Während in den Stadien der besten Klubs Europas die Königsklasse in ihre entscheidende Phase geht, wird in den Medien und der Öffentlichkeit der berüchtigte Titelverteidigerfluch im wichtigsten Bewerb des europäischen Klubfußballs diskutiert.
Seriensieger in den frühen Jahren
Eingeführt wurde die Champions League in der Saison 1992/93. Davor hieß der Bewerb noch Europacup der Landesmeister. Dort gab es haufenweise Seriensieger. Beispielsweise holte sich Real Madrid zwischen 1955 und 1960 fünf Mal in Folge den begehrten Titel, danach war Benfica Lissabon in zwei aufeinander folgenden Spielzeiten nicht zu schlagen. Weitere Seriensieger waren Inter Mailand (2 Titel: 1963 – 1965), Ajax Amsterdam (3 Titel 1970 – 1973), Bayern München (3 Titel: 1973 – 1976), der FC Liverpool (2 Titel: 1976 – 1978), Nottingham Forrest (1978 – 1980) und der AC Milan (1988 – 1990). Eine erfolgreiche Titelverteidigung war also nichts Ungewöhnliches – bis der Bewerb umbenannt wurde. Seit die Klubs nicht mehr um den Europacup der Landesmeister, sondern um die Champions League kämpfen, gab es keinen einzigen Titelgewinner, der seinen Triumph im Folgejahr wiederholen konnte.
Der Fluch der Champions League
Schien es zu Beginn der Königsklasse noch eine Frage der Zeit, bis ein Verein eine erfolgreiche Titelverteidigung zustande bringt, entwickelte sich der Fluch im Laufe der Jahre zum Mysterium. Die erste Auflage der neu geschaffenen Champions League entschied Olympique Marseille für sich, in den nächsten 18 Jahren folgten insgesamt elf verschiedene Titelträger. Nahe an einer Titelverteidigung war Manchester United dran: Die Truppe von Alex Ferguson gewann in der Saison 2007/08 die Königsklasse und zog im Jahr darauf ins Finale ein. Dort war allerdings Endstation, im Endspiel blieb der FC Barcelona um Superstar Lionel Messi mit 2:0 siegreich. Den meisten Titelträgern erging es allerdings weit schlechter. Das Abschneiden der letzten regierenden Champions-League-Sieger im Überblick:
2010/2011: Inter Mailand – im Viertelfinale an Schalke 04 gescheitert (2:5, 1:2)
2009/2010: FC Barcelona – im Halbfinale an Inter Mailand gescheitert (1:3, 1:0)
2008/2009: Manchester United – im Finale am FC Barcelona gescheitert (0:2)
2007/2008: AC Milan – im Achtelfinale am FC Arsenal gescheitert (0:0, 0:2)
2006/2007: FC Barcelona – im Achtelfinale am FC Liverpool gescheitert (1:2, 1:0)
Nicht einmal der FC Barcelona, in den letzten Jahren von Experten stets als eindeutig beste Mannschaft auf dem Planeten bezeichnet, schaffte es, die Elite-Liga zwei Mal hintereinander zu gewinnen.
Bricht Barca den Bann?
Eine neue Chance für Barcelona bietet sich in der heurigen Saison. Die Chance auf ein Ende des berüchtigten Fluchs lebt noch. Nach dem 0:0 im Hinspiel gegen den AC Milan hat Barca im Rückspiel vor eigenem Publikum alles in der eigenen Hand. Obwohl die Italiener durchaus ebenbürtig auftraten und zu Chancen kamen, endete das Hinspiel torlos. In der Schlussphase zog Barcelona noch einmal das Tempo an, die betagten Herren der Rossoneri mussten dem hohen Tempo der Partie in den letzten 15 Minuten doch noch Tribut zollen und ermöglichten dem Titelverteidiger Chancen auf das so wichtige Auswärtstor. Messi und Cuenca vergaben aber eine bessere Ausgangsposition, das italienische Abwehr-Bollwerk hielt dicht. Trotz 62% Ballbesitz schaute am Ende für Barca nicht mehr als ein 0:0 heraus. „Wir kennen Milans Qualitäten, deshalb können wir mit dem 0:0 nicht unzufrieden sein“, sagte Coach Pep Guardiola. Im Rückspiel könnte jedoch ein Gegentreffer die Titelträume von Messi & Co. jäh beenden. „Das 0:0 ist ein sehr gutes Ergebnis, das uns viel Selbstvertrauen für das Rückspiel gibt“, sagte Milan-Coach Massimiliano Allegri.
Harte Konkurrenz
In den anderen Begegnungen des Viertelfinales verschafften sich Chelsea, Bayern und Real Madrid hervorragende Ausgangspositionen für das Rückspiel. Alle drei Favoriten setzten sich auswärts gegen die Underdogs durch. Bayern, wo David Alaba als linker Verteidiger durchspielte, gewann in Marseille 2:0, Real steht nach dem 3:0-Sieg in Nikosia gegen APOEL bereits mit anderthalb Füßen im Semifinale, Chelsea steht nach dem knappen 1:0 in Lissabon bei Benfica noch ein heißer Tanz an der Stamford Bridge bevor. Auf Barcelona würde im Falle eines Aufstiegs der Sieger aus der Paarung Chelsea – Benfica warten. Der FC Bayern trifft höchstwahrscheinlich auf Real Madrid. Aus österreichischer Sicht eine höchst interessante Konstellation. Bayern-Coach Heynckes deutete nach dem Spiel in Marseille an, an den Flügelpärchen Alaba-Ribery und Lahm-Robben bis zum Saisonende nichts mehr verändern zu wollen. Ein Einsatz des Youngsters gegen die Top-Stars der Königlichen scheint sehr wahrscheinlich. Die Bayern wollen heuer unbedingt ins Finale – immerhin steigt das Endspiel in der heimischen Allianz Arena. Neben Barca kämpft also auch der deutsche Rekordmeister gegen einen Fluch: im eigenen Stadion konnte nämlich ebenfalls noch kein Verein die begehrte Trophäe in den Nachthimmel stemmen.
Neuer Fluch in der Europa League?
In der Europa League, dem zweitwichtigsten europäischen Bewerb auf Klubebene, ist ein solches Schicksal ebenfalls wahrscheinlich. Einerseits deshalb, weil die teilnehmenden Klubs stark variieren, andererseits, weil die Dichte im europäischen Spitzenfußball unglaublich groß ist. Die ersten Titelträger, Atletico Madrid und der FC Porto, brachten das Kunststück der erfolgreichen Titelverteidigung jedenfalls nicht zustande. Wie in der Champions League gehören Seriensieger definitiv der Vergangenheit an. Der letzte Doppelpack gelang dem FC Sevilla zwischen 2005 und 2007 im damaligen UEFA-Cup, davor schaffte es nur Real Madrid zwischen 1984 und 1986. Die Sieger der Europa League orientier(t)en sich allerdings nach dem Triumph meist nach oben in Richtung Königsklasse, was eine Titelverteidigung in der Europa League ebenfalls ein Stück unwahrscheinlicher macht. Die Europa League ist aber im Vergleich zum „großen Bruder“ Champions League noch äußerst jung, bis eine erfolgreiche Titelverteidigung auch in diesem Bewerb als praktisch unmöglich angesehen wird, haben die teilnehmenden Klubs also noch etwas Zeit.
Archimedes, abseits.at
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