Jeden Sonntag wollen wir in dieser neuen Serie einen Blick in die Vergangenheit werfen: Wir spielen sozusagen einen Zuckerpass in den Rückraum und widmen... Wiederholung in Zeitlupe (25) –  Tot ist nur, wer vergessen ist – Das tragische Ableben des Rudi Hiden (KW 36)

Jeden Sonntag wollen wir in dieser neuen Serie einen Blick in die Vergangenheit werfen: Wir spielen sozusagen einen Zuckerpass in den Rückraum und widmen uns kurz und bündig legendären Toren, Spielen, Fußballpersönlichkeiten, Ereignissen auf oder neben dem Platz und vielem mehr. Wir wollen Momente, Begebenheiten, Biografien imStile von Zeitlupenwiederholungen aus dem TV nochmals Revue passieren lassen. Gedanken machen wir uns dabei über Vergangenes, das in der abgelaufenen Kalenderwoche stattgefunden hat: Heute gedenken wir der österreichischen Fußballlegende Rudi Hiden, die am 11. September 1973 von uns gegangen ist…

Mehr als ein Torwart.

Das langsame Sterben des Rudi Hiden begann mit einem Stich in der Hüfte eines Nachmittags in den 1960er-Jahren auf einem italienischen Trainingsplatz. Die Diagnose, die der damalige US Salernitana-Trainer daraufhin bekam, lautete Knochenmarksentzündung. Der Ex-Wunderteamtorhüter wurde von seinem Verein schließlich gekündigt, nachdem er nicht rechtzeitig auf die Bank seines Arbeitgebers zurückkehren konnte. Rudi Hiden war verzweifelt. Im Gegensatz zu früher standen dem 55-Jährigen nicht mehr alle Türen offen: Er wollte letztlich einfach nur mehr nachhause. Der ehemalige Torwart schrieb einem österreichischen Journalisten in einem Brief, dass er gerne bei einem „aufstrebenden Provinz-Verein“ als Trainer neu anfangen wolle: „Ich hoffe, Sie werden mir mein Ansuchen nicht abschlagen, damit ich wieder endlich zu meinem Wiener Schnitzel mit Krautsalat so bald wie möglich komme.“

Vor über dreißig Jahren war der als Josef Rudolf Hiden in Graz Geborene noch von den Anhängern des Wiener AC und der Nationalmannschaft auf Schultern getragen worden. Hiden begann als Knirps mit dem Fußball, spielte zunächst Stürmer, ehe sein herausragendes Talent auf der Linie entdeckt wurde. Bereits mit 16 Jahren galt er als Sensation in der steirischen Landeshauptstadt, übersiedelte schließlich nach Wien, wo er sich in schwarzem Pullover mit weißem Kragen und mit Pullman-Kappe zu einem der besten Torhüter der Welt mauserte. Sein Einstand beim Wiener AC begann zwar mit einem „Steirertor“, der junge Mann „erfing“ sich – aber im wahrsten Sinne des Wortes – rasch: Hiden war fangsicher, kompromisslos und ein Elfmeterkiller. Das Sporttagblatt charakterisierte seine Spielweise im März 1932 folgendermaßen: „Die Art, wie er Flanken und Eckbälle meisterte, wirkte wie eine artistische Nummer, die einigermaßen auch auf ästhetischen Eindruck eingestellt ist.“ Tatsächlich war der Fußballer auch neben dem Platz ein Mann, der Schönes liebte; ein echter Dandy, Genussmensch und Frauenheld. Er war ungemein populär, ob auf der Straße von Schulbuben umringt oder in einer Bar von einer lustigen Gesellschaft: Jeder mochte Rudi Hiden, jeder wollte etwas von ihm und er konnte schlecht Nein sagen. Sportlich schien es auch zu laufen: Mit dem WAC wurde Hiden Cupsieger, als Mitglied des Wunderteams verpflichtete ihn – nachdem ein Wechsel zu Arsenal aufgrund fehlender Arbeitsbewilligung gescheitert war – Racing Club de Paris. Hiden eroberte die Stadt an der Seine und holte als „Merlin“ oder „Rodolphe“ einmal die französische Meisterschaft sowie drei Cuptitel. Als eingebürgerter Franzose lief er sogar für die équipe tricolore auf und musste schließlich im Zweiten Weltkrieg einrücken.

Nachdem er seine aktive Laufbahn jedoch beendet hatte, missglückten seine Versuche als Trainer oder Unternehmer genauso erfolgreich zu sein. Rudi Hiden hatte keine Ersparnisse als er mit seiner Frau Suzanne zurück nach Wien ging. Sie bezogen eine Wohnung in der Nähe des Donaukanals, im zweiten Wiener Gemeindebezirk, die kleiner war als der Strafraum, den er einst so meisterhaft beherrscht hatte. Sein jahrelanger Tabakkonsum und alte Sportverletzungen nagten an seiner Gesundheit: Er litt an Durchblutungsstörungen, Problemen mit der Prostata und kaputten Zähnen.

Hiden verbrachte seine Zeit großteils im Krankenbett und schrieb Bettelbriefe an prominente Fans und Fußballfunktionäre, um seine Spitalsaufenthalte zu finanzieren. Ende der 60er wurde schließlich sein rechtes Bein ab dem Hüftgelenk amputiert. Tageszeitungen sammelten Geld, um die Operation zu finanzieren. Der einst topfitte Superstar kämpfte, doch immer wieder wurden neue niederschmetternde Diagnosen gestellt. Schließlich hielt er auf sein Ansuchen die österreichische Staatsbürgerschaft zurück und wurde gesetzlich zum Fürsorgefall. Seine letzte Wohnadresse befand sich in einem Floridsdorfer Neubau. Im Mai 1973 trat der sichtlich gezeichnete Rudi Hiden in der der ORF-Sendung „Seniorenclub“ auf und erzählte – geistig völlig klar – von seiner großen Karriere. Es sollte sein letzter Auftritt werden, denn danach verschlechterte sich sein Zustand rapide: Rudi Hiden verstarb am 11. September 1973 und wurde acht Tage später in Floridsdorf beigesetzt. Zwar wohnten 200 Menschen seinem Begräbnis bei, gemessen an seiner früheren Bekanntheit blieb die große öffentliche Aufmerksamkeit jedoch aus. Die „Hand des Wunderteams“ war schon vergessen. Auch heute ist nur wenigen österreichischen Fußballfans bewusst, welch‘ genialer Torhüter einst seine Schuhe für Rot-Weiß-Rot schnürte. Die große Karriere des gebürtigen Steirers, sein rauschhaftes Leben, seinen langen und harten Absturz kann man heute als aufregende Geschichte nachlesen, tragisch, dass Hiden diesen tiefen Fall jedoch am eigenen Leib erfahren musste.

Marie Samstag