„Football bloody hell!“ – dieses lautmalerische Zitat ist wohl das Bonmot, das alle Emotionen und auch Ungerechtigkeiten, die mit dem beliebtesten Sport der Welt einhergehen, am besten auf den Punkt bringt. Es stammt von einem Mann, der den Bayern einer der größten Niederlage ihrer Geschichte beigebracht hat: Sir Alex Ferguson.
Zugegeben, das Ausscheiden gegen Atletico Madrid hat nicht die epochalen Züge der Last-Minute-Niederlage gegen Manchester United im Champions-League-Finale von 1999. Das abermalige Ausscheiden im Halbfinale hinterlässt jedoch eine Wunde in der bajuwarischen Seele. Zur Bestätigung brauchte man nur in die leeren Gesichter der Bayern – Spieler nach dem Spiel zu blicken.
Auch die Äußerungen in der Mixed Zone und im TV-Studio zeugten von einer kollektiven Fassungslosigkeit im Bayern-Lager. Ist man nach diesem Spiel, dieser besten Saisonleistung wirklich ausgeschieden? Schafft man nach dieser furiosen ersten Hälfte ernsthaft nicht den Einzug ins Finale und kann damit der Guardiola-Ära zu ihrer verdienten Krönung verhelfen?
Diese wird nun endgültig den Guardiola-Ächter zum Fraß vorgeworfen. Feuer frei für Blätter wie den Kicker oder die Bild – seit jeher Pep-Skeptiker. Ist es nicht ein ehernes Gesetz der Geschichtsschreibung, das diese immer den Siegern vorbehalten ist? In der Causa Guardiola werden die Niederlagen haften bleiben. Football bloody hell!
Dabei hatte alles so vielversprechend angefangen. Die TV-Kamera fing vor dem Spiel eine Bayern-Mannschaft ein, die sich gegenseitig heiß macht. Der Wille, diese Schlacht unbedingt gewinnen zu wollen, sprang den Zuschauer regelrecht ins chipsverkrümelte Gesicht. Diesen Willen verkörperte keiner sichtbarer als Franck Ribery. Der Franzose war heiß wie Fritteusenfett! Um ein legendäres Zitat aus dem Film Lammbock umzumodeln: „Nene, Franck ist nicht heiß, Franck glüht, die überlegen schon, ob sie die Allianz-Arena mit Teflon beschichten sollen, damit er nicht festklebt.“
Aber nicht nur er. Die gesamte Mannschaft kam aus den Katakomben und versuchte Atletico zu überrollen. Bloß nicht den Fehler des Hinspiels wiederholen. Nicht nochmal für eine schlechte halbe Stunde bestraft werden. Wie sehr diese 30 Minuten in Madrid noch schmerzen werden, konnte zu diesem Zeitpunkt noch keiner ahnen.
Die Viererkette der Bayern stand hoch; aufgereiht auf der Mittelinie nahmen sie die „Colchoneros“ in Empfang. Wenn diese es überhaupt bis dahin schafften, denn das Gegenpressing der Münchner funktionierte fast perfekt. Aber auch Atletico zeigte erneut, wie wahnsinnig gut sie enge Räume verteidigen und schließen können. Die Straufraumverteidigung der Rojiblancos war tadellos, daher musste ein abgefälschter Freistoß von Xabi Alonso her. 1:0 für Bayern. Eruption in der Allianz Arena.
Die Bayern haben nun die Zügel fest in der Hand. Eine Sturmwelle nach der nächsten schwappt auf das Atletico-Tor zu, welches der Slowene Jan Oblak großartig verteidigt. Vor allem mit einer Szene wird er sich wohl unsterblich machen: Jose Maria Gimenez hält Javi Martinez im Strafraum fest; Schiedsrichter Cüneyt Cakir zeigt auf den Punkt; Elfmeter für Bayern! Alles läuft nach Plan. Müller nimmt sich den Ball, Müller tritt an, Müller verzögert, Müller verschießt… Oblak ahnt die Ecke und kann den schwach geschossenen Strafstoß parieren. Kurze Ernüchterung, aber das Anrennen geht bis zum Ende der ersten Halbzeit weiter – jedoch erfolglos.
Tatort zweite Halbzeit, 53. Minute. Jerome Boateng hat den Ball an der Mittellinie; er will das Spiel eröffnen, wie es schon so oft getan hat: vertikaler Pass auf die offensiven Mitspieler. Der Ball landet bei Atletico. Boateng verlässt seine Position ohne Not und stürzt sich mit zwei Mitspielern auf den Ballführenden. Der spielt zu Torres, der den Ball in den entblößten Raum hinter der Bayern-Abwehr zu Griezmann durchsteckt. Alaba will auf Abseits spielen, was fehlschlägt. Griezmann läuft alleine auf Neuer zu und vollendet eiskalt. 1:1 – Worst Case Auswärtstor. Bayern muss nun mindestens zwei Tore erzielen.
Ein Stimmungskiller, wie ein Hai beim Surfcontest. Die Arena ist still. Die Bayern lassen die Köpfe hängen. Nach 10 Minuten bleierner Stimmung, schüttelt die Mannschaft den Defätismus aus den Lederhosen. Hier geht noch was, wir sind noch nicht tot!
Bayern rennt weiter an. Guardiola bringt den jungen Kingsley Coman für Douglas Costa. Eine Minute später köpft Lewandowski das 2:1! Ein Erweckungserlebnis, bei dem auch ein Lazarus wohl ein klein wenig neidisch werden würde. Die Zuschauer sind wieder da! Angst ist zwar ein guter Häuptling, aber ein schlechter Krieger. Daher alles nach vorne!
Atletico nutzt den Sturm und Drang der Bayern mit einem weiteren gefährlichen Konter. Martinez legt Torres in höchster Not klar vor der Strafraumgrenze. Cakir pfeift zum Entsetzen aller, die es mit dem FCB halten, Elfmeter. Das Spiel scheint entschieden. Torres nimmt sich den Ball, Torres läuft an, Torres verzögert nicht, Torres verschießt… Neuer macht den Oblak. Neuer der Teufelskerl! Das Momentum ist für die letzten Minuten endgültig ein Münchner. Atletico spielt nun auf Zeit. Oblak leidet unter einem plötzlichen Schwächeanfall. Für Koke ist es unabdinglich, sich vor der Auswechslung seiner Scheinbeinschützer zu entledigen. Cakir zeigt auf die Uhr. The Revanche of the Nachspielzeit. Simeone will Tempo rausnehmen und vor einem Bayern-Einwurf wechseln. Sein Mitarbeiter hantiert zu langsam mit der Auswechseltafel. Simeone schlägt ihn fest auf den Arm. Die Nerven liegen blank.
Mittlerweile läuft die Nachspielzeit. Coman schließt immer wieder zu überhastet ab und Oblak erledigt den Rest. Es bleibt beim 2:1. Bayern ist ausgeschieden. Die vielleicht beste Leistung unter Guardiola reicht nicht aus, 33:7 Torschüsse sind nicht genug, eine Passquote von 85 Prozent zu wenig. Die letzten Worte gehören dem untröstlichen Thomas Müller: „Wir haben Madrid 90 Minuten klar beherrscht. Wenn man dann ausscheidet und einen Elfmeter verschießt, tut das natürlich weh. Ich weiß nicht, ob man bitterer ausscheiden kann.“ Football bloody hell!
Ral, abseits.at
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