Die zweite Halbfinalbegegnung im deutsch-französischen Duell im Finalturnier der UEFA Champions League stand auf dem Programm, wo Underdog Olympique Lyon auf den Turnierfavoriten FC Bayern München traf. Dass es die Überraschungsmannschaft aus Lyon so weit im Turnier geschafft hat, war dabei für viele eine faustdicke Überraschung, schalteten die Franzosen doch hochdekorierte Mannschaften wie Juventus Turin oder Manchester City aus. Das sollte auch für die Bayern eine Warnung sein, die Franzosen nicht zu unterschätzen, auch wenn man sich selbst in blendender Verfassung präsentierte. Das demonstrierte man beim historischen 8:2-Sieg über den FC Barcelona, wo man die Katalanen nach allen Regeln der Kunst vorführte. Nach diesem Erfolg war also man nur noch einen Schritt vom Finale und einem möglichen Gewinn des „Tripple“ entfernt.
Lyon als unangenehmer Kontrahent
Seit der Übernahme von Bayern-Coach Flick, marschieren die Münchner nur so dahin und überrollen de facto jeden Gegner, der sich ihnen in den Weg stellt. Wenn man die aktuellen Bayern mit jenen aus dem Herbst vergleicht, sind die Münchner gar nicht wiederzuerkennen. Sie praktizieren eine hochdominante, pressinglastige Spielweise, welche an die besten Tage unter Jupp Heynckes zurückerinnert und den Bayern-Fans ein „Tripple“ bescheren könnte. Das demonstrierten die Bayern auch in der Viertelfinalbegegnung gegen den FC Barcelona, wo man dank der Zielstrebigkeit und der starken Pressingwellen haushoch gewinnen konnte. Nun stand mit Olympique Lyon im Vergleich dazu ein völlig konträrer Gegner auf dem Programm, der sich von der Spielanlage doch gehörig unterscheidet. Die Franzosen bauen ihre bisherigen Erfolge in der Champions League auf eine unheimlich stabile Defensivreihe auf, die man mit brandgefährlichen Kontern vereint. Das mussten die Teams von Juventus und Manchester City erleben, die sich an Lyon die Zähne ausbissen.
Vor allem das Viertelfinale gegen Manchester City war dabei äußerst spannend zu verfolgen, da selbst Star-Trainer Pep Guardiola anerkennend würdigte, was Lyon anzubieten hat. Daher ging Guardiola bei seinem Matchplan ziemlich stark auf die Franzosen ein, veränderte gar das System auf eine Fünferkette und versuchte eine stärkere Defensive aufzubieten, um gegen die Konterangriffe der Franzosen gewappnet zu sein. Letztlich sollte dies für die Katz gewesen sein, wie wir im Nachhinein wissen, denn die Franzosen präsentierten sich dennoch als kaltblütiger Gegner und nutzen ihre Gelegenheiten bei Konterangriffen eiskalt aus. Ähnliches hatte Lyon klarerweise auch gegen die Bayern vor und das sollte die Erfolgsformel sein, mit der man ins Finale einziehen wollte.
Olympique Lyon agierte dabei aus einer 5-3-2/5-4-1-Mischformation heraus und hatte sich einiges gegen die Bayern überlegt. Prinzipiell agiert man mit einem kompakten Block, der zwar meist abwartender agierte und die Bayern kommen ließ, allerdings alles andere tat, als sich tief hinten im eigenen Strafraum zu verbarrikadieren. Im Gegenteil: Die eigene Abwehrlinie stand dabei meist überraschenderweise sehr hoch und schloss konstant auf das Mittelfeld auf, was natürlich nicht ungefährlich war. Einerseits konnte man dadurch zwar gewährleisten, die Räume eng zu halten und auch das Herausrücken der Verteidiger aus der Abwehr zu erleichtern, allerdings bot sich den Bayern dafür ein teils großer Rückraum an, denn man hätte bespielen können. Daher musste Lyon danach trachten, schnell Zugriff auf die Gegenspieler zu erlangen und die Münchner nicht mit Tempo und einem offenen Gesichtsfeld auf das eigene Tor zulaufen zu lassen. Speziell die zentralen Zonen sollte dabei tabu sein für die Münchner, wo man mit den je drei Innenverteidigern und zentralen Mittelfeldspielern für eine dementsprechende Kompaktheit sorgen wollte.
Gegnerischer Fokus auf Alaba
Interessant war aber auch, wie man versuchte, gegen den Spielaufbau der Münchner vorzugehen. Dass es bei Lyon eine 5-4-1/5-3-2-Mischformation war, hing in erster Linie mit der Positionierung von Stürmer Toko Ekambi zusammen. Dieser stellte sich im Dunstkreis der Achse Alaba/Davies auf und bekam einen speziellen Auftrag mit. Er sollte dafür Sorge tragen, dass Alaba seine berüchtigten Dribblings ins Mittelfeld nicht durchführen konnte und sich durch die Bewachung auf einfache Zuspiele beschränken musste. Der Spielaufbau der Bayern sollte also vereinfacht gesagt von Alaba weggelenkt werden, da Lyon Alaba als Schlüsselspieler ausmachte. Zusätzlich rückte der Achter Caqueret konstant auf Thiago heraus, um den Spanier ebenfalls zu stellen und keine Freiheiten zu geben. Zum 5-4-1 wurde die Formation von Lyon dann, wenn Ekambi ins Mittelfeld rückte und Davies verfolgte, sofern der Flügelverteidiger nicht rechtzeitig nach vorne schieben konnte oder die Franzosen tiefer standen.
