Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im... Men to (re)watch (39) –  Horst Steiger (KW 39)

Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im Konjunktiv stecken blieb, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt radikal verändert haben oder sonst außergewöhnlich waren und sind: Sei es, dass sie sich nach dem Fußball für ein völlig anderes Leben entschieden haben, schon während ihre Profizeit nicht dem gängigen Kickerklischee entsprachen oder aus unterschiedlichen Gründen ihr Potenzial nicht ausschöpften. Auf jeden Fall wollen wir über (Ex)-Fußballer reden, die es sich lohnt auf dem Radar zu haben oder diese (wieder) in den Fokus rücken. Wir analysieren die Umstände, stellen Fragen und regen zum Nachdenken an. Heute erinnern wir an einen viel zu jung verstorbenen Mittelfeldspieler aus dem Burgenland…  

Nach 35 Minuten reckte Horst Steiger die Arme in die Höhe: 1:0 für den VfB Mödling. Der gebürtige Burgenländer hatte die Führung in der dritten Runde des Cups für seinen Verein erzielt. Als der damalige Zweitligist nach 90 Minuten schließlich als Sieger vom Platz ging, freuten sich die Kicker auf ein freies Wochenende. Das nächste Pflichtspiel der Niederösterreicher sollte am Mittwoch auswärts in Klagenfurt stattfinden; zu diesem Zeitpunkt ahnte jedoch noch niemand, dass Horst Steiger dann nicht mehr am Leben sein würde. Als der Offensivspieler abends aus dem Teambus ausstieg, winkte er seinen Kollegen zu: „Tschüss Burschen! Bis Montag!“. Es war jedoch ein Abschied für immer. Der hochtalentierte Kicker starb nach Mitternacht, als er nur wenige Kilometer von seiner Heimatgemeinde entfernt auf der Rückfahrt von der Diskothek Kobor gegen eine Betonmauer prallte. Steiger wurde aus dem sich mehrfach überschlagenden Auto geschleudert und erlag noch an der Unfallstelle seinen schweren Kopfverletzungen. Es war der 1. Oktober 1995.

Maradona aus Eisenstadt, Bester im Burgenland

Die österreichische Fußballszene war geschockt. Steiger war erst 25 Jahre alt gewesen, galt als Ausnahmespieler, der jedoch aufgrund unglücklicher Umstände und fehlender Einstellung zum Profisport sein Potential nicht vollständig ausgeschöpft hatte. „Er war ein Supertalent, technisch hervorragend, sehr schnell. Er hätte eine große Karriere machen können. Das Leben abseits des Fußballs nahm er zu locker. Aber er war ein toller Kerl, immer lustig und fröhlich.“, erinnerte sich Herbert Gager vor zwei Jahren an den Kicker, mit dem er zusammen bei Rapid gespielt hatte. Didi Kühbauer verlor damals einen seiner engsten Freunde und beschrieb seine Gefühle so, als wäre ihm ein Hochhaus auf den Kopf gefallen. Horst Steigers Heimatverein ließ aufgrund seines tragischen Unfalltodes eine Landesligapartie verschieben; bald wurde auch ein Gedenkturnier zu seinen Ehren ins Leben gerufen.

Geboren wurde der spätere Rapidler am 9. April 1970 in Oberpullendorf. Bereits als Bub galt er über die Grenzen seiner Heimatgemeinde hinaus als Riesentalent und wurde in seiner jeweiligen Leistungsstufe mehrfacher Meister. Seine Anlagen führte er auf seinen Vater Helmut zurück, der Mittelfeldregisseur beim ASKÖ Neutal gewesen war. Horst wechselte früh ins burgenländische Leistungszentrum nach Eisenstadt, wo er österreichischer U 17-Meister wurde. Sein dortiger Trainer hatte eine ähnliche Meinung wie Herbert Gager: „Er ist eine Ausnahmeerscheinung und technisch einer der Besten des Burgenlandes. Ich bin überzeugt, von ihm wird man noch hören.“

Schon damals kennzeichneten den Jungspund nicht nur seine Ballbehandlung, sondern auch sein wirrer Lockenkopf und das heraushängende Trikot. Beim SC Eisenstadt sammelte Steiger erste Erfahrungen im Erwachsenenfußball und wurde in der Regionalligaspielzeit 1988/89 mit zehn Treffern sogar bester Torschütze seiner Mannschaft.

Sein Sprungbrett in die Bundesliga war jedoch sein Triple-Erfolg beim Hallenmasters desselben Jahres: Eisenstadt setzte sich im Finale gegen Oberwart durch und Steiger, der neben dem späteren Rapid-Kicker Matthias Bleyer, in das All-Star-Team gewählt wurde, krönte sich außerdem zum besten Spieler des Turniers. Das blieb den Scouts des Rekordmeisters nicht verborgen und sie wollte den Offensiven unbedingt verpflichten. Trainer Krankl setzte persönlich den Transfer durch, der nach zähen Verhandlungen und einer Ablösesumme von 1,5 Millionen Schilling endlich im Juli über die Bühne ging. Sein Debüt für die Grün-Weißen gab der damals 19-jährige bei einem Freundschaftsspiel gegen Vasas Budapest in Oberwart.

