Der Auftakt für das Finalturnier in der UEFA Champions League in Portugal stand auf dem Programm und wurde von den Fans lange herbeigesehnt. Aufgrund des engen Terminkalenders, werden dabei die ausstehenden Spiele in direkten K.O.-Duellen entschieden, was zusätzliche Brisanz verspricht. Diese Extraportion Brisanz bei der Partie zwischen dem französischen Serienmeister Paris SG und dem italienischen Überraschungsteam Atalanta Bergamo hätte es wohl nicht gebraucht. PSG hechelt schon seit Jahren einem Erfolg in der Champions League hinterher, der trotz riesigen Investitionen bislang ausblieb, weshalb der Druck entsprechend groß war. Nun sollte es endlich soweit sein und im Eilverfahren der Titel errungen werden. Atalanta Bergamo ging zwar aufgrund der finanziellen Begebenheiten als Außenseiter ins Spiel, doch jeder der die Italiener in dieser Saison verfolgt, weiß, dass das bei diesem Spiel keine Aussagekraft haben würde.
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Atalantas extreme Mannorientierung
Atalanta Bergamo ging dabei mit einem Vorteil in das Spiel hinein, stand man doch im Gegensatz zu PSG noch voll im Saft, da die Saison in Italien erst vor kurzem zu Ende ging. Dagegen hatten die Franzosen ihr letztes Meisterschaftsspiel vor einem halben Jahr, was im heutigen Fußball eine halbe Ewigkeit ist. Das erschwerte die Aufgabe für PSG natürlich, ist doch Atalanta auch ohne dieses Handicap bereits ein harter Brocken.
Die Italiener etablierten sich unter Trainer Gasperini zu einem taktisch herausragenden Team, das mit toller Organisation glänzt und mit spektakulärem Spiel aufwarten kann. Der Beweis sind die 98 erzielten Saisontore in der Serie A, womit man 22 mehr als Meister Juventus auf dem Konto hatte. Atalanta zeichnet dabei ein flexibles 3-4-1-2-System aus, welches in den defensiven Phasen zu einem 5-3-2 wird. Der Grundfokus liegt dabei auf dem Ballbesitzspiel, welches über ein sauberes Positionsspiel vollzogen wird und den Gegner so vor Probleme stellen soll. PSG bekam es also mit einem hervorragend organsierten Gegner zu tun, der in verschiedenen Bereichen Schwierigkeiten verursachen kann.
Das markante Muster von Atalanta sind dabei die vielen Mannorientierungen, zu denen man im Spiel gegen den Ball greift. Jeder Spieler hat einen direkten Gegenspieler und muss sich um diesen kümmern, was natürlich Vor- und Nachteile mit sich bringt. Prinzipiell wird diese Vorgehensweise in der Art und Weise nur von wenigen Mannschaften so extrem praktiziert, da es perfekt einstudierte Automatismen braucht und man auch in der Kommunikation klar sein muss – etwa bei der Übergabe von Gegenspielern. Diesen Ansatz veränderte Atalanta auch gegen PSG nicht und so verteidigte man aus einer 3-4-1-2-Formation quasi spiegelgleich das 4-3-3 der Franzosen.
Die Italiener stellten dabei bereits das Aufbauspiel von PSG mit den Mannorientierungen zu und so hatte jeder Spieler einen direkten französischen Gegenspieler. Das Besondere an dieser Vorgehensweise war, dass Atalanta damit in der letzten Linie gegen die gegnerischen Stürmer de facto Mann gegen Mann verteidigte, was nicht gerade ungefährlich war. Eine Unkonzentriertheit oder ein verlorener Zweikampf würde dann nämlich bedeuten, dass man in große Schwierigkeiten geraten könnte. Daher versuchte Atalanta das Spiel so weit wie möglich vom eigenen Tor fernzuhalten und PSG bereits früher zu attackieren bzw. zuzustellen.
Wichtig war aber auch die Entlastung im Spiel mit dem Ball, wo man PSG vor Probleme stellen wollte. Atalanta setzt dabei auf ein klares Positionsspiel und eine strukturierte Raumaufteilung, von der das Spielgerät durch die eigenen Reihen wandert. Eine Schlüsselrolle übernimmt dabei die Dreiecksbildung, die man von Atalanta konstant sieht und die in den verschiedenen Zonen aufgebaut wird. Garniert mit einem guten Bewegungsspiel, welches darauf ausgelegt ist, vertikale und diagonale Anspielstationen zu ermöglichen, schafft es Atalanta den Ball gut in den eigenen Reihen zirkulieren zu lassen.
