Kommentar: Worum es in Marschs Ansprache wirklich ging
Champions LeagueKommentar 4.Oktober.2019 Daniel Mandl
Einblicke in die Kabine eines Sportvereins sind meistens durchaus interessant und spannend. Zumeist gibt es die seltenen Blicke hinter die Kulissen in Form von Jubelbildern nach großen Erfolgen. Seltener sind Einblicke vor einem Spiel oder in der Halbzeitpause.
Im Zuge des geplanten deutschen „Sommernachtstraums“ bei der WM 2006 ging Jürgen Klinsmanns Ansprache an seine Mannschaft vor dem Spiel gegen Argentinien viral. Auch aus dem Red-Bull-Universum gibt es Beispiele für viral gegangene Pre-Game-Ansprachen, etwa die emotionale Rede von Ralf Rangnick 2016 bei RB Leipzig. Und aus anderen Sportarten, gerade aus dem US-Sport, kennt man derartige Einblicke ohnehin.
Nun ging die Halbzeitansprache von Jesse Marsch in Anfield viral – und zwar weltweit. Beim Stand von 1:3 aus Sicht von Red Bull Salzburg erinnerte er seine Mannschaft zur Pause, dass dies eine Champions-League-Partie und kein „fucking Freundschaftsspiel“ sei. Es ist das Zeugnis für ein nie dagewesenes Selbstverständnis eines österreichischen Klubs, denn was Marsch von seiner Mannschaft beim Titelverteidiger der Königsklasse forderte, war natürlich nichts Selbstverständliches.
In Wahrheit war Marschs Ansprache aber gar nicht so emotional und motivierend, wie sie jetzt dargestellt wird. Es gibt international einfach relativ wenige Vergleichswerte, was zur Halbzeit in den Kabinen von Spitzenklubs vor sich geht. Und das aus gutem Grund, denn die allermeisten Trainer wollen sich wohl auch nicht im Nachhinein in ihre interne Arbeit blicken lassen. Die geht im hartumkämpften Fußballgeschäft niemand Außenstehenden etwas an.
Auch Jesse Marsch will das nicht und sämtliche taktische Kniffe und Diskussionen wurden wohl erst nach Ende des Videos mit den Spielern besprochen. Im viral gegangenen Kabinenvideo ging es in Wahrheit um etwas Anderes, nämlich um öffentliche Präsenz. Red Bull hat von allen Unternehmen weltweit wohl das größte Gefühl, was Spektakel, Sinn für Situationen, Inszenierung und last but not least Marketing betrifft.
Die wenigen taktischen Auszüge aus dem Video, etwa als Co-Trainer René Aufhauser konkrete Spielhinweise gibt, sind im Internet nur noch spärlich zu finden. Die geschnittenen Videos von Marschs allgemeiner Ansprache, wie sie hunderte oder tausende Trainer der Welt, bis in unterste Ligen Woche für Woche halten, sind noch sichtbar. Und zwar im Vergleich zu zahlreichen anderen veröffentlichten Ansprachen mit richtig gutem Sound, mehreren Kameraeinstellungen und da und dort einen professionellen Kameraschwenk auf die fokussierten Spieler. Hochglanz eben, so wie man es von Red Bull seit jeher gewöhnt ist.
Inhaltlich wird sich Jesse Marsch von den Kameras natürlich nicht beeindrucken lassen, Red Bull weiß aber sehr wohl, dass man gerade mit Jesse Marsch mehr Menschen beeindrucken kann, als mit jedem anderen Trainer. Ein paar irgendwie sympathisch-kämpferische Flüche, eine gute Körpersprache und dann natürlich noch ausreichend Englisch! Dies ist der wichtigste Faktor dafür, dass man auch über die Grenzen hinaus viral gehen kann, was unter anderem gerade in England passiert. Der Red-Bull-Spirit wird damit auf verständliche und gut inszenierte Art und Weise unter die Leute gebracht. Dass ausgerechnet dieses Video in eine unfassbare Kraftleistung an der Anfield Road mündet und die knappe Niederlage fast zu einem noch größeren Heldenepos für die Gäste macht, ist natürlich auch das Glück des Tüchtigen.
Ein solch professionelles Video zu gestalten kommt nicht zufällig bzw. von ungefähr. Der Verein erwartet sich auch abseits des Platzes etwas davon. Diese Erwartungen wurden schließlich – auch dank der mental enorm starken Mannschaft – erfüllt. Es spricht weniger die aktiven Fans an, nicht primär die Stadionbesucher, nicht die mit einem anderen Verein Verwachsenen, sondern eher die so genannten „Normalos“ oder die, die bisher mit Fußball nicht viel anfangen konnten. Die sind es, die nun sehen: „Hoppla, im Fußball – diesem Naja-Spiel, bei dem 22 Leute einem Ball hinterherjagen – ist ja ordentlich Emotion drin“. Und weil Jesse Marsch einer der wenigen ist, die dies auch nach außen präsentieren „durften“ und die enorm starke Elf der Bullen seinem Ruf folgte, ist es nun (Red Bull!) Salzburg, von denen diese Emotion ausging.
Unterm Strich darf man also sagen, dass das Drehbuch nicht besser aussehen hätte können – außer vielleicht mit einem Punktgewinn der Salzburger, aber nicht mal dann wär’s außerordentlich besser gewesen. Red Bull hat mit diesem eben nicht so zufälligen Video mal wieder alles richtig gemacht und die Außenwahrnehmung, womöglich in Nischen, die bisher eher uninteressiert waren, massiv erhöht und die öffentliche Meinung positiv beeinflusst (und das trotz dem einen oder anderen „fucking“). Das nicht nur wegen Marsch „US-hafte“ Video wird die Beliebtheitswerte von Red Bull Salzburg oder Red Bull Teams im Allgemeinen steigern und naturgemäß die Abneigung der so genannten „Hater“ ebenfalls. Daher wie gesagt: Alles richtig gemacht – und das obwohl das Video, wenn man das Spiel rundherum ausblendet, nicht mal etwas Besonderes oder Außergewöhnliches war…
Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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