Kompakt, konzentriert, eiskalt: Rapid schafft das Wunder von Amsterdam!
Champions League 5.August.2015 Daniel Mandl 0
Vier Torversuche, drei Schüsse aufs Tor, drei Tore. Rapid kämpfte sich auf höchst ungewöhnliche Art und Weise zu einer Europacupsternstunde, die der Verein bitter nötig hatte. Das Ausscheiden gegen HJK Helsinki in der Vorsaison saß noch lange in den Köpfen der grün-weißen Spieler, Verantwortlichen und Fans, ist nach dem gestrigen Aufstieg gegen Ajax Amsterdam aber vergessen. Rapid spielt 2015/16 wieder in einer internationalen Gruppenphase und hat nun sogar die Chance nach den Sternen zu greifen. Aber alles der Reihe nach.
Zoran Barisic schickte eine leichte Adaptierung seines 4-2-3-1-Systems ins Rennen. Dieses wirkte eher wie eine Mischung aus 4-1-4-1 bzw. 4-3-2-1 und war in ähnlicher Zentrumskonstellation bereits im Dezember 2014 zu beobachten, als man Red Bull Salzburg auswärts mit 2:1 niederkämpfte. Thanos Petsos spielte die tiefere Rolle als Srdjan Grahovac und Steffen Hofmann. Ein spielerisches Novum stellte hingegen die rechte Offensivseite dar, auf der man erstmals seit längerer Zeit auf technische und spielerische Sicherheit anstatt auf Dynamik auf dem Flügel setzte. Der ballsichere Louis Schaub bekam den Vorzug gegenüber den Flügelflitzern Schobesberger und Huspek.
Schaub auf rechts, Flügelflitzer nur auf der Bank
Speziell Schobesbergers Aufstellung wäre eine Überraschung gewesen, da dessen Defensivbemühungen zu passiv sind und Stephan Auer erneut „alleine“ gegen die physisch stärkere linke Angriffsseite von Ajax gestanden wäre. Geht man von dieser Überlegung aus, wäre aber immer noch ein etwas tiefer spielender, rechter Mittelfeldspieler Huspek als „Wadlbeisser“ eine logischere Option als Schaub gewesen, der in der Mitte besser aufgehoben schien. Der 20-jährige Schaub brachte aber das bessere Gesamtpaket mit. Nach einer guten Vorbereitung und einem vielversprechenden Saisonstart war er fit genug, um die gesamte Länge des Platzes zu bearbeiten und während man auf der Zentralachse auf Kompaktheit und taktische Cleverness setzte, vertraute Barisic an den Mittelfeldseiten auf Kreativspieler mit hoher Passsicherheit.
De Boer gibt Physis in der Zentrale zugunsten von „noch mehr Technik“ auf
Ajax-Coach Frank de Boer beging bereits mit seiner Startaufstellung einen unerwarteten Grundfehler, indem er den Serben Nemanja Gudelj auf der Bank schmoren ließ. Dafür brachte er mit Viktor Fischer einen weiteren Flügelspieler von Beginn an und zog Daley Sinkgraven ins zentrale Mittelfeld, womit er das Mittelfeld spielerisch noch einmal stärken wollte. Ajax spielte somit im vereinstraditionellen 4-1-2-3-System, das jedoch aufgrund der fehlenden Physis in der Zentrale von Beginn an Probleme hatte.
Kaum jemand versuchte Rapid aus der defensiven Ordnung zu reißen
Der 18-jährige Riechedly Bazoer zeigte auf der Sechs eine starke, weitgehend sichere Leistung, wurde jedoch von seinen direkten Vorderleuten im Stich gelassen. Davy Klaassen verschwand förmlich im Zwischenlinienraum, Daley Sinkgraven scheiterte an seiner laschen, kampfschwachen Vorstellung und Solospitze Arek Milik wartete schlichtweg auf Bälle, antizipierte zu selten und schaffte es somit – ebenso wie Klaassen – nur sehr selten, die eng stehenden Grün-Weißen aus ihrem Korsett zu reißen.
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Spielfluss von Ajax nicht direkt genug
Rapids Pressing war über weite Strecken passiv und die Hütteldorfer standen erwartungsgemäß tief. Dafür war die Zweikampfführung in der zweiten Pressingreihe sehr aggressiv. Aus dem Hinspiel wusste man, dass Ajax mit dieser Gangart nicht gut zu Recht kam. Da nun mit Gudelj auch der physisch stärkste zentrale Mittelfeldspieler Ajax‘ nicht gebracht wurde, konnten sich die Niederländer nie die kämpferische Herrschaft über die Mitte holen. Die Folge: Die Angriffe des Heimteams waren nicht flüssig genug und das Spiel musste immer wieder neu aufgebaut und verlagert werden. Rapid drängte Ajax nach außen.
Ausgezeichnetes Verschieben Rapids
Sobald Ajax am Flügel in Ballbesitz war, sorgte Rapid konsequent für Überzahlsituationen am aktiven Flügel. Der gegenüberliegende Außenverteidiger rückte weit ein, um zusätzlich für mehr Kompaktheit im Strafraum zu sorgen. Der passive Flügel wurde damit temporär aufgegeben, was Rapid anfällig auf schnelle Spielverlagerungen auf die andere Seite machte. Zu ebendiesen kam es aber nur sehr selten, weil die Hütteldorfer Ajax am aktiven Flügel zumeist „müdedeckten“ und die direkten Wege in die Mitte und die Schnittstellen der Viererkette abschnitten.
