet, das als reich und sorgenfrei gilt, ist für das Sortieren des Häftlinggepäcks zuständig. Die SS toleriert, wenn die Kanada-Leute mitgebrachtes Essen aus den Koffern essen, Wertgegenstände dürfen die Häftlinge jedoch nicht einstecken. Ein Rottenführer prügelt Norbert Lopper einmal fast zu Tode, weil dieser ein Uhr nicht schnell genug herausgibt.

Die Geschichten, die sich in Loppers Gedächtnis eingebrannt haben, von denen er bis zu seinem Lebensende träumt, sind schier unvorstellbar. So erzählt er von einem Frauentransport, der vor der Gaskammer endet. Als die Frauen begreifen, was mit ihnen passieren wird, fangen sie an zu schreien und zu weinen. Sie weigern sich die Kleider abzulegen. Eine Siebzehnjährige, eine Ballerina, sagt dem SS-Rapportführer, sie werde sich nur ausziehen, wenn er sich auch auszieht. Der SS-Scherge wird nervös und zieht die Pistole. Das Mädchen schlägt ihm den Revolver aus der Hand und erschießt ihn mit seiner eigenen Waffe. Die Frauen versuchen daraufhin zu fliehen und werden von der anwesenden SS erschossen. Viel später, zuhause in Wien, erzählt Lopper von diesem Erlebnis in einem Kaffeehaus. Ein paar Tage später stellt ihm eine der damals Anwesenden einen jungen Mann aus Amerika vor. Es ist der Bruder der mutigen Balletttänzerin. Lopper ist es selbst nicht klar, wie er in ständiger Todesangst weiterleben vermag. Bald hat er die Abläufe begriffen, doch was soll er Frauen sagen, die mit ihren kleinen Kindern ankommen?  „Gebt die Kinder weg, sonst kommt ihr ins Gas!“? Unmöglich! Er sieht Transporte voller Gschropp’n mit Kindergartenalter, die Hand in Hand, in den Tod gehen.

Eines Tages kommt ein Zug aus Belgien an. Aus dem vergitterten Fenster hört der Wiener eine dünne Stimme: „Mama, der Norbert ist da!“ Loppers jüngster Bruder Herbert strahlt übers ganze Gesicht. Jetzt muss der Ex-Fußballer rasch handeln: Seine Mutter ist zu alt um als arbeitsfähig durchzugehen. Ihr droht die sofortige Vergasung. Lopper setzt alle Hebel in Bewegung, er spricht mit seinem Kapo, dem Blockältesten und den „menschlichen“ SS-lern. Irgendwie schafft er es die Mutter ins Arbeitslager zu schleusen. Er bringt ihr noch in der Nacht einen Wecken Brot und Aufstrich vorbei und bereitet sie auf die kommenden Stunden vor. Bis zu ihrem Tod wird die Mutter den Sohn anflehen, alle helfenden Hände ausfindig zu machen, damit sie sich persönlich bedanken kann. Doch einen der helfenden SS-Männer, einen gewissen Böck, kann Norbert Lopper erst nach ihrem Tod mithilfe einer Illustrierten ausfindig machen.

Lopper kommt ins Sonderkommando und lebt in vergleichsweise paradiesischen Umständen. Die permanente Todesangst wird aber nun akut, denn unregelmäßig liquidiert die SS die Häftlinge des Sonderkommandos um Mitwisser loszuwerden. Doch das Ende des Krieges kommt den Schergen zuvor. Norbert Loppers letzter Tag in Auschwitz ist der 17. Jänner 1945.  Die Lager werden evakuiert, Gaskammer und Krematorien gesprengt, die Häftlinge auf lange Märsche geschickt. „Wandelnde Leichenzüge“, nennt Rudolf Höß, Kommandant des Vernichtungslagers, die lange Schlange halbtoter Häftlinge. Höß, der Massenmörder, der auch noch die Chuzpe hat, anlässlich seiner Gerichtsverhandlung um Mitleid zu bitten: „Sie können mir glauben, es war nicht immer ein Vergnügen diese Leichenberge zu sehen und das fortwährende Verbrennen zu riechen.“ Lopper marschiert nach Gleiwitz (Gliwice) und wird dort auf einen Zug verladen und abtransportiert. Seine Füße sind so geschunden, dass er bei minus 20 Grad Celsius keine Schuhe mehr tragen kann. Trotzdem muss er weiter Zwangsarbeit leisten, erst in einem deutschen Salzbergwerk, dann in einem anderen Stollen und schließlich wird er nach Mauthausen in Oberösterreich gebracht. Bei einem Fliegerangriff flüchtet er mit zwei Mitgefangene in den angrenzenden Wald: „Wie der Tiefflieger kommt, hau ma uns auf die Erd‘, und wie ich so lieg, seh‘ ich neben meinen Kopf einen Feuerspritzer. Der neben mir hat das Geschoss mitten ins Kreuz kriegt, der war sofort tot.“ Das KZ Mauthausen ist bei Loppers Ankunft fast aufgelöst, der abgemagerte Wiener kommt in der Quarantäne-Station und wartet dort auf den Tod. Am 5. Mai 1945 schreit einer: „Die Wachen sind weg!“ Die Häftlinge sehen die amerikanischen Tanks. „Wir sind dort gestanden und haben uns gefreut, ich bin zum zweiten Mal zur Welt gekommen.“ Die Befreiung erweckt ungeahnte Lebenskräfte.

