Chelsea FC – Atletico Madrid | Was uns aus taktischer Sicht im Rückspiel erwartet
Champions League 30.April.2014 Rene Maric 1
Teilweise wurde das Hinspiel zwischen Atlético Madrid und Chelsea FC von den Medien und neutralen Zusehern als „langweiligstes Semifinale der letzten Jahre“ betitelt. Trotz nomineller Überlegenheit auf dem Papier entschied sich José Mourinho zu einer sehr tiefen und passiven Ausrichtung, um Atléticos Offensivstärke einzuschränken.
Vermutlich auch wegen des Fehlens von Hazard und Co. wollte Mourinho sich zuerst auf die defensive Stabilität konzentrieren, ließ seine Mannschaft im sehr tiefen 4-1-4-1 spielen und nutzte sogar auf dem rechten offensiven Flügel mit Ramires einen weiteren defensiven Spieler in Relation zu dieser Position und den Aufgaben. Doch es war nicht nur die grundlegend tiefe Ausrichtung bei gegnerischem Ballbesitz, welche zur Kritik am „langweiligen“ Spiel führte.
Unterzahlkonter als Dauerabsicherung
Das Problem an der Ausrichtung Chelseas war nicht ihr Verhalten in Ballbesitz – wenn man Tore verhindern möchte, das Spielermaterial und den Pragmatismus auf der Trainerbank dazu hat, ist eine solche Spielweise durchaus legitim. Man zieht sich schlicht mit acht oder neun Feldspielern an den eigenen Strafraum zurück, sorgt für defensive Kompaktheit und kann dadurch viele Angriffe des Gegners leiten oder die Gefahr der bei dieser Spielweise oftmals häufigen Abschlüsse des Gegners entschärfen (von 25 Schüssen Atléticos wurden 7 geblockt und nur 4 kamen aufs Tor).
Wirklich problematisch für die Spannung im Spiel und natürlich auch für die Angriffsmöglichkeiten Atléticos war allerdings Chelseas Spielweise in eigenem Ballbesitz. Die Außenverteidiger der Blues blieben eigentlich in jeder Situation in der eigenen Hälfte, sie fächerten nicht einmal auf und unterstützten die Innenverteidiger durchgehend. Abstöße wurden meistens rigoros von Cech beziehungsweise dessen verletzungsbedingten Ersatz Schwarzer lang nach vorne geschlagen. Nach Balleroberungen griff Chelsea außerdem nur mit zwei, drei oder maximal vier Akteuren an.
Diese konstante Absicherung mit mindestens 6-7 Spielern verhinderte sämtliche Großchancen – auf beiden Seiten. Eine Wiederholung des Hinspiels und der dortigen Ausrichtung scheint auch vor englischem Publikum für Chelsea und Mourinho nicht ausgeschlossen, allerdings könnte der portugiesische Startrainer wegen des fehlenden Auswärtstors und der Rückkehr von Hazard, Oscar und Co. womöglich auf eine offensivere Spielweise setzen.
Was macht Chelsea, wenn sie offensiver werden? Und wie können sie offensiver werden?
Das Problem bei Chelsea ist, dass ihr Aufbauspiel zwar solide und relativ erfolgsstabil ist, aber sie keine wirklich kreativen oder extrem kombinationsstarken Akteure in der Viererkette und auf der Doppelsechs haben. Einzig Nemanja Matic kann das auf Weltklasse-Niveau, doch er ist in der Champions League nicht spielberechtigt. Und solche Spieler auf Weltklasse-Niveau werden gegen Atléticos Pressing und deren Pressingfallen benötigt, um nicht allzu viele Bälle in der eigenen Hälfte zu verlieren und in gefährliche Konter zu laufen. Somit stellt sich gar nicht die Frage, ob Chelsea plötzlich auf Ballbesitz umstellt, sondern wie sie ihre schnellen Angriffe nach vorne bringen.
Viele, raumgreifende Pässe von hinten, eventuell auch wieder lange Bälle nach vorne und Fokus auf zweite Bälle oder eben extremes Zurückfallen der Sechser und Außenspieler wären Optionen, wobei Letztere Option nicht allzu „Mourinho-like“ wäre. Vermutlich wird es darum „nur“ auf ein höheres Pressing bei Chelsea hinauslaufen, welches dann mit mehr involvierten Akteuren bei den Kontern im offensiven Umschaltspiel und eben versuchten höheren Balleroberungen versehen wird; oder Mourinho stellt sich doch wieder enorm weit hinten und passiv rein und verlässt sich auf die enorme Dribbelstärke Hazards, der wieder zurück in die Mannschaft kehren sollte. Das wäre natürlich auch eine Option, die man allerdings mit mehr Unterstützung aus dem Sechserraum versehen könnte.