Doch wie auch Hans Krankls Zeit als SCR-Trainer sollte Steigers Engagement in Hütteldorf letztendlich nicht von ausreichend Erfolg geprägt sein: Zwar zählte der Mittelfeldspieler anfangs zum Stammpersonal und musste nur in zehn Ligaspielen passen, die Grün-Weißen verloren jedoch in dieser Saison das Cupfinale äußerst unglücklich gegen den violetten Stadtrivalen. Ein Jahr später mussten sich die Rapidler in eben diesem Endspiel Stockerau blamabel geschlagen geben.

Der U21-Teamspieler konnte in seiner ersten Saison nur in der Stadthalle glänzen, wo er maßgeblichen Anteil am Turniersieg der Hütteldorfer hatte. Die Fans erkannten die vielversprechenden Ansätze des Edeltechnikers: Steigers Dribblings waren zum Zungeschnalzen, seine Freistöße präzise, doch immer wieder spielte er unauffällig oder unkonzentriert. Nachdem er in der Spielzeit 1990/91 nur zehnmal das Rapidtrikot getragen hatte, gelang ihm eine Saison später überhaupt kein Ligatreffer mehr. Schließlich wurde der Goleador als Rapid-Trainer durch seinen Intimfeind Gustl Starek ersetzt und Steiger kam zu mehr Einsatzminuten. Doch auch in der Saison 1992/93 traf er beim 4:2‑Sieg über Wacker Innsbruck insgesamt nur ein einziges Mal.

„Horst, das wird dein Jahr!“

Es war allgemein bekannt, dass der gebürtige Burgenländer umgänglich, beliebt und lustig war, aber genau diese Tugenden sollten dem Profifußballer den endgültigen Durchbruch vermasseln. Steiger liebte das süße Leben außerhalb des Platzes und akzeptierte nur bedingt die Meinung seiner Trainer. Horst habe den Beruf eher als Hobby gesehen, unterstreicht ein langjähriger Freund und Kollege die Lebensweise der grün-weißen Nummer 20.

Nach seinem dritten verlorenen Pokalfinale (1:3 gegen Wacker Innsbruck) erlebte Steiger erneut einen Trainerwechsel: Hubert Baumgartner erklärte dem gelernten Fotoverkäufer, er würde nicht mit ihm planen. Plötzlich musste sich der Mittelfeldspieler abseits der Mannschaft fit halten. Erst als Not am Mann war griff man wieder auf Horst zurück. Im Herbst ‘93 gehörte er als Ideengeber justament wieder in die Startelf und bekam auch ein neues Vertragsangebot unterbreitet. Baumgartner wurde gegen Ende der Saison von Ernst Dokupil abgelöst, der den Burgenländer im Mai 1994 jedoch überraschenderweise wieder auf die Bank setzte.

Steiger ließ sich daraufhin zu einem folgenschweren Fehler hinreißen: Als ihn Dokupil, der als Spieler selbst eine launische Diva war, zum Aufwärmen schickte, platzierte sich der Offensive demonstrativ hinter dem Tor und rührte keinen Finger. Bum – Steiger hatte die Tür im Wiener Westen selbst zugeknallt. Er musste sich einen neuen Arbeitgeber suchen.

Noch im Sommer 1994 transferierte er zum VfB Mödling. Dort bestritt er jede Partie der kommenden Saison, konnte jedoch den Abstieg der Niederösterreicher nicht verhindern. Trotzdem baute der Klub auf ihn und die Zukunft des jungen Mannes schien gesichert. Trainer Stöffelbauer meinte zu Beginn der kommenden Spielzeit noch, dass nun endlich der Knoten geplatzt sei: „Horst, das wird dein Jahr!“ Die Majestät des Todes verhinderte jedoch, dass sich der Kicker etablieren konnte.

Horst Steiger gilt bis heute als „ewiges Talent“, als „schlampiges Genie“, wie es im Wiener Fußball Tradition hat. Selbst Kühbauer musste zugeben, dass der Nummer 20 trotz all seiner herausragenden Fähigkeiten leider der „letzte Biss“ gefehlt hatte. Der Mittelfeldspieler war jedoch zudem auch nicht vom Glück begünstigt: So wurde er zum Beispiel im Europacup-Rückspiel gegen Inter aus taktischen Gründen wegen des mit Rot vom Feld verwiesenen Robert Pecl ausgewechselt. Auch spielte Steiger in einer Zeit, in der selbst Supertechniker körperlich robuster und fleißiger sein mussten, als er es war. Ein Zauberer allein konnte keinen Blumentopf mehr gewinnen. Sein viel zu früher Tod gehört für viele Fans zu den eindrücklichsten Erlebnissen der 90er. Für Didi Kühbauer, dessen hochschwangere Frau eineinhalb Jahre später nach einem Autounfall ins Koma fiel, sollte Steigers Tod ein tragisches Vorzeichen sei.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag