Wie Phönix aus der Asche: Rapids Auferstehung in der Ära Dokupil
Sonstiges 14.Mai.2016 Daniel Walter 0
Vor zwanzig Jahren begann für Rapid mit dem Duell gegen Petrolul Ploiesti eine außergewöhnliche Europapokalsaison, die mit einigen Glanzstunden versehen schlussendlich im letzten Europacupfinale einer österreichischen Mannschaft gipfeln sollte. Erst das aktuelle Team rund um Kapitän Hofmann konnte zwei Jahrzehnte später wieder für eine internationale Überwinterung sorgen. Dieses Jubiläum zum Anlass nehmend, blicken wir auf die damalige Mannschaft und ihren Trainer zurück, der innerhalb kürzester Zeit aus einem am Boden liegenden Riesen eine schlagkräftige Mannschaft formte und sowohl national als auch international bis heute teils unübertroffene Maßstäbe gesetzt hat. Mit welchen teils eigenwilligen Methoden der Architekt des Erfolges Ernst Dokupil das gerade noch abgewendete Ende umgehend in einen grün-weißen Triumphzug verwandeln konnte und innerhalb von zwei Jahren für ein Europacupfinale, die Teilnahme an der Champions League, den dreißigsten Meistertitel und einen Cuptriumph verantwortlich war, lest ihr hier.
Bereits im Jahr 1974 wurde der spätere Erfolgstrainer für zwei Saisonen an den Verein gebunden. Um umgerechnet 11.000 Euro nach Hütteldorf gelotst, bearbeitete der einzige Nicht-Profi im damaligen Rapidkader die linke Außenbahn, weil auf seiner Stammposition ein gewisser Hans Krankl gesetzt war.
1988 dachte man in Hütteldorf erstmals über die Verpflichtung von Dokupil als Trainer nach, allerdings entschied sich schlussendlich der amtierende Trainer Baric, unter dessen Leitung Rapid wenige Jahre zuvor ins Europacupfinale einzog, für einen Rücktritt vom Rücktritt.
Dokupil startet den Wiederbelebungsversuch
Im Sommer 1994 sollte alles anders sein. Wenig erinnerte an den Glanz vergangener Tage. Der Meistertitel war schon länger kein Thema mehr in Hütteldorf, man beendete die Meisterschaft mit einem negativen Torverhältnis auf Platz fünf und weit hinter dem Vorzeigeverein aus Salzburg, der außerdem bis ins Endspiel des UEFA-Pokals eingezogen war. Gerade einmal 5.600 Fans verirrten sich im Schnitt ins Hanappi-Stadion und am 1. Juni 1994 meldete Rapid beim Handelsgericht den Ausgleich an. 103 Millionen Schilling Schulden sollten sich in der Zwischenzeit angehäuft haben, man konnte also weder auf dem Trainer-, noch auf dem Spielersektor großartig investieren und sah sich mit einer ungewissen Zukunft konfrontiert.
In den letzten vier Runden der Saison 1993/94 wurde, nachdem man erwartungsgemäß und wiederholt die Ziele in der Meisterschaft verpasste und auch das internationale Geschäft einen weiten Bogen um Wien-Hütteldorf machte, ein Trainer installiert, dessen letzte Betreuertätigkeit bereits vier Jahre zurück lag. Also nicht gerade mit Vorschusslorbeeren ausgestattet, nützte Ernst Dokupil, der in seiner Trainerkarriere unbedingt einmal eine große Mannschaft betreuen wollte, die Endphase der Meisterschaft für eine persönliche Bestandsaufnahme und stellte sich sogleich den ersten schwierigen Aufgaben. Dem Wiener eilte der Ruf voraus, ein großes Talent für die Ausbildung und den Feinschliff junger Spieler zu haben, so betreute er spätere Aushängeschilder des österreichischen Fußballs wie Herzog, Stöger, Polster oder Ogris bei ihren ersten Stationen im Profigeschäft.
„Spielt’s so, dass es den Fans gefällt“
Dieses Credo gab Dokupil seinen Spielern von Anfang an mit auf den gemeinsamen Weg. Alleine diese Aussage beschreibt den Zugang von Dokupil perfekt. Gepaart mit dem Willen, der Mannschaft ihre Freiheiten zu lassen und dem Vertrauen, dass diese es mit Leistung zurückzahlen würde, entwickelte sich aus einer Worthülse ein ernstzunehmender Auftrag.
Dokupils Philosophie fußte auf dem Grundsatz, dem Team so viel Eigenverantwortung wie möglich zu übertragen und nicht zwingend an das Ergebnis zu denken, aber doch das Bestreben zu haben, gut zu spielen und das Beste zu geben. Daraus entsteht als Konsequenz das richtige Ergebnis fast schon zwangsläufig.
Sowohl am Spielfeld als auch abseits des Platzes spürte man recht bald die ausgestrahlte Lockerheit. Man hatte in der Anfangsphase aufgrund des kürzlich erfolgten Konkursantrages und der damit einhergehenden Erwartungshaltung herzlich wenig zu verlieren und die Spieler konnten mit verhältnismäßig wenig Druck an ihrer Entwicklung und Harmonie arbeiten.
Die Mannschaft unternahm von Anfang an größte Anstrengungen, um dieser prägnanten Forderung ihres Trainers nachzukommen. Mit Herz und Leidenschaft wollte man die Gunst der Fans zurückgewinnen. Und den Fans gefiel es. Erstmals seit 15 Jahren fanden sich im Laufe der Saison durchschnittlich fast 10.000 Fans zu den Heimspielen ein, die magische Marke sprengte man erst in der darauf folgenden Saison und hatte damit erstmals so viele Zuseher wie zuletzt in den späten 1960er Jahren.
Dass die Mannschaft ihrerseits wieder den Spaß am Fußball spielen entdeckte war auch der Menschenführung des Trainers geschuldet. Er hat es geschafft, die vielen unterschiedlichen Charaktere im Gleichgewicht zu halten und ließ den Spielern viel Freiraum für die Entwicklung auf und abseits des Platzes, die Akteure wurden nicht in ein enges Korsett gepresst.
Der Mut zu unpopulären Transferentscheidungen
Spieler, die Dokupils Meinung nach mit dem Kopf nicht voll bei der Sache waren und ihre Energien in Aktivitäten abseits des Fußballplatzes investierten, wurden bereits im Juni 1994 gnadenlos vor die Tür gesetzt. Anstelle dessen verpflichtete man das viel versprechende Austria-Talent Marcus Pürk und konnte Andreas Heraf zu seinem Stammverein zurücklotsen. Dieser kannte den Trainer bereits aus seiner Zeit bei der Vienna. Die neuen Spielerverträge, so auch der von Roman Pivarnik, waren extrem leistungsorientiert. Man beteiligte die Spieler an den Umsätzen der hoffentlich steigenden Zuschauerzahlen, dafür bezogen die Profis allerdings ein niedriges Fixum.
Nach dem gewonnen Cuptitel und einem ordentlichen Transferplus dank Marcus Pürk, der zu Real Sociedad wechselte, besserte man im Sommer 1995 den Kader entscheidend auf. Obwohl keiner dieser vier Spieler bei den Anhängern und so manchem Experten ob ihrer Vita für ausufernde Begeisterungsstürme sorgte, wollte Dokupil diese Akteure unbedingt nach Wien zu Rapid lotsen. Aufgrund der angespannten finanziellen Situation musste man allerdings auf Spieler zurückgreifen, die sich bisher noch nicht großartig profilieren konnten oder durch disziplinäre Entgleisungen auffielen.
Geir Frigard, der später eine äußerst erfolgreiche Zeit beim LASK verbringen sollte, wirkte bereits im Supercupspiel gegen Salzburg mit, kam Rapid aber zu teuer. So wandte man sich an einen Spieler, der kurz davor beim Probetraining in Salzburg durchfiel und aktuell beim FC Linz unter Vertrag stand. Christian Stumpf war für den nächsten Schritt bereit und wollte sich die Chance Rapid nicht entgehen lassen.
Trotz der Verpflichtung von Stumpf war Dokupil weiterhin auf Stürmersuche und bat sogar die Journaille um Mithilfe. Letztendlich sollte dabei wieder ein Kontakt zu einem seiner ehemaligen Schützlinge die entscheidenden Fortschritte gewährleisten. Toni Polster, einst unter Dokupil Stürmertalent bei Simmering hatte einen Kandidaten parat. Es handelte sich um einen jungen Stürmer, der beim 1.FC Köln trainierte, aber vorläufig keine Chance hatte, am etablierten Sturmduo Polster-Labbadia vorbeizukommen. Dass es sich bei Jancker um einen ähnlichen Stürmertyp wie Stumpf handelte, interessierte Dokupil wenig. Er war von dem 21-jährigen Talent überzeugt und somit standen auf einmal zwei Sturmtanks im Kader der Hütteldorfer. Die massive Steigerung innerhalb kurzer Zeit zwang Dokupil förmlich, sein Spiel umzustellen.
Im Rückspiel gegen Sporting Lissabon standen erstmals beide Stürmer in der Startaufstellung und diese Entscheidung sollte sich rasch bezahlt machen. Drei der vier Tore in diesem Spiel gingen auf das Konto der beiden Torjäger. Von diesem Moment an entwickelte sich vor allem auf der internationalen Fußballbühne eine Durchschlagskraft, die erbarmungslos und kaltschnäuzig sämtliche Defensivreihen überflügelte.
Peter Stöger wechselte ebenfalls nach Wien-Hütteldorf. Mit diesem hatte Trainer Dokupil bereits bei der Vienna gute Erfahrungen gemacht und obwohl er anfangs und mehrmals Zweifel ob seines Wechsels nach Hütteldorf – nicht zuletzt wegen seiner violetten Vergangenheit – äußerte, ließ Dokupil in den Verhandlungen nicht locker und konnte schlussendlich einen weiteren Schlüsselspieler unter Vertrag nehmen.
In der Verteidigung fiel die Wahl auf Trifon Iwanow. Der exzentrische Verteidiger wurde bei seinen letzten Vereinen gefeuert und fiel immer wieder mit Undiszipliniertheiten auf. Je nach Lust und Laune ernannte er sich auch schon mal selbst zum Stürmer. All diesen vermeintlich eindeutigen Vorzeichen zum Trotz war Dokupil davon überzeugt, dass er Rapid weiterhelfen würde und so wurden nach dem eingefädelten Deal durch Avanti-Eigentümer Hannes Nouza sämtliche Details innerhalb kürzester Zeit fixiert. Über seinen neuen Schützling sollte Dokupil später in seiner unnachahmlichen Art einmal sagen: „Ich habe Trifon gesagt, mach’s oder mach’s nicht. Und er hat’s gemacht oder auch nicht“.
Bierdosen bestimmen die Rückennummer
Im Gegensatz zu strengen Kollegen wie Pacult oder Happel, die absolute Disziplin von ihren Spielern einforderten, pflegte er stets einen gewissen Laissez-faire Stil. Die Spieler bekamen ihre Freiheiten und sollten dieses Privileg mit Leistung und der richtigen Einstellung zurückzahlen. Sämtliche Akteure wurden zur Eigenverantwortung aufgerufen und sollten nicht stur eine eingetrichterte Aufgabe erfüllen, so plante er nach eigener Aussage auch niemals die Spielzüge bis ins letzte Detail, stellte die Mannschaft aber stets so auf, dass Torerfolge möglich waren.
Zudem hatte Dokupil Sinn für Humor und interpretiere seine Rolle als Cheftrainer nicht mit strenger Hand.
Gerade Kühbauer und seine Mittelfeldkollegen waren kaum um einen Scherz verlegen und so gab er dem Quartett, komplettiert durch Barisic, Marasek und Mandreko bald den Spitznamen „die Daltons“. Diese vier Spieler trugen maßgeblich zum Mannschaftsklima bei und Dokupil ließ ihnen bei ihren Streichen freien Lauf, solange die Leistung am Platz nicht darunter litt.