Grün-weiße Defensivarmada am aktiven Flügel
Auf der rechten Seite war es das Flügelduo Auer-Schaub, das die angreifenden Ajax-Pärchen so attackierte, dass diese zumeist viel Zeit verloren und wenige direkte, schnörkellose Angriffe zu Ende spielen konnten. Links waren es die defensiv noch solideren Stangl und Kainz. Gleichzeitig schoben mit dem unauffälligen, aber taktisch fehlerlosen Grahovac und dem dominanten Petsos zwei zentrale Mittelfeldspieler in guter horizontaler Staffelung auf den aktiven Flügel, um die offensiv-zentralen Anspielstationen von Ajax zuzustellen. Über die Halbpositionen konnte Ajax somit auch keine Dominanz erzeugen. Der jungen Truppe aus Amsterdam blieben somit nicht viele Optionen:
- Schwierige Spielverlagerungen auf die andere Seite, die Rapid durch gutes Verschieben aber abzufedern wusste.
- Spielerischer Neuaufbau
- Das Fertigspielen der Aktion mit abschließender Flanke in den Sechzehner
Die einzige Unsicherheit
Wenn Letzteres der Fall war, hatte Rapid als verteidigendes Team am Flügel bereits so viel Zeit gewonnen, dass die Mitte dicht war und Rapids Innenverteidiger die Flanken nur noch wegräumen mussten. Einzig beim 1:2 durch Milik agierte man zu langsam, ließ den guten Mitchell Dijks zu schnell flanken. In nahezu allen anderen Szenen dieser Art, schaffte man es durch das Überladen des aktiven Flügels die Flanken zu verzögern oder Ajax so zu stören, dass die Flanken zu hastig ausfielen und man selbst in der „Zone der Wahrheit“ bestens postiert war.
Ajax von Rapids hohem Gegenpressing überrascht: Beric sagt danke
Eine konzentrierte, kämpferisch starke Defensivleistung legte den Grundstein zu Rapids Sensationserfolg. Ausschlaggebend war aber das eiskalte Verwerten der wenigen Chancen. Vor dem 1:0 war es ein laxer Versuch von Daley Sinkgraven, dem 14 Jahre älteren Rapid-Kapitän Steffen Hofmann am eigenen Sechzehner ein „Gurkerl“ zu schieben. Nach dem Ballgewinn dauerte es nur 9,5 Sekunden bis der Ball im Netz zappelte. Elftal-Keeper Jasper Cillessen war daraufhin fuchsteufelswild auf seinen Kollegen Daley Sinkgraven – allerdings hätte sich jeder Akteur der völlig desinteressierten Ajax-Defensive einen derartigen Rüffel verdient.
Kaum Gegenwehr vor Rapids 2:0
Beim zweiten Tor zog Schaub in charakteristischer Manier nach innen und kein Ajax-Spieler fühlte sich bemüßigt, sich ihm in den Weg zu stellen. Gegen Ende der Aktion spielte auch noch die Angst vor einem Foul an der Strafraumgrenze mit. Schaub erzwang seinen ersten Treffer des Abends mit dem Glück des Tüchtigen, war aber zweifelsfrei über die lasche Gegenwehr verwundert. Auch diese Szene war ein klassisches Beispiel für einen grundsätzlichen Aufstellungsfehler De Boers: Wenn Schaub den finalen Zweikampf nicht gegen Sinkgraven, sondern gegen Gudelj führen muss, sieht die Sache vielleicht anders aus.
Schaub versetzt niederländischem Rekordmeister den Todesstoß
Als ebendieser Gudelj nach einer umstrittenen Szene das 2:2 für Ajax erzielte, hatte De Boer bereits die Viererkette aufgelöst. Mit Yaya Sanogo verfügte Ajax nun über mehr Masse in der unmittelbaren Gefahrenzone, blieb aber grundlegend ideenlos und vor allem defensiv ungeordnet. Obwohl der Vizemeister der Eredivisie nun mit Dreierabwehr spielte, rückte das Mittelfeld in der entscheidenden Szene des Spiels nicht rechtzeitig nach. Schaub setzte sich mit einfachen Mitteln erneut gegen seinen Gegner durch, Schobesberger und Beric waren abgedeckt, ihre Gegenspieler somit beschäftigt – aber der zusätzliche Abwehrspieler, der Schaub an seinem unheimlich souveränen Abschluss hindern konnte, war nicht mehr auf dem Platz. De Boer hatte Joel Veltman für Yaya Sanogo geopfert – und natürlich nach Gudeljs Ausgleich nie und nimmer mit einem neuerlichen Treffer Rapids gerechnet…
Übervertrauen in die technische Überlegenheit
Rapid gewann das Spiel als cleverere Mannschaft, als kampfstärkere Einheit und auch aufgrund der größeren Routine gegenüber Ajax, das von Trainer Frank de Boer aus völlig unverständlichen Gründen einer seiner letzten kämpferischen Stützen beraubt wurde. Fast schon überheblich schlitterte eine fußballerisch bessere, aber absolut unreife Mannschaft in ein frühes Europacup-Desaster, das die Saison für den Verein zerstört, bevor sie überhaupt begonnen hat. Wenn Frank de Boer diese Spielzeit als Ajax-Coach übersteht, wäre dies durchaus überraschend. Rapid darf sich zumindest über die Teilnahme an der Europa-League-Gruppenphase freuen und kann völlig entspannt und voller Vorfreude ins Champions-League-Playoff gehen.
Daniel Mandl, abseits.at
Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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