Generell wird es interessant, ob Mourinho wieder im 4-1-4-1 oder im 4-2-3-1 auflaufen lässt. Im 4-2-3-1 mit Oscar (oder gar Lampard) auf der Zehn hätte man mehr direkte Präsenz im Umschaltspiel, könnte die Konter vermutlich länger weiterführen und Torres wäre nicht so isoliert, da die Flügelstürmer aus der eigenen Defensive immer etwas Zeit brauchen, um nach vorne zu kommen.
Bei einem 4-1-4-1 hätte man dafür allerdings nach Überwindung dieser ersten Umschaltphase mehr Akteure vorne, insbesondere die langen und intelligenten Vertikalläufe Lampards und David Luiz könnten hier für Gefahr sorgen; beide sind stark im Auftauchen im Strafraumrückraum in der Endphase der Angriffe, können nach Ablagen das Spiel verlagern und sind auch gut bei Distanzschüssen. Offensiv wie defensiv könnte die Formationswahl Mourinhos den Spielrhythmus bestimmen. Für Atlético bleibt jedoch natürlich die alles entscheidende Frage, die man im Hinspiel nicht lösen konnte.
Wie knackt Atlético die Mauer?
Vorab sei jedoch gesagt, dass Atlético die Hinspielaufgabe keineswegs schlecht löste – und deutlich besser als von vielen erwartet, da Atlético eigentlich eine klare Umschaltmannschaft ist, die den Fokus ebenfalls auf das Konterspiel legt. Sie hatten viele Abschlüsse, ließen schlichtweg nichts zu (nur fünf Schüsse von Chelsea, keiner davon gefährlich oder aus einer guten Situation) und wechselten die Bewegungen ebenso wie das Angriffsmittel. Manchmal gab es andere Staffelungen, einen anderen Fokus (vom Halbraum auf den Flügel bspw. gewechselt im Spielverlauf) oder man versuchte es mit Durchbruchsversuchen, mit Distanzschüssen (Diego) oder mit Flanken auf Diego Costa und Raul Garcia.
In der zweiten Halbzeit wurde man dann bis zur Endphase schwächer, wo Arda Turan und Filipe Luis in Selbstverantwortung wieder für mehr Bewegung sorgten. Dafür war man in der ersten Halbzeit kollektiv sehr gut, zog die Achter Chelseas immer wieder heraus, um dann raumgreifend in den Zwischenlinienraum zu kommen oder mit Gegenpressingaktionen für neuerliche, höhere Balleroberungen zu sorgen. Dennoch sollte sich Simeone für das Rückspiel etwas überlegen – die Durchschlagskraft fehlte.
Wichtig könnte werden, dass Kapitän Gabi wegen einer Sperre fehlt. Somit könnte Koke ins zentrale Mittelfeld rücken und für mehr Kreativität sorgen, während Turan und Diego als kreative Akteure über die Seiten kommen. Auch eine asymmetrische Spielweise mit David Villa auf links und Arda Turan auf rechts wäre durchaus vorstellbar, mit Koke als halblinkem und höherem Sechser könnte man dadurch immer wieder 4-3-3-Staffelungen herstellen.
Eine grundsätzliche formative Umstellung in der Defensive dürfte aber übrigens nicht zu erwarten sein.
Ebenfalls denkbar ist ein Flügelfokus auf den enorm starken Filipe Luis, der zu den besten Linksverteidigern der Welt gehört. Er ist dribbelstark, taktisch enorm intelligent, sehr gut im Pressing und in der Defensive, dazu ungeheuer athletisch. Mit dem Brasilianer könnte man beispielsweise die linke Seite offen lassen und seinen Vordermann weit in die Mitte rücken lassen (Villa ins Sturmzentrum oder Arda in den Halbraum bzw. das Mittelfeld) oder die linke Seite komplett überladen, um über schnelle Durchbrüche zu Flanken aus strafraumnahen Zonen zu kommen.
Man darf gespannt sein, wofür sich Simeone entscheidet – und ob Mourinho die Änderungen mit seiner Personalwahl neutralisieren kann.
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