Abseits des Platzes duldete er nicht nur den verspielten und aufgeweckten Charakter seiner Schützlinge, er förderte ihn sogar. In der Saison 1995 entwickelte sich ein besonderes Ritual. Im Abschlusstraining wurde auf kreative Art und Weise die Rückennummer für das nächste Spiel vergeben. So konnte es schon mal vorkommen, dass Mandreko nach einem Bierdosenschießen mit der Nummer 99 auflief. Jeder Spieler bekam nach einem Volltreffer die Rückennummer, die auf der jeweiligen Dose vermerkt war.
Auch in Interviews nach Trainingsende stellte man sich den TV-Kameras und war nie um veräppelnde aber liebevoll gemeinte Worte für einen Teamkollegen verlegen. Trifon Ivanov zum Bespiel sei, wie der aufmerksame TV-Zuseher erfuhr, der einzige Mensch, der sich in der Früh rasieren kann und bereits am Nachmittag wieder mit einem Vollbart anzutreffen ist.
Der 14. Cuptitel wurde im Übrigen auch von Masseur Frey, der heute noch im Verein ist, zum Anlass genommen, die erste Rapid-CD veröffentlichen. Die von ihm getextete und von den Spielern gesungene Hymne hat heute einen fixen Platz in Rapids Geschichte. Dies sollte allerdings nicht der einzige Hit bleiben. So mancher wird sich auch noch an die umgetextete Version des Schlümpfejingles erinnern – Wer macht die Taktik für das Spiel? Unser Trainer Dokupil!
Große Geste im Cupfinale
In der ersten vollen Saison unter Dokupil 1994/95 wusste man wieder über weite Strecken zu überzeugen und verpasste um lediglich einen Punkt den Meistertitel. Die plötzlich wieder aufstrebende Rapidelf konnte sich am Ende der Saison schließlich doch noch belohnen und holte mit dem ersten Titel seit sieben Jahren den ÖFB-Cup nach Hütteldorf. Nach Peter Guggis Goldtor, war man in der darauffolgenden Saison berechtigt im Cup der Cupsieger anzutreten. Jüngere Rapidfans haben schon Mühe, sich überhaupt an eine Beteiligung im Finale zu erinnern, aber damals war dieser Triumph die Initialzündung für sämtliche nachfolgende Meilensteine.
In den Schlussminuten wechselte Dokupil Eisenfuß Robert Pecl ein. Dieser äußerst verdienstvolle Verteidiger musste im Laufe seiner Karriere einige Knieoperationen über sich ergehen lassen und erklärte nach diesem Spiel seinen Rücktritt. Dokupil gab dem im Frühjahr bisher ohne Einsatz gebliebenen Pecl somit die Möglichkeit, den bis heute letzten Pokal als Kapitän in Empfang zu nehmen.
Die Chemie zwischen Betreuerteam und Spielern passte von Anfang an und allen Unkenrufen zum Trotz konnte Dokupil mit seiner Einstellung, Überzeugung und den richtigen Charakteren in der Mannschaft innerhalb kürzester Zeit die triste Vergangenheit durch die großartigen Erfolge in den Hintergrund drängen.
Karriereende und das silberne Verdienstzeichen
2001 sollte seine Karriere bei Rapid schließlich zu Ende gehen. Nach einem Wechsel auf den Posten des Sportdirektors und abermaliger Rückkehr auf die Trainerbank, beendete die verpasste Meisterschaft die Rapid-Karriere des heute 69-jährigen Wieners.
1999 mit dem silbernen Verdienstzeichen der Republik ausgezeichnet, hat sich Dokupil mit einem Zitat in der Fußballwelt verewigt. Seine Rapid-Zeit beschreibt das Zitat „Fußball ist ein Scheißspiel“ nicht ansatzweise, die Erfolge an sich und vor allem in der Intensität innerhalb der kurzen Zeit nach dem Fast aus sind bis heute herausragende Meilensteine in der Geschichte des Rekordmeister und zumindest der Einzug in ein Europacupfinale wird nur mehr schwer zu realisieren sein. Etwas optimistischer darf man im grün-weißen Lager in absehbarer Zeit auf einen Cuptriumph oder Punkte in der Champions League hoffen.
Daniel Walter, abseits.at
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