Kraftakt in Unterzahl hält Rapid im Rennen: Die taktischen Erkenntnisse eines intensiven Fußballabends
Champions League 30.Juli.2015 Daniel Mandl 0
Im Heimspiel gegen Ajax Amsterdam kämpfte sich Rapid eindrucksvoll zurück und drehte einen 0:2-Rückstand – letztlich sogar in Unterzahl – in ein 2:2 um. Taktisch sah das Publikum ein hochinteressantes Spiel, in dem beide Mannschaften mit Kinderkrankheiten haderten und ihre Schwächen ziemlich konsequent offenbarten.
Dass Ajax die technisch überlegene Mannschaft ist, musste man bereits nach gut zehn Minuten konstatieren. Von dieser Gewissheit ließ sich Rapid einlullen und konnte den Anfangsdruck gerade mal fünf Minuten aufrechterhalten.
Nach nur fünf Minuten: Zu großer Respekt bei gegnerischem Ballbesitz
Nach beherztem Pressing in den allerersten Minuten des Spiels, eroberte Ajax den Ball und begann diesen tief laufen zu lassen, ohne Konkretes kreieren zu wollen. Damit wurde Rapid eingeschläfert und zurückgedrängt. Das extrem langsame Aufbauspiel der Niederländer schob Rapid einige Meter zurück, zumal man großen Respekt vor Pässen in die Mittelfeldschnittstellen hatte. Rapid presste großteils in einem 4-4-2, das Hofmann neben Beric als vorderste Pressinginstanz vorsah – allerdings wurden die Abstände der vordersten Instanz ins Mittelfeld zu groß. Zudem rückten die äußeren Mittelfeldspieler im Pressing nicht weit genug ein, was eine gute Staffelung in der Breite zunichtemachte.
Ajax kommt mit einfachen Mitteln zwischen Rapids Linien
Ajax hatte es somit nicht schwer, das Spiel zu kontrollieren. Einfache Passabläufe im Dreieck brachten den Vizemeister der Eredivisie hinter die Rapids Pressinglinie im Mittelfeld und somit in aussichtsreiche Situationen. Da Ajax gut, wenn auch einfach, als Mannschaft nachrückte, erreichte die Elf von Frank de Boer eine deutliche Feldüberlegenheit. Dies ist auch den defensiven Schwächen von Rapids Flügelspielern geschuldet. Speziell die rechte Abwehrseite Rapids wurde von Ajax konsequent bespielt.
Ajax fährt seine Angriffe über links und nützt Rapids Achillesferse
Stefan Stangl wurde von Ajax als robusterer und auch offensiv stärkerer Außenverteidiger ausgemacht. El Ghazi stand vor einer schwierigen Aufgabe, auch weil er in seinen Aktionen nicht viel Zeit verlieren durfte. Kainz brauchte ein wenig, um in die Partie zu finden, wurde dann immer konstanter und auch defensiv engagierter. Rapid konnte seine linke Abwehrseite somit immer wieder überladen. Deshalb bespielte Ajax Rapids rechte Abwehrseite, auf der sich Stephan Auer zwar bemühte, aber sowohl technisch, als auch taktisch überfordert war. Immer wieder hievte sich der Ex-Admiraner mit kämpferischen Teilerfolgen zurück in die Partie, war aber unterm Strich der Spieler, den Ajax konsequent bearbeitete und über dessen Seite schließlich auch beide Gegentreffer fielen.
Allgemeinversagen der rechten Abwehrseite bei Gegentreffern
Der Gegentreffer und die weiteren guten Ajax-Chancen über die rechte Seite hatten drei Gründe:
- Schobesberger zeigte sich defensiv viel zu inaktiv, kam nur sehr selten hinter den Ball, wenn Ajax aufs Tempo drückte.
- Auer sah sich deshalb des Öfteren Überzahlsituationen für Ajax gegenüber, verhielt sich dann taktisch zumeist falsch, verteidigte häufig von zu weit innen heraus und ließ auch gutes Timing vermissen.
- Wenn Auer seine Position verließ und etwa wie beim zweiten Gegentor nicht schnell genug hinter den Ball kam, musste Mario Sonnleitner nach außen weichen, wodurch Rapid das Zentrum entblößte. Während das erste Gegentor noch viel mit Pech zu tun hatte, war das zweite mehr als nur vermeidbar. Auer trabte nach einem Vorstoß nur zurück und verließ sich auf den inaktiven Schobesberger, Sonnleitner musste nach außen, Stangls mannorientiertes Einrücken vom passiven Flügel zur Mitte kam zu spät. Der Grundfehler lag in Schobesbergers Inaktivität und in Auers Positionsspiel – sein Weg zurück war einfach zu weit.
Rapid legt erst zu zehnt den Respekt ab
Unmittelbar nach der Pause bewies Beric seine große individuelle Klasse, indem er seinen Assist zu Florian Kainz‘ 1:2 praktisch erzwang. Der Slowene überzeugte allgemein mit seiner Fähigkeit den Ball abzuschirmen und bewies, dass er dazu auch auf Toplevel in der Lage ist. Und auch wenn Stefan Schwab nach einem angehenden Solo völlig übermotiviert mit beiden Beinen voraus in seinen Gegenspieler sprang und deshalb völlig zu Recht vom Platz flog, gab sich Rapid nicht auf. Die Hütteldorfer stellten einerseits um, nahmen andererseits ihre Herzen in die Hand und legten den Respekt vor den Niederländern ab.
Frischer Wind durch Schaub und Grahovac – Pressing wurde intensiver
Bei Ajax tummeln sich zweifelsfrei einige gute Kicker – der Kampf ist deren Sache jedoch nicht. Während Rapid in der ersten Halbzeit versuchte, zu vieles auf spielerische Art zu lösen, drehte sich dieser Ansatz in der zweiten Halbzeit um. In Überzahl wog sich Ajax in Sicherheit und wollte die Partie heimspielen, doch Rapid begann plötzlich wieder intensiver zu pressen. Das Ganze zwar einige Meter tiefer als in der Anfangsphase, dafür aber pointiert und von den beiden neuen Spielern Schaub und Grahovac angeführt. Die Staffelung im Mittelfeld war plötzlich besser, die Pressingbemühungen Rapids wesentlich aggressiver. Und so begann der Favorit Fehler zu machen.
Schmeichelhaftes Remis und wichtige Erkenntnisse fürs Rückspiel
Aus einer ebensolchen Pressingsituation gelang Rapid schließlich der Ausgleich, der unterm Strich trotz der großen kämpferischen Darbietung schmeichelhaft war. Ajax hätte schließlich schon zur Pause höher führen müssen und auch dem vielgescholtenen Schlussmann Jan Novota gebührt für seine ruhige und konzentrierte Leistung ein Extralob. Interessanterweise sah man innerhalb der 90 Minuten sowohl beide Gesichter des SK Rapid, als auch beide Seiten des AFC Ajax. Speziell die zweite Halbzeit offenbarte, was Rapid im Rückspiel zu tun hat, um den vierfachen Champions-League-Sieger doch noch zu biegen.
Härtere Gangart vonnöten
Rapid muss bei gegnerischem Ballbesitz weniger abwartend agieren, wesentlich intensiver pressen, als in der ersten Halbzeit des Hinspiels. Wenn die jungen, nicht unbedingt robusten Ajax-Kreativspieler ihre Gegner im Nacken spüren, machen sie Fehler oder werden dazu verleitet, das Spiel langsam wiederaufzubauen oder es nach außen zu leiten. Dabei ist die Staffelung in der Mittelfeldzentrale enorm wichtig, denn große Abstände darf sich Rapid gegen diese fußballerisch gute Mannschaft nicht erlauben.
Ajax steht zu hoch – Rapid hat die Spieler, um dies zu nützen
Das taktische Aha-Erlebnis der zweiten Hälfte war jedoch die Höhe der Ajax-Abwehrreihe. Obwohl die Weiß-Roten bereits mit 2:0 führten, stand die Viererabwehrkette extrem hoch und war anfällig auf Bälle hinter die Abwehr. Rapid zeigte sich in der ersten Halbzeit bei gegnerischem Ballbesitz zu inaktiv, um diese Räume aktiv bespielen zu können – zu selten eroberten die Wiener schnörkellos den Ball, um danach möglichst schnell in diese Zielräume umzuschalten. Erst als die Intensität höher wurde, schaffte es Rapid diese Räume anzuvisieren. Ajax ist im Heimspiel ähnlich hoch zu erwarten und Rapid hat mehrere Zielspieler für die Räume hinter der Abwehr.
Ausgangslage nicht perfekt, aber auch nicht aussichtslos
Wenn es die Grün-Weißen schaffen, ihre defensiven Probleme an den Flügeln in den Griff zu bekommen, die Mitte einerseits besser zu staffeln und andererseits intensiver und höher zu pressen und schließlich die erwähnten Räume hinter der – auch in Amsterdam als sehr hoch zu erwartenden – Ajax-Abwehrreihe zu bespielen, dann ist für den Außenseiter noch alles drin.
Wer ersetzt Schwab?
Zuletzt stellt sich noch die Frage, wer im Auswärtsspiel Stefan Schwab ersetzen könnte. Mit dem 24-jährigen Salzburger fällt ein robuster Spieler weg – und Rapid benötigt gegen diese filigrane Ajax-Elf mehr Robustheit in der Zentrale. Die Alternativen wären nun Stefan Nutz, Srdjan Grahovac oder sogar Steffen Hofmann auf der tieferen Achterposition.
Die Vertikalpassmaschine
Stefan Nutz wäre der spielerische Kandidat, der nach Balleroberungen die notwendigen, kurzen und direkten Aktionen einleiten könnte. Nicht umsonst galt der 23-Jährige schon in Grödig als Vertikalpassmaschine.
Der offensive Komplette
Steffen Hofmann wäre eine nicht zu verachtende Hybridlösung für intensives Pressing und kreative Weiterverarbeitung. Zudem bringt er am meisten taktisches Verständnis mit. Allerdings sind die kurzzeitigen Leerläufe des 34-Jährigen nach missglückten Pressingaktionen zu gefährlich – Hofmann hinter einem offensiven Mittelfeldspieler Schaub wäre „zu viel“ und würde Rapids Spiel eher zu einem 4-1-4-1 machen, das wiederum Petsos alleine nicht lenken kann.
Der Aggressive
Grahovac ist somit die logische Option für das Rückspiel. Der bosnische Sechser/Achter ist aufgrund seiner aggressiven Gangart genau der Spieler, den die technisch versierten Ajax-Mittelfeldleute nicht gegen sich haben wollen. Im Vergleich zu Nutz gibt man mit Grahovac zwar ein wenig Qualität in der Weiterverarbeitung nach Ballgewinnen auf, aber da sich auch der einstige U21-Teamkapitän Bosniens spielerisch deutlich verbesserte und langsam in die Mannschaft findet, muss man dies angesichts der kämpferischen Anforderungen in Kauf nehmen.
Daniel Mandl, abseits.at
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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