Eine entscheidende Rolle nimmt damit Kapitän Gomez ein, der quasi der Freigeist bei den Italienern ist. Er taucht überall auf dem Feld auf, übernimmt die Rolle als Kombinationspartner und versucht Überzahlsituationen herzustellen oder gefährliche Angriffe zu initiieren. Darüber hinaus sind auch die Offensivspieler Zapata und Pasalic recht flexibel und speziell Mittelstürmer Zapata weicht viel auf den Flügel aus, um für die nachrückenden Spieler Räume zu schaffen. Dabei versucht Atalanta vor allem über die Flügelzone und mittels der Dreiecksbildung Durchbrüche zu kreieren, um dann Mittelstürmer Zapata zu bedienen oder alternativ Raum für Gomez im Zentrum zu schaffen.
„Falsche Neun“ Neymar als Schlüssel
Zu Beginn demonstrierte Atalanta auch diese Vorgehensweise und legte eine ordentliche Anfangsphase hin, in der man gut in das Spiel fand und auch zur ersten guten Möglichkeit des Spiels kam. Doch auch Paris überlegte sich natürlich einige Dinge, die man gegen das besondere Konzept von Atalanta umzusetzen versuchte. Die Franzosen mussten bekanntlich zunächst auf Mbappe verzichten, der erst vor kurzem wieder ins Training einsteigen konnte.
Damit verlagerte sich noch mehr Verantwortung auf die Schultern von Superstar Neymar, der für die zündenden Ideen sorgen sollte. Darüber hinaus bekam Neymar auch noch eine besondere Rolle im 4-3-3-System von Trainer Tuchel zugewiesen, da er den Brasilianer als Schlüssel gegen Atalantas Defensivkonzept ansah. Neymar wurde nicht wie gewöhnlich auf dem linken Flügel aufgestellt, sondern wanderte ins Sturmzentrum, weshalb der nominelle Neuner Icardi stattdessen auf die rechte Seite ausweichen musste. Warum entschied sich PSG-Trainer Tuchel für diese Variante? Damit sollte gewährleistet werden, dass Neymar sich frei auf dem Feld bewegen konnte, ohne in der Rückwärtsbewegung für Disbalance zu sorgen.
Neymar sollte schlicht als Löser gegen die vielen Mannorientierungen fungieren. Durch seine Freirolle, sollte er Lücken beim Gegner suchen und für Übergabeprobleme bei den Italienern sorgen. Der Lösungsansatz war also, durch Neymar den mannorientierten Block der Italiener zu destabilisieren und aufzulösen. Und bereits nach wenigen Minuten funktionierte dieser Ansatz und führte zu einer großen Möglichkeit, nachdem Neymar mit einem simplen Doppelpass die gesamte Verteidigung aushebelte, um dann alleine vor dem Tor am Gehäuse vorbeizuschießen.
Da deutete der Brasilianer bereits an, dass er sehr gut aufgelegt und bereit war, diese Schlüsselrolle einzunehmen und sein Team zu führen. Es war allerdings nicht so, dass PSG mit Leichtigkeit in der Offensive agierte, eher im Gegenteil. Abgesehen von Neymar, schafften es kaum Spieler, sich konstant von diesen Manndeckungen zu lösen und die gegnerische Defensive zu destabilisieren. Daher lief sich PSG oftmals an der perfekt eingestellten Defensive der Italiener fest, wodurch Atalanta auch zu einigen Ballbesitzzeiten kam. Dabei gelang es Atalanta auch immer wieder den Ball länger in den eigenen Reihen zirkulieren zu lassen und PSG gelegentlich nach hinten zu drücken.
Begünstigt wurde dies auch noch durch die Führung durch Pasalic, der Atalanta mit einem schönen Schlenzer nach einem Pressball in Führung brachte. Das führte dazu, dass PSG den Zugriff immer mehr verlor und auch das situative Pressing öfter ins Leere lief. Durch das breitangelegte Positionsspiel von Atalanta wurde PSG gut auseinandergezogen und die Italiener fanden immer wieder Räume für ihre Kombinationen im Mittelfeld vor.
Die einzige Form der Entlastung gab es für Paris, sofern Neymar sich anmachte für besondere Momente zu sorgen, es unter anderem mit mehreren Gegenspielern aufzunehmen und nach gewonnenen Dribblings seine Kollegen in Szene zu setzen. Ohne den brasilianischen Teamspieler, hätte es bei den Franzosen – das gesamte Spiel betrachtend – wohl äußerst düster ausgesehen.
