Am zweiten Spieltag der UEFA Champions League stand für den österreichischen Meister Red Bull Salzburg ein echtes Highlight auf dem Programm. Man durfte beim... Analyse: Salzburg schrammt knapp am Wunder von Anfield vorbei

Am zweiten Spieltag der UEFA Champions League stand für den österreichischen Meister Red Bull Salzburg ein echtes Highlight auf dem Programm. Man durfte beim amtierenden Champions-League-Sieger Liverpool antreten und den heiligen Rasen von Anfield aus nächster Nähe aus betrachten. Die Bullen traten die Reise jedoch nicht nur aus Sightseeing-Gründen an, sondern wollten nach dem Auftaktsieg gegen Genk etwas Zählbares aus England mitnehmen und sich eine gute Ausgangsposition für das Überwintern in einem europäischen Bewerb sichern.

Salzburg überraschend passiv

Nachdem man am Wochenende relativ mühelos und mit der zweiten Garnitur die Wiener Austria mit 4:1 bezwingen konnte, legte man damit den Grundstein dafür, beim Auswärtsspiel an der Anfield Road eine ausgeruhte und fitte Mannschaft auf das Parkett zu schicken. Bullen-Trainer Marsch vertraute dabei auf das bewährte 4-4-2-System, wobei es personell durchaus Überraschungen gab. So musste Stammspieler Ramalho auf der Bank Platz nehmen und Onguene wurde dem Brasilianer vorgezogen – vermutlich aus athletischen Überlegungen gegen die pfeilschnellen Gegenspieler. Topstürmer Haaland meldete sich nach einer Krankheit zwar wieder fit, musste jedoch zunächst ebenfalls auf der Bank Platz nehmen.

Spannend war vor allem die Frage, wie es die Salzburger gegen den nominell übermächtigen Gegner anlegen werden würden. Zieht man das eigene Spiel durch und geht mit einem intensiven Pressing hohes Risiko gegen die brutalschnelle Offensive der Engländer? Oder lässt man den Gastgeber zunächst kommen und versucht, über eine kompakte Ordnung für Nadelstiche nach vorne zu sorgen?

Salzburg-Trainer Marsch entschied sich zunächst etwas überraschend für die zweite Variante. Die Bullen ließen den Spielaufbau von Liverpool überwiegend in Ruhe und man versuchte stattdessen die Räume und Passoptionen zuzustellen. Die beiden Stürmer Hwang und Daka orientierten sich bei gegnerischem Spielaufbau in erster Linie an den beiden tieferen Sechser der Engländer und ließen die Innenverteidiger in Ruhe, während das Mittelfeld dahinter kompakt die zentralen Räume verteidigte und Liverpool auf die Flügel leiten wollte.  Interessant war vor allem, dass die beiden Stürmer von Salzburg gegen den Ball nicht tief mitverteidigten und ihre Kollegen unterstützten, sondern sehr hoch standen, um nach Ballgewinn mit ihrer Schnelligkeit als Umschaltstationen zu dienen.

Doch der Matchplan der Salzburger wurde von Liverpool von Beginn an auf die Probe gestellt. Von Anfang an wirkten die Gastgeber zielstrebig und fokussiert, erhielten im Gegenpressing schnell Zugriff und sorgten für schnelle Ballrückeroberungen, wodurch man das Spielgeschehen in die Hälfte der Salzburger verlagern konnte und gleichzeitig die gefährlichen Konter der Gäste unterband. Als Schwachpunkt ortete der amtierende Champions-League-Sieger scheinbar die rechte Abwehrseite der Österreicher, die man gezielt anbohrte. Nicht nur, dass man mit Mane eine echte Waffe auf dem linken Flügel zur Verfügung hat, Liverpool versuchte auch gezielt den Senegalesen freizubekommen und seine Stärken zur Entfaltung zu bringen. Aus diesem Grund bekam Mane sehr viel Unterstützung von den ausweichenden Firmino und Wijnaldum, die jeweils abwechselnd auf dem linken Flügel für Gegenbewegungen sorgten und so versuchten, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, damit Mane freier agieren konnte.

Vor allem die Bewegungen von Firmino sind im Spiel von Liverpool mittlerweile ein Markenzeichen geworden. Der Brasilianer agiert als sehr weiträumige „Neun“ und mehr oder weniger wie ein Spielmacher und ein Stürmer in einem, da er sich sehr viel ins Mittelfeld fallen lässt und am Kombinationsspiel aktiv teilnimmt. Durch die raumöffnenden Bewegungen von Firmino, können Mane und Salah wesentlich zentraler in ihrer Positionierung agieren und wie in einem Trichter in die Mitte rücken, um vermehrt mit ihrer Schnelligkeit den Rücken der Abwehr attackieren zu können.

Beide eben beschriebenen Vorgehensweisen, bereiteten den Salzburgern große Schwierigkeiten. Dadurch, dass die Gäste mit dem eigenen Block recht zentral agierten und Räume auf dem Flügel frei ließen, konnte Liverpool durch die Überladungen und Gegenbewegungen das Mittefeld der Bullen destabilisieren und sich nicht nur relativ einfach ins letzte Drittel spielen, sondern den Ball in den eigenen Reihen horizontal laufen lassen und damit die eigene Ballzirkulation nach Belieben fortführen. Für Salzburg war das klarerweise ein ungewohntes Gefühl, dem Spielgerät so lange hinterherzulaufen, ohne richtig in die Zweikämpfe zu kommen und für Zugriff zu sorgen. Aber auch der Tiefgang von Mane und Salah sorgte für einige brenzlige Situationen, die die Salzburger überstehen mussten. So sorgte Sadio Mane bereits in der Anfangsphase nach einer unwiderstehlichen Aktion für das frühe 1:0 für die Gastgeber und brachte seine Mannen damit in Front.

Salzburg mit der Intensität überfordert

Dieser Rückschlag wirkte sich natürlich nicht gerade förderlich auf das Gemüt der Salzburger aus. Liverpool dominierte nach Belieben und konnte den Ball von links nach rechts zirkulieren und die Gäste laufen lassen, auch wenn man nicht mit der höchsten (vertikalen) Durchschlagskraft agierte. Was war das Problem der Salzburger? Man schien vor allem mit der passiven Grundhaltung eher schlecht als recht klarzukommen. Oft kam man zu spät in die Zweikämpfe und unterstützte sich nicht gegenseitig, wobei vor allem Minamino auf der rechten Seite gegen Robertson und Mane heillos überfordert war. Der Japaner kam kaum in einen Zweikampf und war meist zu spät dran, weshalb dessen Unzulänglichkeiten exemplarisch unter anderem auch zum 2:0 führten, als er Robertson ohne Widerstand aus dem Spielaufbau herausziehen ließ und dieser im Anschluss das 2:0 erzielen konnte, wie man das beim folgenden Bild gut erkennen kann:

Liverpool im Spielaufbau, Robertson zieht mit einem einfachen Haken nach innen an Minamino vorbei. Der Japaner kann in der Situation nicht auf Unterstützung hoffen, da das restliche Mittefeld nicht zum Ball verschoben und die Situation verschlafen hat, weshalb Robertson mit Tempo tief in die gegnerische Hälfte vorstoßen kann und in weiterer Folge das 2:0 erzielt.

Doch nicht nur Minamino wirkte fahrig, die gesamte Offensive wirkte nicht wirklich anwesend. Man rutschte oft aus, verlor fast jeden Zweikampf gegen die physisch starke Abwehr von Liverpool und konnte dadurch kaum Bälle sichern, geschweige den Entlastungsangriffe fahren. Dazu traf man selbst bei aussichtsreichen Konterchancen oft die falsche Entscheidung, die durchaus vorhanden waren, da die Innenverteidigung von Liverpool einige Male in Gleichzahlsituationen geschickt wurde. Kurzum, man wirkte nicht nur mutlos, sondern auch mit der Intensität und dem Tempo überfordert.

Aus diesem Grund sah sich Salzburg-Trainer Marsch genötigt, ins Spiel einzugreifen und mit Adaptionen sein Team ins Spiel zurückzubringen. Nach etwas mehr als einer halben Stunde veränderten die Salzburger nämlich ihr System und rückten vom 4-4-2 ab, um fortan in einem 4-1-3-2 System und einem rautenförmigen Mittelfeld aufzulaufen. Minamino wurde von der Aufgabe am rechten Flügel erlöst und Szoboszlai und Mwepu rückten stattdessen auf die Halbpositionen, während Junuzovic den alleinigen Sechser vor der Abwehr und Minamino den „Zehner“ gab. Doch bevor die Umstellungen greifen konnten, erzielte Liverpool das 3:0 und wieder war der Ausgangspunkt die linke Seite, wo sich die Gastgeber ein ums andere Mal durchsetzen konnten.