Kekse zum Neuanfang

Norbert Lopper wird von Linz-Hörsching nach Paris geflogen. Im Luxushotel Lutetia, im vornehmen sechsten Pariser Arrondissement, werden neben Flüchtlingen auch ehemalige KZ-Häftlinge untergebracht. Viele stürmen gleich nach ihrer Ankunft die Küche. Lopper wiegt 45 Kilo, weiß, dass er sich zurückhalten muss. Er meidet Fett und schweres Essen, gibt sich nur mit einigen trockenen Keksen zufrieden. Später fährt er auf Kur in die Ardennen, wo er mit Kakao, Reis und Nudeln langsam aufgepäppelt wird. In Belgien trifft er seine jüngeren Brüder Herbert und David, sowie Mutter Regine wieder: David war bis 1945 im KZ- Groß Rosen inhaftiert. Herbert, der aufgrund einer Verletzung bis zum Schluss mit der Mutter in Auschwitz geblieben war, wurde zunächst nach Odessa gebracht, von wo er zurück nach Antwerpen reiste. Vater Leo, Schwester Klara und Norberts Frau Rebecca sind tot.

Während Regine Lopper mit ihren zwei jüngeren Söhnen schon 1946 wieder nach Wien zurückkehrt, bleibt Norbert zunächst in Brüssel. Er möchte sein Geld wieder mit Fußballspielen verdienen, doch der Körper macht nicht mehr mit. Die Ärzte diagnostizieren zunächst Ischiasprobleme, bis sie seine zertrümmerten Bandscheiben entdecken – das Souvenir einer harten Prügelstrafe. Da an eine Fortsetzung der sportlichen Karriere nicht zu denken ist, geht Norbert Lopper bei Julius Ukrainczyk in die Lehre. Europas größter Spielervermittler macht aus dem Wiener jenen Fußballmanager, der später die Veilchen zum Erblühen bringen wird. Ukrainczyk ist es auch der mit der Idee vom Europacup bei der UEFA vorstellig wird. Zunächst betreut Lopper österreichische Mannschaften, die in Brüssel zu Gast sind. Er lernt sie alle kennen: Emil Österreicher, Manager von Real Madrid, Max Gold, Walter Herzfeld. Der gebürtige Wiener ist oft auf Reisen und besucht auch seine Geburtsstadt immer öfter. Langsam – wie zwei alte Freunde – nähern sich die beiden wieder an. Der Alltag in den 50ern hat sich normalisiert und so kehrt Lopper schließlich endgültig nach Wien zurück. Er lernt bald seine zweite Frau kennen und wird 1958 Vater eines Sohnes: Pierre Lopper wird Austria-Fan wie der Herr Papa und Versicherungsagent wie sein Onkel David.

Ein violettes Herz, das mehr als 24 Stunden täglich schlägt

Als Norbert Lopper 1956 von Ludwig Hierländer das Austria-Sekretariat übernimmt, klimpern gerade einmal fünf (!) Schillinge in der metallenen Handkassa. Dem nicht genug: Die Veilchen sind sogar verschuldet. Der schlaue Wiener muss nun seine Kontakte spielen lassen. Sein ehemaliger Chef Krainczyk vermittelt ihm eine lukrative Tournee durch Afrika. Der erste Schritt ist getan, doch die Austria braucht dauerhaft Hilfe. Lopper erinnert sich an ein Mittagessen zusammen mit seinem Bruder David, der sich mittlerweile in der Versicherungsbranche hochgearbeitet hat. Damals ist auch ein flotter Autohändler mit „sozialer Intelligenz und Wiener Goschn“ dabei: Joschi Walter – einst Olympiateilnehmer, heute Peugeot-Händler. Lopper stellt die Weichen für Walters Erfolgslauf bei den Violetten: Joschi Walter wird zum Geschäftsführer bestellt, Präsident Eckerl nicht wiedergewählt. Denn spätestens nachdem dieser wegen Lohnsteuerschulden zwei Pokale und eine Schreibmaschine pfänden ließ, ist er für Lopper als Präsident eines edlen Traditionsvereines untragbar.

