Das Finale der Champions League am vergangenen Wochenende glich einem Märchen. Die Spieler von Chelsea konnten nicht nur den ersten Champions-League-Titel einer Londoner Mannschaft... Roberto di Matteos FC Chelsea: Spielerisch klar unterlegen und doch die Könige Europas!

Das Finale der Champions League am vergangenen Wochenende glich einem Märchen. Die Spieler von Chelsea konnten nicht nur den ersten Champions-League-Titel einer Londoner Mannschaft überhaupt feiern, sondern hatten eine ganz persönliche Geschichte zu erzählen. Ob die angeschlagenen Innenverteidiger Tim Cahill und David Luiz, welche die Zähne zusammenbissen und ein hervorragendes Spiel zeigten oder Superstar Didier Drogba. Der Ivorer sah im CL-Finale von 2008 gegen Manchester United die rote Karte und verpasste das letztlich verloren gegangene Elfmeterschießen. Dieses Mal sollte ausgerechnet er den Ausgleichstreffer kurz vor Ende der regulären Spielzeit besorgen und sogar den entscheidenden Elfmeter souverän verwerten. Allerdings stellt sich die Frage, ob diese märchenhaft wirkende Geschichte eines siegreichen Außenseiters wirklich ein Happy End im klassischen Sinne der Gebrüder Grimm darstellt.

Für viele waren die Bayern nämlich der verdiente Sieger – sogar schon vor dem Finale. Im Gegensatz zu den Engländern spielen sie einen offensivorientierten Fußball mit vielen Torabschlüssen und technisch ansprechenden Aktionen. Chelsea hingegen beschränkte sich auf ihre defensiven Tugenden und so verzeichneten sie nur drei Schüsse auf den Kasten von Manuel Neuer. Bereits im Halbfinale gegen den FC Barcelona war Kritik laut geworden, dass sie zu defensiv und hässlichen „Antifußball“ spielen. Dieses Mal ließen sie zwar ganze 43 Torversuche zu, doch nur wenige gingen wirklich gefährlich auf das Tor der Blauen. Mit etwas Glück und viel Kampf feierten sie mit ihrer defensiven Ausrichtung einen weiteren Sieg – die Bayern standen für die Realität abseits dieses Märchens.

Es wäre wohl nicht vermessen zu sagen, dass ein Großteil von Fußballeuropa Respekt wie Mitleid für Spieler wie Bastian Schweinsteiger verspürte. Vor heimischem Publikum hatte Bayern von Beginn an das Heft in die Hand genommen und stark gespielt, im Elfmeterschießen scheiterte man jedoch am großen Druck. Nachdem Müller in der Schlussphase den kurzzeitigen Führungstreffer erzielt hatte, schien alles zu passen. Eine Unachtsamkeit bei der einzigen Chelsea-Ecke kostete den vorzeitigen Sieg, Robbens verschossener Elfmeter in der Verlängerung machte die Bühne frei für eines der größten Dramen der Fußballgeschichte. Taktisch waren beide Teams gut eingestellt und obwohl sich spielerisch ein riesiger Unterschied zeigte, waren sie auf dem Papier gleichwertig aufgestellt.

Die Bayern und ihre offensive Taktik

Aufgrund der vielen Sperren begannen die Bayern mit zahlreichen Veränderungen. Thomas Müller rückte auf der Position des Halbstürmers in die Mannschaft, Toni Kroos und Bastian Schweinsteiger wichen jeweils eine Reihe nach hinten. Somit agierte Schweinsteiger als letzter Spieler des Mittelfelds und absichernder Sechser, wobei er diese Rolle flexibel ausübte. Aufgrund der tiefen Positionierung Chelseas ging er nach vorne und ließ die Mitte teilweise verwaisen. Darauf spekulierte Chelsea mit Mata als Spieler zwischen den Linien, wirklich effektiv war dies dennoch nicht. Die Spieler der Bayern rückten schnell nach hinten, setzten den ballführenden Gegner zu Spielbeginn gut unter Druck und verhinderten präzise Anspiele. Diego Contento und Philipp Lahm blieben zu Beginn relativ weit hinten, was Konter verhinderte.

Neben Mata gab es einen zweiten Zielspieler bei Chelsea: Didier Drogba. Dieser wurde überraschend gut von Tymoshchuk und Boateng ausgeschaltet. Ersterer spielte eine quasi-Manndeckung auf den großgewachsenen Chelsea-Stürmer. Dadurch bedrängte er ihn bei Ballannahmen und zumeist konnte er den Ball sogar vor Drogba erwischen. Dieser stand nämlich vor einem Problem, was die tiefe Stellung Chelseas provozierte. Er hatte schlichtweg kaum Mitspieler in seiner Nähe, was ihn zwang, den Ball annehmen zu müssen. Tymoshchuk hingegen konnte selbst bei Grätschen aufgrund der numerischen Überzahl in Ballnähe relativ einfach Pässe anbringen – diese mussten wegen des offenen Raumes nicht einmal genau auf den Fuß kommen.

Hinter Tymoshchuk übernahm Boateng eine absichernde Rolle. Wie ein Ausputzer positionierte er sich etwas tiefer und konnte dann je nach Situation hinten bleiben oder mit Schwung nach vorne kommen, wo er dann dank des Anlaufs einen Vorteil bei den Luftzweikämpfen gegen Drogba hatte. Chelseas Offensivbemühungen wurden damit auf ein Minimum beschränkt.