Als es ganz so schien, als hätte Liverpool die Vorentscheidung in diesem Spiel besorgt, schlugen die Salzburger aus dem Nichts plötzlich zu: Man attackierte mit dem eigenen Gegenpressing endlich etwas aktiver in der gegnerischen Hälfte, Hwang kam an den Ball, tanzte Europas Fußballer des Jahres Van Dijk aus und erzielte sehenswert kurz vor der Halbzeitpause den 3:1 Anschlusstreffer. Das sollte letztlich den Startschuss zu einer der denkwürdigsten Halbzeiten in der österreichischen Fußball-Geschichte ebnen.

Salzburg kehrt mit altem Gesicht zurück

Was sich vor der Halbzeit mit der Adaption schon andeutete, wurde nach der Halbzeitpause natürlich noch intensiviert. Das 4-1-3-2 behielt man bei und passte es personell minimal an, indem der athletische Mwepu auf die rechte Seite wanderte, um der starken linken Außenbahn von Liverpool Paroli bieten zu können. Mit der Umstellung auf das rautenförmige 4-1-3-2 stellte man auch eine klarere Zuteilung her, da jeder Salzburger einen unmittelbaren Gegenspieler zugewiesen bekam. Dadurch konnte man nicht nur den eigenen Verbund kompakt halten, für klarere Abläufe und Sicherheit beim Attackieren sorgen, sondern auch mehr Spieler in die gegnerische Hälfte bringen, da man auch die Pressinglinie etwas nach vorne verschob. Die Folge davon war, dass Salzburg sich mit einem ganz anderen Gesicht präsentierte. Plötzlich attackierte man aggressiv und im Mannschaftsverbund den Gegner, presste Liverpool schon in der gegnerischen Hälfte an und setzte die Gastgeber speziell mit dem eigenen Gegenpressing wesentlich frühzeitiger unter Druck.

Beflügelt durch diese aktive Spielweise, konnte man den Engländern plötzlich Spielanteile abtrotzen und für immer mehr Ballgewinne sorgen. Liverpool wirkte von der Aggressivität der Bullen überrascht und stellte den eigenen Spielaufbau mehr oder weniger ein. Das führte dazu, dass man keine Ruhe mehr in das eigene Spiel bekam und durch die leichtfertigen Ballverluste die Kontrolle zunehmend verlor, während Salzburg sich über diese Ballgewinne immer weiter nach vorne arbeiten konnte. Doch auch spielerisch zeigten die Bullen plötzlich ein anderes Gesicht. Minamino blühte auf der Spielmacher-Position auf und konnte sehr oft im Zwischenlinienraum freigespielt werden, wo er gemeinsam mit dem starken Hwang die Bälle nach vorne beorderte und die Defensivreihen des Gegners durcheinanderwirbelte. Doch vor allem über schnelle Flügelangriffe über die ausweichenden Stürmer und Direktspiel aus dem Mittelfeld heraus, kam man ein ums andere Mal gefährlich in das letzte Drittel hinein und war speziell im Umschaltspiel brandgefährlich.

Passend zu den gewonnenen Spielanteilen und der erhöhten Präsenz in der gegnerischen Hälfte, erzielte man auch im richtigen Moment das 3:2. Über den linken Flügel bediente der ausgewichene Hwang den am zweiten Pfosten lauernden Minamino, der mit einer wunderschönen Direktabnahme den Anschlusstreffer erzielte. Dieser Nackenschlag zeigte sichtlich Wirkung bei Liverpool und man verlor jegliche Sicherheit und zum Teil auch die eigene Ordnung in der Defensive. Salzburg presste nun auch gut die Flügelzonen an und agierte auch mit der Abwehrlinie teils sehr hoch, wodurch die Räume für Liverpool enger wurden. Des Weiteren wurde die Abwehr weiterhin in gefährliche Mann gegen Mann-Situationen gebracht und Liverpool war nicht mehr in der Lage, die brandgefährlichen Umschaltmomente der Österreicher konsequent zu verteidigen. Das mündete letztlich in der Sensation, dass Salzburg nach einem 0:3 Rückstand tatsächlich der Ausgleich gelang. Erneut setzte man sich stark auf dem Flügel durch und brachte Minamino den Ball zur Mitte, wo der zuvor eingewechselte Haaland nur noch zum 3:3 Ausgleich einschieben musste.