Typisch für österreichischen Bürokratismus: Der Vorstand der Veilchen besteht damals aus 35 Leuten, im Sekretariat gibt es aber nur Lopper und einen Laufburschen, den der Wiener nach seinem Lieblingsfußballer „Sindi“ ruft. 1960 wird die Austria nach langer Durststrecke wieder Cupsieger: Karl Schlechta und die Jungspunde Fiala, Nemec, Gager und Blutsch schaffen es den Pokal zu holen. Ein Jahr darauf ist der Teller in Wien-Favoriten und wieder ein Jahr später gelingt sogar das Double. Trotz dieser Erfolge hat Trainer Schlechta nur bedingt gute Erinnerungen an diese Zeiten. Ihm stößt es sauer auf, dass Geschäftsführer Walter hinter seinem Rücken mit Edi Frühwirth verhandelte. Norbert Lopper hingegen lobt er über den grünen Klee: „Lopper ist unglaublich ausgenutzt worden. Er hatte wenig Unterstützung und viel Arbeit. Alles, was er erreicht hat, hat er sich selbst zu verdanken.“ Lopper und Schlechta versuchen damals Walter von der Verpflichtung des Brasilianers Jacaré zu überzeugen. Erst nach langem Zögern stimmt der Geschäftsführer zu und Jacaré erweist sich als Glücksfall. Der erste schwarze Profispieler in Österreich wird rasch zum Fanliebling, auch weil er sich postwendend an den Wiener Humor gewöhnt. „Heut bin i Doppel-Neger“, sagt er grinsend den Reportern, während er seine Hosentasche nach außen stülpt. Die Austria befand sich damals in Zahlungsschwierigkeiten.

Eine andere Geburtsstunde trägt sich 1958 im Austria-Sekretariat zu: Josef Argauer – Ex-Co-Teamchef – betritt die Räumlichkeiten und meint zu Lopper: „Ich hätt was übern Winter, dass wir ein bissl was verdienen.“ Die Idee zum Wiener Stadthallenturnier ist geboren. Norbert Loppers größter Verdienst besteht allerdings darin, die aktuelle Heimstätte der Austria gefunden zu haben. 1973 verlassen die Wiener ihren Platz in Hernals. Ein Ersatz muss her, doch irgendwie ergibt sich nichts Passendes. Lopper, rekonvaleszent nach einer Bandscheiben-OP, geht der Reis. Die Stadt Wien baut in Favoriten gerade die Tangente, in der Nähe befindet sich der ASKÖ-X-Platz, der für Speedway-Rennen genutzt wurde. Dieser Platz könnte umgebaut werden, die Zeit drängt jedoch um aus dem Krautacker ein Fußballfeld zu machen. Lopper tut sein Möglichstes: Er besticht die Bauarbeiter drei Monate lang mit Bier, Semmeln und Knacker zum Schweinefüttern, nur damit diese nicht auf die Idee kommen, in der Mittagspause Essen zu gehen. Es klappt mit Ach und Krach. Anlässlich der Kommissionierung nörgelt der Baupolizeioberst, dass ein Geländer fehlt. Franz Horr, NR-Abgeordneter und Präsident des Wiener Fußballverbandes, braust auf und erwirkt – nicht gerade rechtens – den Bescheid. Bis 2010 trug das Stadion seinen Namen. Die ursprünglich für 5.000 Zuschauer konzipierte Tribüne ist anlässlich der Eröffnung mit doppelt so vielen Menschen besetzt. Feuerpolizeilich – ein Graus! Die Fans aber feiern ein friedliches Fußballfest und nachdem alles reibungslos abläuft, verschwindet Norbert Loppers Bauchweh.

In den 60ern und 70ern macht Lopper, der von der Finanz bis zum Kartenverkauf alles in der Hand hat, vor allem als Scout gute Figur. Er entdeckt Herbert Prohaska und setzt sich für die Verpflichtung Walter Schachners und Friedl Koncilias ein. Sein Zugpferd ist der ehemalige Weltstar Águas. Der zweifache Europapokalsieger mit Benfica lockt 28.000 Zuschauer zum ersten Heimspiel gegen den LASK an. Sportlich ist José Águas kein großer Erfolg, finanziell dagegen schon. So kann Norbert Lopper über die Zeitungsschlagzeilen, er hätte mit dem Portugiesen danebengegriffen, nur lachen. In seiner eigenen Jahrhundert-Elf hat der Stürmer allerdings trotzdem keine Platz. Lopper denkt nach: Torwart: Josef Spale – „der hat in den Vierzigerjahren gespielt.“ Verteidiger: Karl Stotz, Karl Kowanz. Mittelfeld: Fredl Joksch, links. Ernst Ocwirk, Mitte. Und rechts? „Fällt mir wirklich schwer, da habens den Vogerl Geyer. Und sonst: Ernst Melchior, Herbert Prohaska, Matthias Sindelar. Ernst Stojaspal. Julio Morales.“ Letzteren lotste er mit der Hilfe ausgewanderter Verwandte aus Uruguay nach Österreich. Auch als Norbert Lopper seine Position niederlegt, bleibt er seiner Austria treu. Andi Ogris erzählt: „Ich habe ihn persönlich kennen lernen dürfen. Ein Riesenaustrianer. Er hat immer ein offenes Ohr gehabt für alle Spieler, obwohl ich ihn nicht mehr als Sekretär erlebt habe, hat er immer probiert allen zu helfen.“ Die schöne Bilanz eines Menschen, der sein Herz offengehalten hat, obwohl ihm selbst größtes Unrecht widerfahren ist.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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