Doch meist verteidigte OL in einem 5-3-2-System, da die Rolle von Ekambi nicht nur auf einen Aspekt beschränkt war. Eher nutze man den Fokus auf Alaba dahingehend aus, dass man darauf auch die Strategie im Umschaltverhalten aufbaute. Ekambi sollte sich gezielt im Rücken von Davies aufhalten und nach Ballgewinnen als Anspielstation bereitstehen, um die Seite des Linksverteidigers defensiv zu attackieren. Das war taktisch auch nicht unklug, zeichnet Davies doch sein unheimlicher Offensivdrang aus und er legt seine Rolle sehr attackierend an. Dadurch entstehen allerdings Räume, die man anbohren kann. Daher hat der österreichische Teamspieler Alaba auch eine sehr herausfordernde Rolle, weshalb seine Leistungen öffentlich so wertgeschätzt werden.
In der Praxis bekamen die Bayern dann in der Anfangsviertelstunde mit, was es konkret bedeutet, gegen eine solch spiel- und konterstarke Truppe antreten zu müssen. Die Bayern versuchten ihr gewohnt mutiges und offensives Spiel von der ersten Minute an durchzuziehen und über ein giftiges Gegenpressing die gefährlichen Konterangriffe der Franzosen zu unterbinden. Mit den physisch präsenten Depay und Ekambi hatte Lyon allerdings konstant im Umschaltspiel Anspielstationen und noch dazu eine Gleichzahl gegen die beiden Innenverteidiger der Bayern, die ja durch die offensiven Außenverteidiger viel Raum abzudecken hatten. Verbunden mit dem spielstarken Zentrum von OL, braute sich eine gefährliche Mischung für die Bayern zusammen. Und Lyon demonstrierte dies auch ansehnlich, denn bereits nach wenigen Minuten wurde Depay nach einer Balleroberung im Mittelfeld mit einem Steilpass auf die Reise geschickt und setzte alleine vor dem Tor den Ball nur knapp daneben.
Auch danach gelang es Lyon immer wieder, sich aus dem Gegenpressing der Bayern zu befreien und die schnellen Spitzen in die Tiefe zu schicken. So auch im Vorfeld des Stangenschusses von Lyon, wo Ekambi den Rücken von Davies attackierte und die hochstehende Abwehr der Bayern aushebelte, ehe er im Anschluss am Aluminium scheiterte. Die Bayern wären jedoch keine Spitzenmannschaft, wenn sie darauf keine Antwort parat gehabt hätten. Genau in dieser Druckphase gingen die Münchner entgegen des Spielverlaufs in Führung, nachdem Offensivspieler Gnabry nach einem unwiderstehlichen Antritt per Fernschuss ins lange Eck traf.
Bayern nimmt weniger Risiko und stabilisiert sich
Dieser Führungstreffer war natürlich Balsam auf die Seele der Münchner, die gut und gerne auch mit 0:2 in Rückstand hätten liegen können. Man stabilisierte sich zumindest etwas und konnte die Frequenz an gefährlichen Konterangriffen minimieren. Die Spielkontrolle hatte man zwar nach wie vor nicht gänzlich, aber man stand zumindest nicht laufend vor der Gefahr, einen Gegentreffer zu kassieren. Man brachte aber auch vermehrt den Matchplan etwas besser in der Offensive zur Geltung und versuchte nicht mehr, quasi mit dem Kopf durch die Wand durch das Zentrum angreifen zu wollen und damit mögliche Ballverluste zu provozieren. Stattdessen probierte man, geduldiger in der Ballzirkulation zu agieren und den Block von Lyon in Bewegung zu bringen – speziell aber vermehrt zu langen Bällen zu greifen.
Da Lyon mit einer recht hohen Abwehrlinie verteidigte, boten sich dahingehend auch Möglichkeiten für die Bayern an. Die vier Offensivspieler der Münchner bedrohten daher auch konstant die Abwehr von OL mit Tiefenläufen und lauerten auf die Möglichkeit, möglicherweise freigespielt zu werden. Das gelang auch beim Führungstreffer recht gut, als Gnabry auf der rechten Seite mit einem Chipball freigespielt werden konnte. Am gefährlichsten wirkte Bayern jedoch, sofern man infolge des eigenen starken Pressings zu Ballgewinnen kam und ebenfalls schnelle Gegenstöße fahren konnte. Vor allem gegen das Angriffspressing der Bayern, welches man aus einer 4-2-3-1-Formation mit Kommandogeber Müller praktizierte, sah Lyon nur selten wirklich Land und musste daher zu vielen langen Bällen greifen.