Erst danach erkannte Liverpool den Ernst der Lage und auch Liverpool-Trainer Klopp versuchte Signale von der Seitenlinie an seine Mannen zu senden. Er brachte mit Origi einen zusätzlichen Angreifer und stellte auf 4-4-2 um. Das Ziel dahinter war klar, mit den vier sehr offensiv ausgerichteten Angreifern, sollte der Rücken der pressenden Salzburger angebohrt und mit der höheren Präsenz im Angriff die Gäste nach hinten gedrückt werden. Und tatsächlich, Liverpool begann allmählich wieder die Kontrolle zurückzuerlangen und das Spiel beruhigen zu können. Man begann wieder einen Spielaufbau zu praktizieren und den Ball länger in den eigenen Reihen laufen zu lassen, wodurch man selber wieder an Sicherheit gewann und die Gäste nachlaufen mussten. Aber auch das Gegenpressing kam wieder in Fahrt und man konnte dadurch die Angriffe der Salzburger schneller im Keim ersticken.

Im richtigen Moment erzielte man dann den erneuten Führungstreffer. Nachdem Fabinho im Gegenpressing den Ball zurückeroberte, kam der Ball zu Salah, der sich die Chance nicht nehmen ließ und zum 4:3 traf. Die Salzburger versuchten zwar noch ihr möglichstes, allerdings fand Liverpool endgültig zu seiner Ordnung wieder zurück und mit der Doppelsechs bekam man im 4-4-2 die Raute der Salzburger besser verteidigt, weshalb die Gäste auch kaum mehr gefährlich vor das Tor kamen. So mussten sich die Salzburger letztlich knapp aber doch mit 4:3 geschlagen geben.

Fazit

Red Bull Salzburg hat in den vergangenen Jahren einige denkwürdige Auftritte auf internationalen Boden hingelegt, doch diese Performance gegen den aktuellen Champions League-Sieger übertrumpft wohl alles. Auswärts gegen die wohl beste Mannschaft der Welt einen 0:3-Rückstand aufzuholen und beinahe einen Punkt von der Anfield Road mitzunehmen, das spricht schon für sich. Es bleibt allerdings letztlich das Gefühl, dass insgesamt mehr drinnen gewesen wäre. Vor allem die erste Halbzeit verschlief man weitestgehend und agierte nicht nur mutlos, sondern auch zu vorsichtig und passiv, weshalb man keinen Zugriff auf das Spiel bekam und Liverpool nicht wehtun konnte.

Erst nach der Systemumstellung und der Devise, aggressiver zu pressen und ballorientierter zu agieren, kamen die Bullen in ihr übliches Muster zurück und fanden damit auch ihre Identität wieder. Mit ihren Stärken im Gegenpressing und im brutal direkten Umschaltspiel, konnte man damit Liverpool ordentlich ins Schwitzen bringen und viele klare Ballgewinne und gefährliche Situationen kreieren. Letztlich fehlte allerdings die letzte Abgebrühtheit und Routine, was man vor allem nach dem 3:3 sehen konnte. Da agierten die Bullen erneut etwas passiver und verloren viele Bälle verfrüht, wodurch Liverpool sich nach vorne arbeiten konnte und die Kontrolle wiedererlangte.

Doch nichtsdestotrotz war dieser Auftritt für den österreichischen Meister ein denkwürdiger und man stellte erneut unter Beweis, dass man im Konzert der Großen ohne Probleme bestehen und mitspielen kann. Konserviert man die guten Phasen und bringt sie konstanter auf das Spielfeld, wäre auch ein Aufstieg ins Achtelfinale durchaus machbar. Dies wird sich wohl in den kommenden beiden Duellen gegen Napoli entscheiden, wo man dafür den Grundstein legen könnte.

Dalibor Babic