Atalanta wird passiver, Joker Mbappe belebt PSG
Nach dem Wiederanpfiff wirkte PSG zunächst nochmal um einen Tick aggressiver und zielstrebiger, versuchte mehr Dynamik und Feuer in ihr Offensiv- und Pressingspiel zu bringen und die Intensität zu erhöhen. Das führte dazu, dass Atalanta zunehmend zurückhaltender wurde und von Minute zu Minute eine Spur nach hinten rückte. Das merkte man vor allem anhand der fehlenden Entlastung, denn die Italiener verloren das Spielgerät recht schnell und konnten kaum mehr geordnet und in Ruhe die Angriffe vorbereiten. So verließ man sich immer mehr auf die eigene starke Defensive, die die Franzosen weitestgehend gut im Griff hatte.
Man versuchte zusätzlich immer öfter den Rhythmus von Paris mit kleinen Fouls zu brechen und vor allem Neymar mit dieser Methode die Lust am Spiel zu nehmen. Das hatte zwar einige Verwarnungen zur Folge, allerdings kam dadurch bei PSG kein richtiger Spielfluss zustande und man schaffte es auch, Neymar besser unter Kontrolle zu bringen.
Allerdings hatte Paris noch einen Trumpf in der Hand, der schnell gezogen wurde. Man wechselte recht bald den wiedergenesenen Mbappe ins Spiel ein, der gemeinsam mit Neymar eine Aufholjagd starten sollte. Die Einwechslung des französischen Superstars hatte auch einen absolut positiven Effekt auf das Offensivspiel von Paris, denn plötzlich war wesentlich mehr Dynamik und Tiefe im Spiel, was Atalanta noch weiter nach hinten drückte und vor Probleme stellte.
Mbappe kreierte auch prompt einige gefährliche Situationen und tauchte vor dem gegnerischen Kasten auf, jedoch war der Abschluss nicht gut genug oder Atalanta klärte im letzten Moment. Je schneller die Zeit verging, desto verzweifelter wurden die Angriffsbemühungen von PSG. Trainer Tuchel brachte dann auch noch einige neue Offensivspieler hinein und setzte alles auf eine Karte, was sich letztlich auch bezahlt machte. In der Nachspielzeit erzielte zunächst Marquinhos den Ausgleich, ehe wenig später der eingewechselte Choupo-Moting das Spiel völlig auf den Kopf stellte und zum umjubelten 2:1 traf. In beiden Szenen hatte Freigeist Neymar seine Beine entscheidend im Spiel und machte letztlich so den Unterschied in dieser Partie aus.
Fazit
Mit den beiden späten Gegentreffern, wurde das Überraschungsteam Atalanta Bergamo ins Tal der Tränen gestürzt. Damit wurde man für die Passivität in der zweiten Halbzeit bitter bestraft, wo man auf einen Ballbesitzanteil von nur 30 Prozent kam – was eigentlich völlig untypisch für die Italiener ist.
Vermutlich hing das auch mit der verletzungsbedingten Auswechslung von Kapitän Gomez zusammen, mit dem das Offensivspiel steht und fällt. In der ersten Halbzeit zeigte Atalanta, warum man zurecht im Viertelfinale der Champions League stand, präsentierte sich taktisch hervorragend organisiert und in der Lage, auch größere Teams mit wesentlich mehr Möglichkeiten vor Schwierigkeiten zu stellen. Letztlich fehlte nicht viel, um ins Halbfinale einzuziehen.
Auf der anderen Seite darf sich PSG bei der individuellen Klasse von Neymar bedanken, der an diesem Abend das Um und Auf bei den Franzosen war. Ohne den Brasilianer hätte es düster ausgesehen, was auch ein Blick auf die Statistik verrät: 113 Ballkontakte, 15 (!) erfolgreiche Dribblings, sieben Abschlüsse und fünf Schlüsselpässe standen letztlich beim Superstar zu Buche und unterstreichen dessen überragende Performance an diesem Abend. Ansonsten tat sich der Rest der Mannschaft schwer, Lösungen gegen die vielen Mannorientierungen zu finden und sich erfolgsstabil dagegen durchzusetzen. Zum Glück für Paris werden Akteure wie Mbappe und der zuletzt gesperrte Di Maria wieder in die Mannschaft rücken, denn ersetzen konnte man diese im Spiel gegen Atalanta nicht wirklich.
Dalibor Babic, abseits.at
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