Nach einem Ballgewinn im Gegenpressing legte man dann auch den Grundstein für das 2:0 und durch den Abstauber von Gnabry konnten die Bayern die Führung sogar ausbauen. Danach gab es von den Bayern meist das gleiche Muster zu sehen: Behutsame Ballzirkulation, ein abkippender Thiago, der die Innenverteidiger unterstützte und viele Flügelangriffe. Dadurch beruhigte man vordergründig die eigene Defensive, indem man die Bälle nicht mehr so leicht verlor bzw. wenn, dann in Positionen wo es nicht gefährlich werden konnte. So ging es mit einer 2:0-Führung in die Pause.
Lyon wird mutiger und riskiert
Nach dem Wiederanpfiff zum zweiten Durchgang, änderte sich an der Spielanlage der Bayern relativ wenig. Man versuchte weiterhin vornehmlich den Ball behutsam in den eigenen Reihen laufen zu lassen, Flügelangriffe zu forcieren und im Pressing für Zugriff zu sorgen. Die absolute Spielkontrolle erlangte man allerdings auch weiterhin nicht, da Lyon gut mitspielte und sich als gefährlicher Gegner präsentierte. Der Trainer der Franzosen, Rudi Garcia, ermutigte seine Mannen im zweiten Durchgang etwas weiter nach vorne zu rücken und situativ die Bayern auch anzupressen und so für Ballgewinne zu sorgen. Daher war das Mittelfeld von OL auch vermehrt in der gegnerischen Hälfte präsent, um das Spiel weiter von der eigenen Hälfte fernzuhalten, auch wenn man oftmals nur die Bayern zustellte. Das behagte den Bayern nicht wirklich und Lyon kam zu einigen guten Ballgewinnen, wobei Ekambi recht zügig eine große Möglichkeit auf den Anschlusstreffer vorfand.
Lyon tat sich aber insgesamt schwerer, gegen die gut abgesicherten Bayern größere Räume vorzufinden, da der deutsche Rekordmeister den Franzosen das Spiel in die Tiefe zunehmend nehmen wollte. Daher unterstützten die beiden zentralen Mittelfeldspieler Thiago und Goretzka tatkräftig die Abwehr und dachten/agierten nicht mehr so offensiv. Daher war Lyon gezwungen, klarerweise immer mehr Ressourcen in die Offensive zu stecken und zunehmend das Risiko zu erhöhen. Dadurch entstanden für die Bayern wiederum Räume zum Kontern und man fand einige gefährliche Umschaltsituationen vor, um für die endgültige Entscheidung zu sorgen. Auf der anderen Seite kam Lyon nur noch selten zu guten Abschlussaktionen und wenn man eine vorfand, zeigte man sich im Abschluss nachlässig. Daher verwalteten die Münchner den Vorsprung mit der fortlaufenden Zeit immer besser und setzten kurz vor Schluss mit dem 3:0 durch Lewandowski sogar noch den Deckel drauf.
Fazit
Die Bayern zogen also mit einem 3:0-Sieg über Olympique Lyon in das Finale der Champions League ein. Was sich aufgrund des Ergebnisses auf den ersten Blick nach einer klaren Angelegenheit anhörte, entpuppte sich im Spiel als mühevolle Aufgabe für die Bayern. Speziell in der Anfangsphase wackelte man gehörig und kann von Glück reden, nicht 0:2 in Rückstand gelegen zu haben. Allerdings macht eine Spitzenmannschaft auch aus, dass man gerade in schwierigen Situationen die richtigen Dinge macht und sich speziell vor dem Tor eiskalt zeigt. Mit dem Doppelschlag Mitte des ersten Durchgangs legte man den Grundstein dafür, etwas Ruhe in die Partie zu bringen und die eigene Leistung zu stabilisieren. Klar ist jedoch, dass solche Unzulänglichkeiten bei gegnerischen Kontern Finalgegner PSG nicht verzeihen wird und mit Spielern wie Neymar und Mbappé ganz andere Kaliber auf die Münchner warten.
Auf der anderen Seite kann Lyon mit erhobenem Haupt die Rückreise antreten – mit dem Wissen, ein tolles Finalturnier gespielt zu haben. Auch gegen die Bayern hatte man die Möglichkeit auf eine faustdicke Überraschung, allerdings war man im Gegensatz zu den Spielen gegen Juventus und Manchester City vor dem Tor nicht eiskalt genug und ließ beste Möglichkeiten liegen. Spannend wäre es sicherlich gewesen, was passiert wäre, wenn OL noch den Anschlusstreffer hätte erzielen können. So konnte man letztlich nicht mehr für einen Umschwung sorgen und verabschiedet sich nach einer starken Europacup-Saison in den kurzen Urlaub.
Dalibor Babic
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