In der Offensive hatten die Bayern ebenfalls verschiedene Varianten geplant. Mit dem aufrückenden Schweinsteiger gab es jemandem, der die Mitte besetzt hielt und die zwei Spieler vor ihm unterstützten die Starspieler auf den Außen. Toni Kroos pendelte somit zwischen Mitte und der linken Seite, wo er teilweise ein Pärchen mit Franck Ribéry bildete. Auf der gegenüberliegenden Seite tat dies Thomas Müller mit Arjen Robben. Dies ermöglichte den zwei Außenstürmern, sich frei im Feld zu bewegen und zu rochieren. Dadurch wollte man die geplante Doppel- und Dreifachdeckung auf die Außen verhindern. Somit fand sich Thomas Müller extrem oft weit auf der rechten Seite, im Laufe des Spiels rückten Contento und Lahm jedoch vermehrt auf. Allerdings verbreiterte oftmals nur Contento das Spielfeld, Philipp Lahm spielte eher diagonal und nutzte Thomas Müllers Spielintelligenz. Mit dem spielstarken Lahm gab es einen weiteren Spielgestalter in der Mitte, was den Druck auf Chelsea weiter erhöhte.

Di Matteos Matchplan

Die Engländer positionierten sich tief und machten mit einer ähnlichen Taktik weiter, wo sie im Halbfinale aufgehört hatten. Sie spielten diszipliniert, taktisch hervorragend und mit viel Kampf – was den mentalen und kämpferischen Aspekt betrifft, haben sie dieses Spiel sicherlich verdient gewonnen.

Auffälligster Akteur dürfte Petr Cech gewesen sein. Spätestens mit seiner Leistung im Elfmeterschießen schwang er sich zum Helden dieses Abends auf. Jedoch sollte nicht vergessen werden, dass er mitverantwortlich für eine solch effektive Spielweise war. Da er bei Schüssen aus der Distanz und im Herauslaufen extrem stark ist, konnten sich die Chelsea-Verteidiger auf den unmittelbaren Raum um den Sechzehner konzentrieren.

43 der Torversuche Bayerns wurden geblockt – weil die Lücken einfach zu eng waren. Die Viererkette konnte eng agieren, die Außenspieler im Mittelfeld ließen sich weit zurückfallen. Deswegen begann auch Debütant Ryan Bertrand. Der gelernte Linksverteidiger sollte gegen Lahm und Robben mithelfen, im Idealfall natürlich den Niederländer doppeln und trippeln helfen. Nach Balleroberung hätte der junge Engländer mit seiner Dynamik nach vorne zu Flanken kommen sollen, was aufgrund des bärenstarken Lahms nicht der Fall war.

Die enge Viererkette verschloss auch die Schnittstellen in den offenen Raum. Dies schaltete Gomez effektiv aus. Der Torjäger erhielt nie Bälle in den Raum und wurde gezwungen, seine größte Schwäche fast schon zwanghaft zu präsentieren: das Kombinationsspiel. Indem er nur 15-20 Meter entfernt unter Bedrängnis den Ball mit Rücken zum Tor erhielt, konnte er nur selten seine Dynamik ausspielen. Stattdessen musste er Bälle ablegen und Pässe verteilen, was ihm auch gegen schwächere Gegner oftmals kaum gelingt. Mit zwei Innenverteidigern im Rücken war es ein Ding der Unmöglichkeit für den Nationalstürmer Deutschlands.

Ohne einen zentralen Anspielpunkt in der Offensive und mit den defensiven Außenverteidigern (in Halbzeit eins) glich es teilweise einem Handballspiel, welches nur durch aussichtslose Abschlüsse unterbrochen wurde. Thomas Müller war lange Zeit unsichtbar, erfüllte zwar seine taktischen Aufgaben, aber fehlte in der Mitte. Mit dem Gomez-Problem gab es somit keinen zentralen Anspielpunkt in der Tiefe, sondern nur hinten am Anfang des letzten Spielfelddrittels. Robben und Ribéry hatten somit gewisse Probleme, sich selbst durch Rochaden aus der Doppelung zu befreien – normalerweise würde dann einfach der Raum verengt werden, während einer der Außenspieler des Mittelfelds die Breite der Münchner neutralisierte.

Im Zentrum organisierten John Obi Mikel und Frank Lampard das Spiel – beide spielten nahezu fehlerlos. Unauffällig und gleichermaßen beständig verrichteten sie ihre taktischen Aufgaben, indem sie unaufhörlich verschoben und Räume schlossen. Falls Ribéry oder Robben den Ball auf außen erhielten, wurden sie dank der Sechser sofort getrippelt und mussten den Ball zurückspielen. Alles in allem war es eine taktisch starke Partie der Mittelfeldspieler und natürlich von Trainer Di Matteo. Dieser schien übrigens fast auf das Elfmeterschießen zu hoffen. Ob es der Druck oder die inhumane Reaktionszeit Petr Cechs war, welche ihn positiv stimmte, ist fraglich – diese „Lotterie“ gewann der italienische Trainer aber nicht nur durch Glück. Und ohne Glück werden keine Märchen oder Tragödien wahr, sondern Visionen zur Wirklichkeit – die Vision eines Trainers, der eine am Boden liegende Mannschaft aufrichtete und mit dem FA-Cup zwei Pokale holen konnte. Den größten Europas sogar mit klarer spielerischer Unterlegenheit.

Rene Maric, abseits.at

Rene Maric

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